BND-Spionageprozess:Arthur E. packt weiter aus

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Mitte Dezember begann in Berlin-Schöneberg einer der wohl größten Spionageprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik. (Foto: Reuters)

Der Geschäftsmann soll Geheimpapiere des BND nach Russland transportiert haben. Vor dem Berliner Kammergericht belastet er auch den Hauptangeklagten, BND-Mitarbeiter Carsten L.

Von Sebastian Erb, Berlin

Wenn es stimmt, was Arthur E. erzählt, dann ist er in die Spionageaffäre eher so hineingerutscht. Im September 2022 habe er einen Anruf von seinem Bekannten beim BND bekommen: "Ich hätte was für Russland, für deinen Freund." Also sei er nach Pullach gefahren, so schildert es E., dort habe ihm Carsten L. einige Zettel gegeben. Die habe er im Kofferraum des Autos abfotografiert und sei noch am selben Tag nach Moskau geflogen. Die abfotografierten Listen habe er ausgedruckt und in einer Wohnung seines russischen Bekannten einem Mann übergeben. Er habe nicht gewusst, für wen dieser arbeite. Das habe er ihm erst am Tag darauf bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch verraten.

Arthur E. - 32 Jahre alt, kahl geschorener Kopf, schwarze Kleidung, weiße Turnschuhe - ist Angeklagter in einem der größten Spionageprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Generalbundesanwalt (GBA) wirft ihm und dem BND-Mitarbeiter Carsten L., 53, Landesverrat in besonders schweren Fällen vor. Sie sollen Geheiminformationen an Russland verkauft haben.

Arthur E. ist gleichzeitig Angeklagter und wichtigster Zeuge der Anklage

Aber der Geschäftsmann E. ist zugleich eine Art Hauptbelastungszeuge, er hat mit den Ermittlern kooperiert und ausgepackt. Und nun spricht er auch vor dem Kammergericht in Berlin-Schöneberg. Am Donnerstagvormittag durfte Arthur E. den Sicherheitsglaskasten in Saal 145a ausnahmsweise verlassen. Er sitzt am Tisch vor der Richterbank, einer seiner Anwälte neben ihm.

Am Tag zuvor schon hat er sich eingelassen. In einer knappen Dreiviertelstunde spannte er den Bogen vom ersten Treffen mit Carsten L. im Mai 2021, das über einen privaten Kontakt zustande kam, bis zu seiner Verhaftung kurz nach Weihnachten 2022. Dabei war er über viele relevante Details hinweggehuscht, andere hatte er bewusst genannt. Etwa, wie er in Berlin zusammen mit Carsten L. und einem Verbindungsführer des BND in die Spielbank und ins Großbordell Artemis gegangen sei. E. war damals auf dem Weg, selbst eine "nachrichtendienstliche Verwendung" zu werden, wie der BND seine Quellen nennt. Als Geschäftsmann reiste er oft nach Afrika, handelte mit Diamanten und Edelmetallen - offenbar interessant für den deutschen Auslandsgeheimdienst.

"Irgendwann kam ein Anruf aus Russland, dass sie mehr solche Listen haben wollen", sagt E. Das habe er komisch gefunden, weil der Empfänger beim ersten Mal gar nicht sonderlich beeindruckt vom Material gewesen sei, er habe sich mehr für die Person hinter den Listen interessiert. E. sagt, er habe dann in Berlin weitere Listen bekommen. Einen Teil habe er selbst in Carsten L.s Apartment abfotografiert, andere habe L. im BND-Gebäude mit E.s Handy aufgenommen. Und wieder nach Moskau. Inzwischen kannte er den Empfänger seiner Kurierdienste: den russischen Inlandsgeheimdienst FSB.

E. wollte offenbar vor allem Geschäfte machen

Die - nicht näher spezifizierten - Listen hätten seine Ansprechpartner wieder "unspektakulär" gefunden. Sie seien offenbar nicht aktuell gewesen und nicht chronologisch. Die FSB-Leute hätten auf die Beantwortung eines Fragenkatalogs gedrängt, mitgegeben beim ersten Moskau-Besuch. Die Fragen drehten sich laut E. alle rund um den Krieg in der Ukraine, um westliche Aktivitäten, Waffensysteme. Carsten L. und er hätten diese aber nicht beantworten können und wollen, sie hätten sich ein bisschen was zusammengegoogelt. Die FSB-Männer hätten ihm dann noch zwei Handys gegeben, zur direkten Kommunikation.

Das war alles ein ganz schöner Aufwand, stellt der Vorsitzende Richter Detlev Schmidt fest. "Warum macht man das?"

Er habe die Hoffnung gehabt, mit seinem russischen Bekannten ins Geschäft zu kommen, sagt E. - lukrative Projekte in Afrika. Der Bekannte heißt Visa M., ist ein steinreicher Unternehmer mit guten Verbindungen in die russische Regierung. Er hat E. zufolge den Kontakt zum FSB hergestellt. E. wiederum wollte ihm dabei behilflich sein, einer Niederlassungserlaubnis in Deutschland zu bekommen - und hatte Carsten L. dafür um Unterstützung gefragt. Ein Geben und Nehmen, das zum Landesverrat führt?

Carsten L. und Arthur E. sollen für ihre Dienste viel Geld bekommen haben

Er habe sich auch nicht mit dem FSB anlegen wollen, sagt Arthur E., seine Familie lebe teils noch in Russland. Im Restaurant habe ihm einer der russischen Agenten seine Waffe gezeigt - "eine Drohung".

Am Rande erwähnt Arthur E. auch eine mögliche Motivation des Hauptangeklagten: Carsten L. habe bei einem Treffen, bei dem auch Visa M. dabei war, seine Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik in Deutschland geäußert. Visa M. habe gesagt: "Wenn wir unseren Ländern etwas Gutes tun können, bin ich gerne bereit, mitzuwirken." Auf die deutsch-russische Freundschaft.

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Es könnte noch eine andere Motivation gegeben haben: Geld. Die Anklage wirft Carsten L. und Arthur E. vor, dass sie für ihre Dienste großzügig entlohnt wurden, mit mindestens 450 000 beziehungsweise 400 000 Euro. Dazu scheint ein Treffen Mitte November 2022 in Moskau zu passen. Dort habe er von einem FSB-Mann "ein paar Umschläge" bekommen, ungefähr DIN-A4-groß, so berichtet es Arthur E. Ihm sei klargemacht worden, dass diese bei Carsten L. ankommen müssten. Zurück in Deutschland habe er ihm die Umschläge übergeben.

War in den Umschlägen Bargeld? Und falls ja, wusste das Arthur E.? Das wird er an diesem Tag nicht gefragt. Der Vorsitzende Richter will zunächst detaillierte Nachfragen ausarbeiten und beendet die Sitzung. Arthur E. hat signalisiert, dass er weiter aussagebereit ist.

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