Debatte über Hass im Bundestag:Wo sitzen die Täter, wo die Opfer?

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Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin, sitzt mit in die Hände gestützten Kopf im Plenum im Bundestag auf der Regierungsbank. (Foto: dpa)

In der Debatte um den Mord an Walter Lübcke machen diverse Abgeordnete die AfD mitverantwortlich für rechte Gewalt. Die größte Oppositionsfraktion teilt ihrerseits aus.

Von Nico Fried, Berlin

Die AfD entschied sich für eine Vorwärtsverteidigung. Nicht sie sollte an diesem Tag an den Pranger gestellt werden, sondern alle anderen Fraktionen. Es war zu erwarten gewesen, dass in der aktuellen Stunde des Bundestages zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke die Frage diskutiert würde, welche Verantwortung die AfD für eine politische Atmosphäre trägt, in der so ein Verbrechen verübt wird. Die Redner der größten Oppositionsfraktion wehrten sich gegen Vorwürfe an ihre Adresse - teilweise bevor diese überhaupt erhoben worden waren.

Innenminister Horst Seehofer referierte zu Beginn der Debatte den Stand der Ermittlungen im Fall Lübcke. "Es gibt jetzt einen Täter", sagte der CSU-Politiker, "aber die Hintergründe dieser Tat sind noch nicht geklärt". Seehofer sprach über die Geschlossenheit der Demokraten, zur AfD sagte er nichts. Deren innenpolitischer Sprecher Gottfried Curio legte trotzdem sofort los. Zwar nannte er den Anlass der Bundestagsdebatte "tief beklagenswert". Gegen Rechtsextremismus müsse "entschlossen gekämpft werden". Der Mord an Lübcke dürfe aber nicht dazu genutzt werden, einen politischen Konkurrenten wie die AfD "zu verleumden". Dies geschehe, wenn die Grenzen verwischt würden zwischen rechtsextrem und rechts.

Curio warf den anderen Parteien "politischen Missbrauch eines Mordes" vor. Kritik würde umgedeutet in eine "angebliche Verrohung des Tones", dann diese zu einer Ursache für Extremismus gemacht. Curio forderte "Schluss mit dieser infamen Unterstellung dieser Anstiftungspsychologie". Bezeichnungen wie Menschenfeinde, Hasser und Hetze bildeten nur ein "wohlfeiles Verleumdungsvokabular". Auch Curios Fraktionskollege Martin Hess hielt den von ihm so genannten "Altparteien" vor: "Sie sind es, die in Wahrheit hetzen." Trotzdem wolle die AfD ihnen "die Hand reichen" für eine Diskussionskultur des Respekts.

Es sei nicht erlaubt, "die Brandmauer zu Nazis aufzumachen", sagt Gabriel

SPD-Fraktionsvize Eva Högl schlug diese Hand unter Applaus aller anderen Fraktionen jenseits der AfD aus. Die neue Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hielt der AfD den Text einer Pressemitteilung vor, in der ihr Abgeordneter Martin Hohmann geschrieben hatte: Hätte es den von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu verantwortenden "Massenzustrom an Migranten nicht gegeben, würde Walter Lübcke noch leben". Selbst wenn einem eine politische Entscheidung nicht passe, dürfe Gewalt niemals die Folge sein, so Lambrecht. Zugleich könne man Kritik und deren Folgen nicht einfach trennen, "da gibt es einen Zusammenhang".

Besonders deutlich wiesen der CDU-Abgeordnete Marian Wendt aus Torgau in Sachsen und der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel der AfD eine Mitverantwortung für den Mord an Lübcke zu. Wendt, der zunächst auch von persönlichen Erlebnissen mit Bedrohungen in der politischen Auseinandersetzung berichtet hatte, sagte, die AfD schaffe einen "Nährboden für eine Tat wie die, die in Kassel passiert ist". Gabriel sagte ausdrücklich an die Adresse der AfD, es sei die sprachliche Gewaltbereitschaft, die physische Gewalt vorbereite. Es sei "erlaubt, rechts oder deutschnational zu sein". Politiker dieser Richtung habe es in der Union, der FDP und auch in der SPD gegeben. Nicht erlaubt sei aber, "die Brandmauer zu Nazis, ob jung oder alt, aufzumachen". Die AfD trage Verantwortung für das politische Klima im Land. "Da sind sie Haupttäter", so der SPD-Politiker.

Wie zuvor Lambrecht äußerte sich auch der FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae ablehnend zu Überlegungen von Innenminister Seehofer, für extremistische Hetzer den Entzug bestimmter Grundrechte nach Artikel 18 Grundgesetz zu prüfen. Thomae plädierte für eine Föderalismusreform, um Strukturen im Sicherheitsbereich zusammenzufassen. Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz forderte eine Task Force, die mögliche Defizite bei der Verfolgung von Rechtsextremisten analysieren und Betroffenen Unterstützung gewähren solle. Die Linken-Abgeordnete Martina Renner warf der Regierung vor, rechten Terror zu verharmlosen. Rechte Netzwerke müssten aufgedeckt und entwaffnet werden. Dies geschehe nicht, weil der Verfassungsschutz blockiere.

© SZ vom 28.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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