Tod von Tyre Nichols:Polizei von Memphis löst gefürchtete Sondereinheit auf

Tod von Tyre Nichols: Menschen demonstrieren nach dem Tod von Tyre Nichols auf dem Times Square in New York und in anderen Städten gegen Polizeigewalt.

Menschen demonstrieren nach dem Tod von Tyre Nichols auf dem Times Square in New York und in anderen Städten gegen Polizeigewalt.

(Foto: Yuki Iwamura/dpa)

Nachdem fünf Polizisten einen 29-jährigen Afroamerikaner zu Tode prügelten, haben die Behörden durchgegriffen. In zahlreichen Städten in den USA demonstrieren die Menschen dennoch gegen Polizeigewalt.

Von Fabian Fellmann, Washington

Die Verzweiflung der Mutter von Tyre Nichols hat viele Menschen in den Vereinigten Staaten besonders betroffen gemacht. Mehrfach hatte der 29-Jährige "Mom" geschrien, als ihn fünf Polizisten derart misshandelten, dass er drei Tage später im Krankenhaus starb. Ihr Sohn habe in Not nach ihr gerufen, und sie habe ihm nicht helfen können, sagte RaVaughn Wells. Zu hören und sehen sind die verzweifelten Hilferufe auf vier Videoaufnahmen, die die Polizei von Memphis am Freitagabend veröffentlicht hat.

Die Aufzeichnungen von Überwachungs- und Körperkameras der Polizisten zeugen von verstörender Brutalität. Obwohl die Ausschnitte, die am Freitagabend Ortszeit publik gemacht wurden, nicht alle Details und Zusammenhänge zeigen, wird das Schockierende der Gewalttat vom 7. Januar deutlich: Nach einer Verkehrskontrolle traktierten Polizisten Nichols drei Minuten lang mit Tritten und Schlägen gegen den Kopf, mit Pfefferspray und Schlagstöcken.

Erste Hilfe leisteten sie dem schwer Verletzten nicht, auch zwei herbeigerufene Rettungssanitäter ließen eine Viertelstunde verstreichen, bevor sie den schwer verletzten Mann versorgten. Erst nach mehr als zwanzig Minuten war eine Ambulanz zur Stelle, die den Afroamerikaner ins Krankenhaus brachte, wo er drei Tage später starb, laut einer Autopsie an starken Blutungen.

Die Behörden von Memphis haben auf den Tod von Nichols nun schnell reagiert. Mehrmals traf Polizeichefin Cerelyn Davis seine Angehörigen, am Samstag kommunizierte sie dann die Auflösung der Sondereinheit Scorpion, der die fünf Polizisten angehört hatten, eine zentrale Forderung der Familie.

Zwei weitere Polizisten, die am Rande beteiligt waren, wurden ebenfalls suspendiert, und die Feuerwehr von Memphis hat eine Untersuchung zum Verhalten ihrer Rettungssanitäter eingeleitet. Schon zuvor waren die fünf direkt beteiligten Beamten zuerst vom Dienst suspendiert, darauf entlassen und schließlich am vergangenen Donnerstag verhaftet und des Totschlags, des Kidnappings und weiterer Verbrechen angeklagt worden. Sie alle sind Afroamerikaner wie Nichols.

Die Mutter des Getöteten ruft dazu auf, die Gewalt im Land zu beenden

Nichols Mutter rief bei einer Medienkonferenz und in Interviews dazu auf, die Gewalt zu beenden. Das bezog sie nicht nur auf die Polizeiarbeit, sondern auch auf die Proteste, die in Memphis stattfinden und sich seit Freitag auf zahlreiche Städte im ganzen Land ausdehnten. "Ich will nicht, dass wir unsere Städte anzünden und unsere Straßen aufreißen, weil das nicht meinem Sohn entsprochen hätte", sagte RaVaughn Wells.

