Weshalb der Westen Mauretanien verschont:Sklaven statt Islamisten

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Glaubt man Menschenrechtlern, dann bekämpft die autoritäre mauretanische Regierung Sklaverei in ihrem Land nur auf dem Papier. Doch im Westen kritisiert kaum ein Staat Mauretanien dafür öffentlich. Warum eigentlich?

Frederik Obermaier und Niklas Schenck

Die internationale Gemeinschaft hat gute Gründe, nicht zu hart mit Mauretanien ins Gericht zu gehen: Sie braucht das Land im Kampf gegen islamistischen Terror und als Bollwerk gegen Immigration aus den Sahel-Staaten. Glaubt man den Aktivisten von SOS Esclaves oder der "Bewegung für die Wiederbelebung des Abolitionismus in Mauretanien" (IRA) von Biram Dah Abeid, dann bekämpft die mauretanische Regierung Sklaverei nur auf dem Papier. Immer wieder bestreiten Politiker in Interviews, dass die Praxis heute überhaupt noch existiert. Tatsächlich lebt jeder fünfte Einwohner in Unfreiheit. Doch kaum ein Land kritisiert Mauretanien dafür öffentlich. Warum eigentlich nicht?

Überall auf der Welt ist Leibeigenschaft verboten, auch in Mauretanien. Doch tatsächlich lebt in dem Land jeder fünfte Einwohner in Unfreiheit - so wie diese Bewohner eines Slums nahe der Hauptstadt Nouakchott. Die Aufnahme entstand im Jahre 2007. (Foto: Reuters)

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass ausländische Regierungen im Bild sind. Schließlich finden Diplomaten intern durchaus deutliche Worte. Das verrät zum Beispiel ein Blick in die Depeschen der US-amerikanischen Botschaft in Nouakchott, die Wikileaks im Jahr 2011 öffentlich zugänglich gemacht hat. Darin wurde etwa die UN-Sonderberichterstatterin für Sklaverei, Gulnara Shahinian, mit den Worten zitiert, ein Gesetz von 2007 sei der typische Fall eines "Lippenbekenntnisses an die internationale Gemeinschaft" - eine Einschätzung, die auch Thorsten Koch von Amnesty International teilt.

Zugleich vertraut Shahinian der US-Botschafterin an, dass sie den mauretanischen Präsidenten Aziz ermutigen wolle, seine Versprechen zu erfüllen. Sie werde sich deshalb verkneifen, zu ihrem damals aktuellen Bericht an die Vereinten Nationen "eine offen kritische Pressemitteilung herauszugeben". Im Gespräch mit der SZ findet sie daran nichts Außergewöhnliches. "Ich muss eben drauf achten, dass ich die Tür nicht zuschlage, die sich jetzt gerade einen Spalt geöffnet hat. Immerhin gestand der Präsident bei einem Treffen mit mir 2009 erstmals ein, dass es Sklaverei noch gibt."

Auch die verschiedenen US-Botschafter selbst haben stets deutliche Worte gefunden, das zeigen die Depeschen. Im Juni 2009 kritisierte Mark Boulware, dass Behörden Sklavenhalter nicht rechtlich verfolgten. Im Juli gestand ihm ein Berater des mauretanischen Justizministers, dass seine Regierung bei der Umsetzung des Anti-Sklaverei-Gesetzes versagt habe.

Im November traf Boulware neun befreite Sklaven und beschrieb ihre Geschichten in einer Depesche. Sie gleichen denen von Mohammed Abderrahman in Ludwigslust, Yahya Ould Brahim in Paris und Mbarka Mint Essatim in Nouakchott: Als kleine Kinder getrennt von ihren Eltern und Geschwistern, Eigentum "weißer" Besitzer ohne Recht auf Eigentum, Erbe oder Schulbildung, Analphabeten ohne Zugang zur Schule. Die wenigsten wüssten, dass ein Gesetz Sklaverei verbiete. Boulware schrieb, es gebe "keinerlei Hilfen der Regierung, die Opfer in die Gesellschaft zu integrieren. Ihnen wird nicht geholfen, zu lernen, wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen können." Am nächsten Tag setzte er einen ausführlichen Hintergrundbericht über Sklaverei ab. Darin beschreibt er sie als tief verwurzelt im mauretanischen Kastensystem.

