Lobbyismus im Bundestag:Gefährliche Saat

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Die EU plant, den Düngemitteleinsatz um 20 Prozent zu reduzieren. Lobbyisten nennen das "Armageddon". (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Gero Hocker sollen Firmenvertretern Auftritte mit dem FDP-Agrarpolitiker für einige Tausend Euro verkauft haben. Für Verfassungsrechtler ist das ein "Unding".

Von Markus Balser und Uwe Ritzer, Berlin

Gero Hocker weiß, wie man gutes Geld verdient. Er hat es schließlich aus nächster Nähe beobachtet. Zehn Monate lang war Hocker Assistent von Carsten Maschmeyer, als dieser noch Vorstandschef des umstrittenen Finanzdienstleisters AWD war.

Karriere machte Hocker, 45, jedoch inzwischen als Politiker. Er wurde Landtagsabgeordneter und Generalsekretär der FDP in Niedersachsen, Mitglied im Bundesvorstand der Partei. Seit 2017 ist er Abgeordneter im Deutschen Bundestag.

Als FDP-Sprecher für Landwirtschaft und Ernährung hat er einigen politischen Einfluss. Nun werfen zweifelhafte Verbindungen die Frage auf, wer von diesem Einfluss profitierte. Denn sein engstes Umfeld ließ es sich bezahlen, wenn Hocker sich für seinen Internetauftritt mit Lobbyisten etwa aus der Tabak- und der Düngemittelbranche traf. Deren Anliegen schadete die brisante Liaison nicht.

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"Facebook live" heißt der Online-Talk, in dem der Abgeordnete, der als solcher dem Grundgesetz zufolge unabhängig und nur seinem Gewissen verpflichtet sein soll, alle paar Wochen mit Gästen plaudert.

Eine ganze Stunde nimmt sich Gero Hocker etwa für den Tabaklobbyisten Jan Mücke Zeit, den Hauptgeschäftsführer des Verbands der Tabakindustrie (BVTE), eine weitere mit Ludwig Willnegger, der bei der EU in Brüssel die Interessen des russischen Düngemittelriesen Eurochem vertritt. Kritische Fragen mussten die Lobbyisten nicht fürchten.

Der FDP-Mann lieferte ihnen fleißig Stichworte für ihre Agenda. Was als scheinbar harmlose Online-Plauderei eines Abgeordneten daherkommt, bewegt sich in der Grauzone zwischen Politik und Geschäft. Denn nach SZ-Recherchen waren Hockers Facebook-Talks für seine Gesprächspartner nicht immer umsonst.

Einige von ihnen mussten dafür zahlen. "Beiträge zu den Produktionskosten", wie es auf Nachfrage heißt, Summen jeweils im niedrigen vierstelligen Euro-Bereich, mehrere Tausend Euro also.

Das Geld floss nicht an Hocker, sondern an Feinschliff-Consulting, eine Anfang 2019 gegründete Berliner Beratungsfirma. Deren Inhaber und Geschäftsführer sind praktischerweise eng mit Hocker verbandelt. Benjamin Berg und Christoph Pein leiten seine Abgeordnetenbüros im Bundestag und im Heimatwahlkreis Verden bei Bremen.

Sie sollen aktiv auf potenzielle Gesprächspartner zugegangen sein und ihnen Auftritte auf Hockers Facebook-Plattform in Aussicht gestellt haben. Gegen entsprechende Zahlung, versteht sich. Stimmt das? "Selbstverständlich werden alle Interessenten der Feinschliff Consulting vor Vertragsabschluss über die entstehenden Produktionskosten aufgeklärt", antwortet Benjamin Berg ausweichend.

Gero Hocker bestätigt auf Nachfrage, dass die betreffenden Videos "von der Firma Feinschliff Consulting professionell produziert und veröffentlicht werden". Zu welchen finanziellen Konditionen wisse er nicht. "Nach meinem Wissen rechnet die Firma Feinschliff Consulting ihre Produktionskosten ab."

Auf eines legt er besonders wert: "In keiner Weise besteht eine Verbindung zwischen politischen Entscheidungen und diesem Format." Der Vorwurf, er nehme als Abgeordneter politischen Einfluss im Sinne seiner zahlenden Talkgäste, sei "vollständig konstruiert". Auch einen Interessenskonflikt sehen Gero Hocker und sein Mitarbeiter sowie Feinschliff-Geschäftsführer nicht.

"Das geht gar nicht,", sagt Verfassungsrechtler von Arnim

Der renommierte Verfassungsrechtler und Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim sieht das anders. Er hält das Konstrukt für äußerst fragwürdig. "Ein Verkauf von politischem Einfluss durch die Mitarbeiter eines Abgeordneten ist ein Unding. Das geht gar nicht."

Feinschliff Consulting mache offenkundig den Versuch, den eigenen politischen Status von "ihrem" Abgeordneten und sich selbst für eigene wirtschaftliche Interessen zu nutzen. "Das darf nicht passieren", sagt der Professor. Natürlich sei es legitim, wenn Lobbyisten Argumente an Abgeordnete herantragen, so von Arnim. "Eine Grenze ist aber überschritten, wenn in diesem Zusammenhang auch Geld fließt."

