Möglicher Bundeswehreinsatz in Syrien:"Alle Streitkräfte der Welt planen in Szenarien"

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Werden demnächst Tornado-Kampfjets der Bundeswehr Einsätze über Idlib fliegen? (Foto: Oliver Pieper/dpa)
  • Das Verteidigungsministerium prüft ein Eingreifen der Bundeswehr in den Syrienkonflikt, sollte Machthaber Assad erneut Giftgas einsetzen.
  • Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles lehnt einen solchen Schritt entschieden ab, die Sozialdemokraten würden dem "weder in Regierung, noch im Parlament" zustimmen.
  • Luftschläge in Syrien wären mit erheblichen Risiken verbunden. Die russische Luftabwehr gilt als äußerst effektiv.

Von Daniel Brössler und Mike Szymanski, Berlin

Es sei ein, wiegelt der Sprecher von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ab, "sehr hypothetischer Fall". Eine "imaginäre Debatte über einen nicht existierenden Fall" macht SPD-Chefin Andrea Nahles aus. An "Spekulationen" werde er sich nicht beteiligen, lässt Regierungssprecher Steffen Seibert wissen. "Es ist reine Spekulation", sagt auch FDP-Chef Christian Lindner. Ähnlich äußert sich der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch. Sie sei ja "sonst immer für vorausschauende Politik und für Nachhaltigkeit", meint auch die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, "aber ich finde, da verschwendet man seine Energie derzeit an der falschen Stelle". Diesmal ist in Berlin wirklich die ganz große Koalition angetreten, um eine Debatte totzutreten.

Die Bild-Zeitung hatte zuvor berichtet, von der Leyen lasse auf Bitten der Verbündeten prüfen, wie sich die Bundeswehr an möglichen militärischen Vergeltungsschlägen beteiligen könne für den Fall, dass der syrische Präsident Baschar al-Assad erneut Giftgas einsetzt. Es ist dies eine Befürchtung, die innerhalb der Bundesregierung offenbar für nicht gar so spekulativ gehalten wird. "Die Situation in Syrien, in Idlib im Speziellen, ist ja so, dass man wirklich große Sorgen haben muss, dass sich dort entsetzliche Muster aus andern syrischen Kampfschauplätzen wiederholen könnten", sagt Seibert. Hunderttausende seien in Gefahr. Darüber spreche man natürlich mit den Amerikanern wie auch mit den europäischen Verbündeten. Eine konkrete Bitte der USA, Großbritannien und Frankreichs bestätigt er aber nicht. Es habe keine Situation gegeben, "in der jetzt eine Entscheidung zu fällen gewesen wäre".

Unbestritten ist, dass im Verteidigungsministerium verschiedene Szenarien durchgespielt werden. Eine "Selbstverständlichkeit" nennt das von der Leyens Sprecher. "Alle Streitkräfte der Welt planen in Szenarien und müssen das auch tun", sagt er. Das sage aber nichts aus "über die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario auch eintritt".

Konkreter und fordernder wird da bislang nur einer aus der CDU: "Wenn es darum geht, einen neuen schrecklichen Giftgasangriff mit massenhafter Wirkung auf die Zivilbevölkerung zu verhindern, sollte sich Deutschland dem nicht verschließen", sagte Norbert Röttgen den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Bundeswehr sollte prinzipiell bereit sein, "sich an Aufklärungsflügen, Schadensanalysen nach Kampfeinsätzen und an Kampfeinsätzen zu beteiligen", forderte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Manchmal liege "auch in der Vergeltung eines Giftgasangriffes eine Abschreckung für weitere Einsätze von Chemiewaffen".

In den Planspielen des Verteidigungsministeriums wird es nicht zuletzt aber auch darum gehen, welchen Beitrag die Bundeswehr realistischerweise überhaupt leisten kann. Der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Syrien und im Irak hilft die Bundeswehr mit Tornado-Aufklärungsjets und mit Airbus-Tankflugzeugen. Bei westlichen Vergeltungsschlägen nach einem Einsatz von Giftgas könnten die Deutschen äußerstenfalls auch gebeten werden, sich mit Tornados an Bombenangriffen zu beteiligen.

