Kurdenkonflikt:Erdoğan zerstört seine eigenen Bemühungen

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Öcalans Konterfei ist auch auf einer Mahnwache für die Toten des Anschlags in Suruç zu sehen. (Foto: REUTERS)

Es war Erdoğan, der eine Lösung für den Konflikt mit den Kurden forderte. 2005, als er ein Tabu brach.

Von Antonie Rietzschel und Christoph Meyer

August 2005: Der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan bricht ein Tabu. Bei seinem Besuch der Kurdenprovinz Diyarbakır spricht er als erster Regierungschef seines Landes von einem "Kurdenproblem". Gelöst werden könne es nur durch den Ausbau der Demokratie und die Schaffung von Wohlstand. Bisher hatte der türkische Staat die Existenz einer kurdischen Bevölkerungsgruppe bestritten. Die Opposition kritisiert Erdoğan für seine klaren Worte und wirft ihm vor, die Einheit des Landes zu gefährden. Auch das mächtige Militär stellt sich gegen den Politiker.

Mai 2008: Um den wirtschaftlichen Aufschwung in den verarmten Kurdengebieten zu fördern, investiert die türkische Regierung Milliarden Lira. Durch ein spezielles Programm will Erdoğan nicht nur die Situation der kurdischen Minderheit verbessern, sondern auch den Rückhalt für die verbotene Rebellengruppe PKK schwächen.

Mai 2009: Erneut gibt es Grund für Optimismus. Anfang des Jahres öffnet der erste kurdische TV-Sender in der Türkei. Monate später erklärt der türkische Staatspräsident Abdullah Gül das Kurdenproblem zu einer der wichtigsten Herausforderungen der Türkei. 2009 sei das Jahr der Chance, den Kurdenkonflikt beizulegen, so Gül. Im Rahmen einer "kurdischen Initiative" regt Erdoğan an, kurdische Ortsnamen für Dörfer im Kurdengebiet wieder einzuführen, die nach dem Militärputsch von 1980 türkische Namen erhalten hatten ( Überblick über die Bemühungen 2009).

März 2010: Die türkische Regierung kündigt weitere Reformen an: Politiker sollen bei Wahlkämpfen auch auf Kurdisch um Stimmen werben können. Außerdem sollen kurdische Sprachinstitute an Universitäten entstehen, in Radio und Fernsehen mehr kurdische Sendungen ausgestrahlt werden. Begleitet wird der Prozess durch mehrere geheime Treffen in Oslo - zwischen Vertretern des türkischen Geheimdienstes und der PKK.

Chef der türkischen Kurdenpartei HDP
:"Unser einziges Verbrechen war, dass wir 13 Prozent geholt haben"

Erdoğan sagt: Schluss mit dem Friedensprozess mit den Kurden. HDP-Chef Demirtaş wirft dem türkischen Präsidenten vor, die Kurdenpartei für ihren Wahlerfolg bestrafen zu wollen.

September 2011: Erdoğan erklärt die Verhandlungen in Oslo als gescheitert. Doch das Vertrauen war bereits zuvor erschüttert. Nachdem die türkische Regierung mehrere Kurden hatte einsperren lassen - darunter Bürgermeister, Aktivisten und Anwälte - galt Ankara in den Augen der kurdischen Verhandlungspartner als nicht mehr glaubwürdig. Als die PKK im Juli 2011 in der kurdischen Provinz Diyarbakır 13 türkische Soldaten tötet, kommt es erneut zu Kämpfen, die bis 2013 andauern (mehr dazu hier)

Dezember 2012: Der türkische Geheimdienst nimmt Verhandlungen mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan auf.

März 2013: Die PKK lässt acht türkische Geiseln frei, um ihren guten Willen zu signalisieren. Wenige Tage später ruft Abdullah Öcalan zu einer Waffenruhe auf. In einer in Diyarbakır verlesenen Erklärung fordert er die Kämpfer auf, sich aus der Türkei zurückzuziehen. "Das ist nicht das Ende, das ist der Beginn einer neuen Ära", so Öcalan. Doch in den darauffolgenden Monaten zieht die PKK ihre Ankündigung zurück, Kämpfer abzuziehen. Mehrere türkische Soldaten werden entführt. Trotz des Zwischenfalls erklärt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan, den Friedensprozess fortsetzen zu wollen.

Oktober 2014: Während IS-Kämpfer ihre Kontrolle über die syrische Stadt Kobanê immer stärker ausweiten, verhindert die Türkei, dass den Verteidigern kurdische Peschmerga-Kämpfer aus dem Nordirak zu Hilfe kommen. PKK-Chef Öcalan droht mit einem Abbruch der Friedensgespräche. Die Türkei lenkt schließlich ein, lässt Kämpfer die Grenze passieren.

Kampf der Türkei gegen den IS
:Chronologie einer Eskalation

An der türkisch-syrischen Grenze wurde in der Stadt Suruç, im Südosten der Türkei, ein Anschlag verübt. Es folgt eine Wende in Ankaras Außenpolitik.

Februar 2015: Der Abgeordnete der prokurdischen Partei HDP, Sırrı Süreyya Önder verliest eine Erklärung von Öcalan. Der fordert seine Mitglieder auf, das Ende des bewaffneten Kampfes zu beschließen. Öcalan fordert eine "strategische und historische Entscheidung". Der türkische Vize-Ministerpräsident Yalçın Akdoğan sagt, seine Regierung sei daran interessiert, die Friedensverhandlungen mit der PKK zum Abschluss zu bringen. Zum kurdischen Neujahrsfest im März sind die Hoffnungen groß, dass es zu einer Einigung kommt.

Juni 2015: Bei der türkischen Parlamentswahl erreicht die prokurdische Partei HDP überraschend 13 Prozent der Stimmen und verhindert so eine absolute Mehrheit für die AKP. Der Einzug der kurdenfreundlichen Partei macht Hoffnungen auf eine baldige Lösung.

Juli 2015: Der türkische Staatspräsident Erdoğan bricht den Friedensprozess mit den Kurden ab. Politiker mit Verbindungen zu terroristischen Gruppen sollten ihre Immunität verlieren und juristisch belangt werden, sagte Erdoğan Medienberichten zufolge. Die Spannungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK hatten sich zuletzt deutlich verschärft. Hintergrund ist ein Selbstmordanschlag in der Grenzstadt Suruç mit 32 Toten in der vergangenen Woche, für den der IS verantwortlich gemacht wird. Viele Kurden geben der Regierung in Ankara jedoch eine Mitschuld. Sie werfen ihr vor, die Aktivitäten der Dschihadisten zu lange geduldet zu haben. Die PKK hatte nach dem Anschlag mehrere Attentate auf türkische Polizisten verübt.

Mit Material von dpa und Reuters

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