Auch Timo Lange von der Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol hält es für "inakzeptabel, wenn der Zugang zu Abgeordneten von dessen eigenen Mitarbeitern auf dem Lobbymarkt gegen Geldzahlungen angeboten wird". Allein, dass Abgeordnetenmitarbeiter nebenher eine Lobbyagentur betreiben, sei "hochgradig fragwürdig", so Lange. "Es ist kaum vorstellbar, dass hier sauber zwischen dem Job im Bundestag und Agenturtätigkeit getrennt werden kann."

Tatsächlich bietet Feinschliff Consulting (Slogan: "Zielfernrohr statt Schrotflinte") auf seiner Internetseite Unternehmen klassische politische Lobbydienste an. "Sie sagen uns, welche Botschaften Sie platzieren wollen", heißt es vollmundig. "Bundestagsabgeordnete, Staatssekretäre oder gar Minister - wer möchte seine Anliegen nicht direkt beim Topentscheider anbringen?"

Explizit verweisen Berg und Pein auf ihre "mehrjährige Erfahrung" im politischen Metier. All dies sind kaum kaschierte Hinweise auf besondere politische Zugänge zweier Lobbyisten, die gleichzeitig auch für einen Abgeordneten im Bundestag arbeiten.

Aus der Sicht der Lobbyisten sind die Zahlungen an Feinschliff gut angelegtes Geld. So konnte Tabak-Vertreter Mücke seine Anliegen im Gespräch mit Hocker ziemlich ungehindert platzieren. Und das Anfang Juni just in der Phase, als der Landwirtschaftspolitiker Hocker mit seinen Bundestagskollegen neue Werbeverbote für die Tabakindustrie beriet.

Gero Hocker, gelernter Bankkaufmann und Wirtschaftswissenschaftler, sitzt seit 2017 für die FDP im Bundestag. Zuvor war er Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages. (Foto: Christian Spicker/imago)

Mücke äußerte "große Sorgen" bezüglich der anstehenden Entscheidung und riet: "Die Politik sollte sich hier wirklich Rat holen." Hocker fragte artig nach: "Welche Rechtfertigung gibt es denn, für E-Zigaretten nicht werben zu dürfen?" "Eigentlich keine", antwortete Mücke. Dem Lobbyisten dürfte auch der skurrile Schlusssatz des Abgeordneten am Ende des Facebook-Gespräches gefallen haben: "Es kann ja auch viel vernünftiger sein, ein kurzes, aber schönes Leben zu führen", sagte Hocker da.

Bei seinen politischen Aktivitäten im Parlament zum Thema Rauchverbot nahm der FDP-Mann dann zwar keinen direkten Bezug auf das Gespräch mit Jan Mücke. Doch seine inhaltliche Nähe zur Argumentation seines Gastes aus der Tabaklobby fiel auf.

Als der FDP-Mann im Parlament ein Plädoyer gegen schärfere Regeln für die Tabakindustrie hielt, kommentierte der Linken-Politiker Niema Movassat vom Rednerpult aus süffisant: "Man könnte den Eindruck kriegen, er hätte Ihre Rede geschrieben."

Gero Hocker legt Wert auf die Feststellung, dass er als Abgeordneter jedem Gesprächswunsch nachkomme und es keine "Verbindung zwischen dem Videoformat und einem Gesprächstermin" gebe. Seine Talkgäste allerdings erwarten sich sehr wohl handfeste Vorteile. So verweist Eurochem-Lobbyist Willnegger gegenüber der SZ auf die umfangreichen Themen der EU-Agrar- und Umweltpolitik, wie Nitratrichtlinie, Düngemittelverordnung oder Ackerbaustrategie.

Dazu muss man wissen: Die EU plant, den Düngemitteleinsatz um 20 Prozent zu reduzieren. Dem viertgrößten Hersteller Eurochem drohen dadurch Milliardeneinbußen. Also nimmt Willnegger dankbar die Gelegenheit an, auf der Facebook-Seite des führenden FDP-Agrarpolitikers ungebremst vor einem "Armageddon" für die Landwirtschaft zu warnen.

Im "agrarpolitischen Meinungsprozess" sei es "auch wichtig, die Öffentlichkeit und besonders die Landwirte zu erreichen und einzubinden", sagt Willnegger zur SZ. Deshalb habe er Hocker um das "Fachgespräch" auf seinem Facebook-Portal gebeten. Und ein paar Tausend Euro Produktionskosten fallen in den riesigen Lobbyetats von Konzernen ohnehin nicht ins Gewicht.

Während Hocker seine Unabhängigkeit als Abgeordneter betont, scheint der gute Kontakt zu ihm für die Lobbyisten zumindest kein Nachteil zu sein. Auch Willneggers Position tauchte bei den politischen Aktivitäten des FDP-Politikers in ähnlicher Form wieder auf. In einem offenen Brief an Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) warnte er, Ernten zu sichern und dabei nachhaltiger zu produzieren, sei nur durch neue Technologien möglich.

© SZ vom 11.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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