Die USA und Frankreich, aber auch die EU, könnten Mauretanien durchaus unter Druck setzen, indem sie drohten, alle nicht humanitären Hilfsgelder zu streichen. Warum sie das nicht tun, analysiert der US-Amerikaner Kevin Bales in seinem Buch Die neue Sklaverei. "Die UN, die USA und Frankreich brauchen Mauretanien gegen den islamischen Fundamentalismus", schreibt er. Damit meint er sowohl den staatlichen Islamismus im Nachbarland Algerien als auch den von Organisationen wie Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) und Ansar Dine, einer Gruppe, die erstmals international wahrgenommen wurde, als sie im April 2012 mit den Tuareg-Rebellen im Norden Malis kooperierte.

Sklaverei in Mauretanien
:Der Kampf des Biram Dah Abeid

Sklaverei in Mauretanien

2008 putschte sich Mohamed Ould Abdel Aziz erst an die Macht und zementierte seine Macht dann durch Präsidentschaftswahlen. Bei Wikileaks kann man nachlesen, was er der US-Botschaft 2009 zusicherte: Er werde "die Fluttore öffnen" für die Sicherheitszusammenarbeit mit den USA. Washington hilft dem Land mit Militärtraining und Polizeiausbildung. Die Sicherheitskooperation liegt im Interesse der mauretanischen Regierung, denn die Propaganda islamistischer Fundamentalisten findet vor allem bei den unterdrückten, besitzlosen (Ex-)Sklaven Gehör.

Von den Sklavenhaltern als Störenfried verhasst, von den einfachen Leuten als Held verehrt: Aktivist Biram Dah Abeid versucht seit langem, Leibeigene in Mauretanien zu befreien. Nun sitzt er im Kerker. (Foto: Niklas Schenck)

Mitte der neunziger Jahre begann Mauretanien, bis dahin ein Verbündeter von Saddam Hussein, bei Resolutionen der UN-Vollversammlung mit den USA gegen Irak abzustimmen. Danach, so ein Artikel im New Yorker im Jahr 2000, folgte die US-Regierung nach außen der offiziellen Sprachregelung der mauretanischen Regierung: In dem Land gebe es nur noch "Spuren von Sklaverei", nicht mehr die Praxis selbst.

Franzosen und Spanier wiederum haben noch ein anderes Interesse, Mauretanien als Partner nicht zu verlieren: Das Land nimmt bereitwillig Flüchtlinge zurück, die es irgendwie nach Europa geschafft haben, und hilft, Migranten aus anderen Staaten südlich von Mauretanien frühzeitig abzufangen.

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex verhandelt darüber, die bilateralen Abkommen der beiden Länder mit Mauretanien in "Working Arrangements" umzuwandeln, die für die gesamte EU gelten. "Klar braucht Frankreich uns im Kampf gegen Immigration und Terrorismus, aber das darf nicht ihren Blick für die Sklaverei trüben", sagt Fatimata Mbaye, eine Anwältin in Nouakchott, die immer wieder Verfahren gegen Sklaverei anstrengt. Sonst könnte sich das rächen. "Befreite Sklaven werden nicht automatisch Terroristen, aber so wie sie jetzt behandelt werden, werden manche von ihnen irgendwann Revolten anzetteln."

Unerwartete Hilfe bekamen die Sklavereigegner zuletzt ausgerechnet aus Saudi-Arabien. Imame in den mauretanischen Moscheen und die Ulema, die Rechtsgelehrten der Scharia-Gerichte, hatten gegenüber Aktivisten, Journalisten und auch den US-Diplomaten die Existenz von Sklaverei immer wieder bestritten. Im April 2012 nun verlas der Imam von Medina im Radio Qu'ran, das in Mauretanien empfangen wird, eine Fatwa.

Er sagte, dass Saudis sich "von ihren Sünden befreien und reinwaschen" könnten, indem sie für etwa 2000 Euro einen mauretanischen Sklaven kaufen und ihm die Freiheit schenken. Das wurde in Mauretanien gesendet und schlägt seither hohe Wellen: Die Medien verstehen es als Eingeständnis der Sklaverei.

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