Medikamentenmangel:Antibiotika aus dem Ausland - hilft diese Notmaßnahme?

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Ein Arzt verabreicht einem Kind einen Antibiotika-Saft. (Foto: Siegi/imago images/Panthermedia)

Wichtige Arzneien für Kinder sind in vielen Apotheken kaum noch zu bekommen. Immer mehr Bundesländer erlauben nun die Einfuhr antibiotischer Säfte - auch ohne deutsche Zulassung.

Von Rainer Stadler

Die Lieferengpässe bei Medikamenten treiben die Politik zu immer neuen Notmaßnahmen. Auch Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben am Mittwoch beschlossen, die Einfuhr antibiotischer Säfte ohne Zulassung für den deutschen Markt zu genehmigen. Zuvor hatten sich schon Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg zu dem Schritt veranlasst gesehen.

Diese Ausnahmeregelung wurde möglich, weil das Bundesgesundheitsministerium am 19. April offiziell einen "Versorgungsmangel mit antibiotikahaltigen Säften für Kinder" erklärt hat. Bundesländer dürfen dann von den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes abweichen. Wie lange die Mangellage gilt, entscheidet das Ministerium von Karl Lauterbach (SPD).

Mediziner beklagen das Problem schon länger, zuletzt richteten Kinder- und Jugendärzte aus mehreren Ländern Europas einen dramatischen Appell an die Gesundheitsminister ihrer Länder. In einem offenen Brief warnten sie, "die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen sei durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet". Sie forderten "eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung" gegen die Knappheit, die in dieser Form in Europa "nicht ansatzweise vorstellbar gewesen sei".

Doch wie genau diese Lösung aussehen könnte, darüber sind sich Politiker, Verbände und Hersteller uneins. Und ihr seit Monaten schwelender Streit offenbart, dass längst nicht bei allen Verantwortlichen das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund steht.

Die Hersteller können anderswo mehr Geld verdienen

Die fehlenden Antibiotikasäfte wollen sich die Bundesländer nun im europäischen Ausland beschaffen. Experten beruhigen, trotz fehlender Zulassung für Deutschland seien diese Arzneien genauso wirksam, sicher und bewährt. "Das sind in anderen europäischen Ländern registrierte und zugelassene Medikamente. Die sind nur in Deutschland nicht registriert", erklärte Frank Ulrich Montgomery, ehemaliger Präsident des Weltärztebundes, im WDR.

Dass Medikamente anderswo in Europa ausreichend vorhanden sein sollen, in Deutschland aber nicht, erklären Experten allgemein mit den Gesetzen des Marktes. Die Preise, die sich hierzulande erzielen ließen, seien vor allem bei den patentfreien Arzneien vergleichsweise niedrig. In anderen Ländern könnten Hersteller deutlich besser verdienen. Der Branchenverband Pro Generika argumentiert, der Preisdruck in Deutschland sei eine wesentliche Ursache der Engpässe.

Kritisiert werden in dem Zusammenhang immer wieder die Rabattverträge, die Krankenkassen mit Pharmaunternehmen aushandeln. Sie dämpften zwar die Kosten für Patienten, führten aber dazu, dass der Arzneimittelmarkt in Deutschland unattraktiv werde. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller, sagte im ZDF, der Markt sei über die Jahre hinweg kaputtgespart worden. Er fordert einen Inflationsausgleich für seine Branche.

Antibiotika sind auch international knapp

Die Krankenkassen, naturgemäß an niedrigen Preisen für Arzneien interessiert, entgegnen, die Hersteller hätten bereits sehr gut mit der Verlagerung der Produktion ins Ausland verdient. Auch Montgomery findet, die Unternehmen könnten "nicht nur die Medikamente produzieren, die viel Geld abwerfen". Er sieht eine humanitäre Verpflichtung, auch die Arzneien zu produzieren, die für die Versorgung notwendig sind.

Was den Mangel bei den Antibiotika-Säften angeht, ist es fraglich, ob eine Sonderregelung der Bundesländer etwas bewirken kann. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) gibt zu bedenken, dass Antibiotika in nahezu allen Mitgliedsstaaten der EU und auch international knapp seien. Deshalb sei "die Möglichkeit des Bezugs von Arzneimitteln zur Kompensation aus diesen Staaten als stark begrenzt einzuschätzen".

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Lauterbach baut auf ein Gesetz, das die Ampelregierung vor wenigen Tagen verabschiedete, es muss noch von Bundestag und Bundesrat abgesegnet werden. Dieses Gesetz "zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln" sieht eine Lockerung der Preisregeln vor. Festbeträge und Rabattverträge sollen abgeschafft werden, sodass es sich für Hersteller wieder mehr lohnt, nach Deutschland zu liefern und hier zu produzieren. Produzenten in der EU sollen eine größere Rolle spielen.

Zudem strebt Lauterbach eine Pflicht zur dreimonatigen Vorratshaltung wichtiger Medikamente an. Auch diese Maßnahme führt jedoch nicht zwangsläufig zum Erfolg. Im vergangenen Winter waren die Fiebersäfte knapp. Eine wesentliche Ursache, die das Bfarm dafür ausmachte: Manche Apotheken und Großhändler hätten die Arzneien gehortet, die dann andernorts fehlten.

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