Zweimal binnen acht Tagen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Griechenland für seinen Umgang mit Migranten verurteilt. In einer Entscheidung vom Dienstag dieser Woche geben die Straßburger Richter einem aus Afghanistan stammenden Kläger recht, der als minderjähriger unbegleiteter Asylsuchender im Zeitraum von November 2018 bis Mai 2019 in Athen obdachlos war und, so das Urteil, "in einem Umfeld alleine auskommen musste, das für Minderjährige gänzlich ungeeignet ist". Er habe in "extremer materieller Armut gelebt, obwohl die griechischen Behörden verpflichtet waren, würdige materielle Umstände für ihn sicherzustellen".
Das Gericht räumt in seinem Urteilsspruch ein, dass die griechischen Behörden vor komplexen Herausforderungen standen, "insbesondere angesichts der Zahl der unbegleiteten Minderjährigen, die zu der Zeit ins Land kamen". Doch dies entbinde einen Staat nicht von seinen Pflichten gemäß Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in dem es unter anderem heißt: Niemand darf "unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung" unterworfen werden. Dieser Artikel, so die Richter, sei von "absolutem Charakter". Jetzt muss Griechenland dem Kläger 8000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
Der Familienvater Belal Tello starb nach monatelangem Koma
In den vergangenen Jahren hatten Kritiker der griechischen Regierung wiederholt vorgeworfen, Asylsuchende wie auch anerkannte Flüchtlinge bewusst materiellen Härten auszusetzen. Mehrmals hatten deutsche Gerichte entschieden, dass Schutzberechtigte, die nach Deutschland weiterreisen, nicht nach Griechenland zurückgeschickt werden dürfen, weil ihnen dort, wie etwa das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Anfang 2021 urteilte, "die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung" drohe.
Am Dienstag vergangener Woche hatte der EGMR Griechenland in einem anderen Urteil einen Verstoß gegen Artikel 2 der Menschenrechtskonvention ("Recht auf Leben") vorgeworfen. Geklagt hatten Angehörige von Insassen eines Motorboots, das im September 2014 von der Türkei aus in griechische Hoheitsgewässer gefahren war. Vor der Insel Psérimos, unweit der türkischen Hafenstadt Bodrum gelegen, forderten Beamte der griechischen Küstenwache die Insassen auf, ihre Fahrt zu stoppen. Mehrmals stießen die beiden Boote zusammen.
Als die Insassen des Migranten-Boots auch Warnschüsse in die Luft ignorierten, begannen die Küstenwächter auf das Boot selbst zu feuern. Von den 14 Menschen an Bord wurden zwei schwer verletzt, einer an der Schulter, der andere am Kopf: Belal Tello, Familienvater aus Syrien. Nach mehreren Monaten auf der Intensivstation einer Klinik auf Rhodos wurde er nach Stockholm verlegt, den Wohnort seiner Ehefrau und seiner Kinder. Dort starb er nach mehreren Monaten im Koma.
Die Gewalt war laut Gericht nicht "absolut notwendig"
Das Gericht habe durchaus nicht "die Tatsache unterbewertet", so heißt es in der Urteilsbegründung, dass das Migrantenboot mit seinen "gefährlichen" und "undurchdachten" Manövern als Gefahr für Leib und Leben der Küstenwächter wahrgenommen werden konnte. Dennoch sei nicht nachvollziehbar, dass die mögliche Bedrohung so groß gewesen sei, dass das Boot durch insgesamt 13 "potenziell tödliche Schüsse" gestoppt werden musste. Die Anwendung von Gewalt, so die Richter, war in dem Fall also nicht nachweisbar "absolut notwendig" gewesen.
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Bei den späteren Ermittlungen durch griechische Behörden habe es zudem "zahlreiche Versäumnisse" gegeben; so seien unter anderem Beweismittel verschwunden. Den Angehörigen des Toten sprach das Gericht jetzt 80 000 Euro Schmerzensgeld zu.
Karl Kopp, Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl, begrüßte das Urteil: Diese reihe sich ein in "eine ganze Kette von Fällen, in denen die griechische Küstenwache Schutz suchende Menschen misshandelt oder gar ihren Tod billigend in Kauf nimmt." Er forderte unter anderem die "Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens der EU gegen Griechenland".