Sie bezog sich damit auf das Szenario, für das Behörden Vorbereitungen treffen - jenes von Demonstrationen, wie sie nach der Ermordung von George Floyd im Jahr 2020 monatelang die USA erschüttert hatten. Jene Black-Lives-Matter-Proteste sind vielen Amerikanern nicht nur als Bürgerrechtsproteste in Erinnerung geblieben, sondern auch als gewaltsame Ausschreitungen, die von Plünderungen und Brandschatzungen begleitet waren.

Bei der ersten Protestwelle am Freitagabend wurde Wells Wunsch erfüllt: Die Demonstrationen von Los Angeles bis New York City blieben größtenteils friedlich. In Memphis blockierten Demonstranten eine Autobahnbrücke, es kursierten Berichte über vereinzelte Plünderungen, in New York City legten Demonstranten den zentralen Times Square lahm, in Atlanta rief der Gouverneur den Ausnahmezustand aus und mobilisierte die Nationalgarde.

Großflächige Gewalt jedoch blieb fürs Erste aus. Für das Wochenende waren weitere Demonstrationen in mehreren Städten angesagt. Videobilder zeigen Grüppchen von einigen Hundert Menschen, die sich einem Großaufgebot von Ordnungskräften gegenüber sahen. Viele Protestierende bewerteten die Tötung von Tyre Nichols als Ausdruck von systemischem Rassismus: Die Hautfarbe der beteiligten Beamten spielt in dieser Lesart keine Rolle, weil Polizeiarbeit generell übermäßig auf Dunkelhäutige abziele.

Die Beziehung zwischen Polizei und Bevölkerung ist in den USA oft schwierig, selbst wenn alle derselben ethnischen Gruppe angehören. Memphis zeigt das geradezu exemplarisch. Zwei Drittel der Einwohner sind Afroamerikaner, eine Mehrheit des Polizeikorps ebenso, inklusive der Polizeichefin.

Memphis hat eine lange Geschichte der Polizeigewalt - eine zu der auch Martin Luther King gehört

Die lange Geschichte der Polizeibrutalität in der Stadt lässt sich indes nicht auf die Schnelle aus der Welt schaffen. 1968 hatte dort ein weißer Polizist einen 16-jährigen Afroamerikaner erschossen. Zu den darauf folgenden Demonstrationen reiste der Bürgerrechtler Martin Luther King an, am 4. April 1968 wurde er in Memphis auf dem Balkon seines Motelzimmers erschossen. Der Komplex wurde später zu einem rege besuchten Bürgerrechtsmuseum umgebaut.

Die Polizeigewalt sollte dennoch jahrzehntelang andauern. 2015 erschoss ein Polizist einen 19-jährigen Afroamerikaner, woraufhin Black-Lives-Matter-Demonstranten durch die Stadt zogen. Erst nach der Ermordung von George Floyd schien die Polizei dann endlich mit Reformen zu reagieren, für die sie Lob erhielt. Umstrittene Polizeitaktiken wurden verboten, etwa Hausdurchsuchungen ohne anzuklopfen oder Würgegriffe. Die Beamten wurden verpflichtet, deeskalierend zu handeln und nur im äußersten Notfall und nicht ohne Vorwarnung zu schießen. Die Polizei von Memphis verschwand vorübergehend aus den Schlagzeilen.

Nach der Zunahme von Gewaltdelikten während der Covid-Pandemie wurde indes 2021 die Sondereinheit Scorpion gegründet, ein Akronym für "Street Crimes Operation to Restore Peace in Our Neighborhoods", eine Truppe "zur Wiederherstellung des Friedens in unseren Quartieren". Die rund 40 Skorpione waren meist mit zivilen Autos unterwegs und führten spontane Verkehrskontrollen durch, bei denen sie zahlreiche Waffen beschlagnahmten - aber offensichtlich auch lernten, besonders brutal vorzugehen. Jedenfalls galt die Sondereinheit in Memphis als gefürchtet.

Für Tyre Nichols endete die Begegnung mit den Skorpionen tödlich. Viele Amerikaner sind bestürzt und fragen, welche Reformen denn noch nötig sind, um der unverhältnismäßigen Polizeigewalt in den USA endlich Einhalt zu gebieten.

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