Eine Beteiligung wäre mit erheblichen Risiken verbunden

Vor ein paar Monaten haben die Verbündeten der Bundesregierung eine solche Entscheidung noch erspart. Als Antwort auf den Einsatz von Chemiewaffen starteten Amerikaner, Briten und Franzosen im April begrenzte Raketenangriffe auf Ziele in Syrien. Weder wurde Deutschland damals um Mithilfe gebeten noch bot es sich von sich aus an. "Wir unterstützen, dass alles getan wird, um ein Zeichen zu setzen, dass der Einsatz von Chemiewaffen nicht akzeptabel ist", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel damals, fügte allerdings gleich hinzu: "Deutschland wird sich an einer eventuellen militärischen Aktion nicht beteiligen." Diese Linie ließ die Frage offen, unter welchen Voraussetzungen sich Deutschland in der Pflicht sehen würde, Schläge nicht nur zu begrüßen, sondern sich an ihnen auch zu beteiligen.

Für die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles ist die Antwort klar: unter gar keinen. Die SPD werde "weder in der Regierung noch im Parlament einer Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien zustimmen", stellt sie gereizt klar. Dies solle wissen, "wer auch immer heimlich an solchen Plänen arbeitet oder auch nicht heimlich". Heiko Maas als Außenminister bemühe sich mit der Türkei und Russland, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Für militärische Überlegungen fehle die "völkerrechtliche Legitimation". Diese Argumentation ist insofern interessant, als das Auswärtige Amt unter dem SPD-Minister Maas die Luftangriffe der Verbündeten im April als "angemessen und erforderlich" bewertet hatte. An dieser Einschätzung habe sich nichts geändert, sagte am Montag ein Sprecher des Ministeriums.

Das lässt vermuten, dass die Bundesregierung es auch künftig für "erforderlich" halten könnte, dass andere militärisch auch dann eingreifen, wenn sie selbst die völkerrechtliche Grundlage für zu dünn hält. Es ist dies eine Position, die für einen Außenminister gegenüber den Verbündeten nicht ohne Weiteres zu erklären ist. "Andrea Nahles hat natürlich vollkommen recht, dass die Bundesregierung sich natürlich auf dem Boden des Grundgesetzes und des Völkerrechtes bewegen wird", lässt Heiko Maas dennoch wissen. Alles, was man tue, bewege sich in diesem und im Rahmen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, bekräftigt auch von der Leyens Sprecher. Jeder bewaffnete Einsatz im Ausland bedarf demnach der Zustimmung des Bundestages, bei Gefahr im Verzug ausnahmsweise auch nachträglich.

Klar ist, dass eine Beteiligung mit erheblichen Risiken verbunden wäre. Die in Syrien stationierten Luftabwehrsysteme der russischen Armee gelten als äußert effektiv - ein Eindringen in den Luftraum dürfte kaum unbemerkt bleiben. Beim Angriff in April wurden diese Systeme nicht eingesetzt. Man habe den Schlag lediglich beobachtet, hieß es hinterher aus Moskau. Das russische Militär war damals jederzeit im Bilde, was auf Syrien im Anflug war. Kein Flieger der westlichen Verbündeten war deshalb dem syrischen Luftraum auch nur nahegekommen.

Es sei wichtig, "dass wir alle Handlungsmöglichkeiten prüfen - auch ein militärisches Handeln müssen wir natürlich erwägen", sagt der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Henning Otte. In der SPD mag man das nicht so sehen, in Teilen der Opposition schon. "Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen, von Giftgas, ist ein Menschheitsverbrechen, das geächtet und geahndet werden muss durch die internationale Gemeinschaft", sagt FDP-Chef Lindner. In so einem Fall könne dann auch Deutschland nicht abseits stehen. Gegen "offensive Beiträge" spreche allerdings schon der Zustand der Bundeswehr.

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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