Coronavirus:Mit Vorsicht zurück in den Alltag

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"Betreten & Platz nehmen verboten" - derzeit gilt das für fast alle beliebten Ausflugsziele wie das Bärenschlössle in Stuttgart (Foto). (Foto: dpa)
  • Experten der Nationalakademie Leopoldina empfehlen eine schrittweise Lockerung der Beschränkungen des öffentlichen Lebens.
  • Voraussetzung dafür sei unter anderem, "das die Neuinfektionen sich auf niedrigem Niveau stabilisieren".
  • Besonders konkret widmen sich die Wissenschaftler den Schulen. Sie sollten "so bald wie irgend möglich" wieder öffnen.
  • Der SPD-Co-Vorsitzende Walter-Borjans warnt, die Beschränkungen würden zunehmend auch "zur psychischen und wirtschaftlichen Belastung".

Von Roman Deininger, Detlef Esslinger, Kristiana Ludwig, Mike Szymanski, Kathrin Zinkant, Berlin

Unter dem Dach der Nationalakademie Leopoldina in Halle hat ein Beratergremium aus Rechtsexperten, Ökonomen, Psychologen und Bildungsfachleuten am Ostermontag empfohlen, die Einschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus schrittweise zu lockern. Vor allem die Schulen sollen demnach möglichst schnell wieder geöffnet werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Stellungnahmen der Leopoldina als "sehr wichtig" für kommende politische Entscheidungen bezeichnet. Nachdem die Leopoldina bereits zwei gesundheitspolitische Stellungnahmen zur Corona-Pandemie veröffentlicht hatte, widmet sich dieses Papier nun den gesellschaftlichen Folgen der Kontaktverbote - und erhöht somit den Druck auf Bund und Länder, die in dieser Woche über Lockerungen beraten wollen.

Die Voraussetzung für eine Änderung der aktuellen Einschränkungen sei den Forschern zufolge, "dass die Neuinfektionen sich auf niedrigem Niveau stabilisieren, das Gesundheitssystem nicht überlastet wird" und dass Corona-Infizierte besser getestet und gefunden werden können. "Digitale Datenspenden" per App oder Fitness-Armband sollen helfen, die Zahl der Infektionen in der Bevölkerung besser einschätzen zu können. Auch Abstand halten und Mund-Nasen-Schutz werden weiterhin empfohlen. Dann aber könne "zum Beispiel der Einzelhandel und das Gastgewerbe" schrittweise wieder öffnen, heißt es in dem Papier. Auch dienstliche und private Reisen könnten wieder stattfinden.

Besonders konkret widmen sich die Wissenschaftler den Schulen. Sie sollten "so bald wie irgend möglich" wieder öffnen. Die Forschergruppe empfiehlt, bei den Grundschulkindern zu beginnen, denn sie benötigten die meiste Unterstützung, und ihre Eltern seien auf die Betreuung angewiesen. Sie könnten zeitversetzt in Kleingruppen von maximal 15 Schülerinnen und Schülern unterrichtet werden, für den Anfang lediglich in den Fächern Deutsch und Mathematik. Voraussetzung seien "für eine längere Übergangszeit" aber Abstand und auch "Mund-Nasen-Schutz". Beginnen sollten den Forschern zufolge die älteren Grundschulkinder, die jüngeren könnten dann "stufenweise" folgen. Auch die Kindergärten und Kindertagesstätten sollten demnach wieder beginnen, diejenigen Kinder, die nach den Sommerferien eingeschult werden sollen, in Fünfergruppen zu betreuen. In weiterführenden Schulen sei dagegen weiterhin Fernunterricht leichter umzusetzen. Hier sollte der Schulbetrieb zuerst wieder in "Jahrgangsstufen aufgenommen werden, die vor dem Abschluss stehen".

Das neue Papier soll die früheren Einschätzungen der Virologen nicht ersetzen, sondern ergänzen, erläuterte der Berliner Physiker Dirk Brockmann, der zu den Verfassern der Stellungnahme zählt. Man habe sich gezielt "dem anderen Ende des Systems" zugewandt, den Menschen und der Gesellschaft. So spielen hier auch soziale Probleme und häusliche Gewalt eine größere Rolle.

Die Reaktionen der Politik auf das Papier waren am Montag gemischt. Der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans warnte, die Beschränkungen würden zunehmend auch "zur psychischen und wirtschaftlichen Belastung". Ihm sei "ein Haushaltswaren- oder ein Möbelgeschäft, das ich nur mit Atemschutz betreten kann, jedenfalls lieber als geschlossene Läden, die die Versorgung einschränken und Hunderttausende wirtschaftliche Existenzen bedrohen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Schulen noch lange geschlossen zu halten, sei für Eltern und Kinder "unzumutbar". Sie zu öffnen, hieße aber, "dass die Infektionsgefahr deutlich ansteigen wird". Jede Lockerung bleibe daher "eine Gewissensfrage, die nicht nur zwischen, sondern auch in den Parteien" intensiv diskutiert werden müsse.

Aus Kreisen der bayerischen Staatsregierung hieß es, man befasse sich intensiv mit Ausstiegsszenarien - der Zeitpunkt für Lockerungen sei allerdings noch nicht gekommen. Man sei um ein einheitliches Vorgehen von Bund und Ländern bemüht. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) war in der Vergangenheit mehrfach mit stärkeren Einschränkungen vorgeprescht.

Die Metall- und Elektroindustrie machte unterdessen Druck. Als erste Betriebe müssten die Autohäuser wieder öffnen, sagte der Hauptgeschäftsführer ihres Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Oliver Zander. Die Politik müsse wieder Nachfrage ermöglichen.

© SZ vom 14.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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