Konjunktur:Deutschland fällt immer weiter zurück

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Die Forschungsinstitute begründen die Wachstumsschwäche in ihrem Gutachten unter anderem mit der unerwartet geringen Auslandsnachfrage nach deutschen Industriegütern. (Foto: Uwe Anspach/picture alliance/dpa)

Es droht das zweite wirtschaftliche Flautejahr in Folge. Schuld sind nach Ansicht führender Ökonomen Betriebsverlagerungen, die schwachen Exporte - und die Ampelkoalition.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Die Hoffnung war groß gewesen im vergangenen Herbst, mit jedem Monat aber, der ins Land geht, wird klarer: Auch 2024 wird ein Jahr des konjunkturellen Stillstands, der Stagnation, womöglich gar des Rückschritts werden - oder, wie Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) es ausdrückte: "Die Wirtschaft in Deutschland ist angeschlagen."

Das zeigt auch das gemeinsame Frühjahrsgutachten, das fünf führende Wirtschaftsforschungsinstitute am Mittwoch vorgelegt haben. Demnach wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr aller Voraussicht nach um gerade einmal 0,1 Prozent zulegen - also praktisch gar nicht. Noch im September hatten die Experten für 2024 einen Zuwachs von 1,3 Prozent vorhergesagt. Die Prognose für 2025 bleibt mit plus 1,4 Prozent unverändert.

Für die Bundesregierung kommt der Gegenwind bei Wachstum und Steuererlösen im denkbar schlechtesten Moment, denn sie muss zugleich mehr Geld für den klimagerechten Umbau des Landes, die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit und weitere Großprojekte aufbringen. Das Loch im Haushalt wird entsprechend immer größer. Zwar basteln Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) an einem Paket zur Entlastung der Unternehmen und zur Überwindung der Konjunkturkrise. Eine Einigung, ein großer Wurf gar ist bisher aber nicht in Sicht.

Die Vertreter der Wirtschaftsforschungsinstitute hatten am Mittwoch in Berlin keine guten Zahlen zu verkünden. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Forschungsinstitute begründen die Wachstumsschwäche in ihrem Gutachten unter anderem mit der unerwartet geringen Auslandsnachfrage nach deutschen Industriegütern, der schwachen Bauwirtschaft, der hohen Zahl an Krankmeldungen in den Unternehmen sowie gravierenden Strukturproblemen in Branchen, die besonders stark unter den hohen Strom- und Gaspreisen gelitten hätten. Allein die Chemieindustrie produziere nach wie vor 20 Prozent weniger als vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, sagte Timo Wollmershäuser vom Münchener Ifo-Institut. Man müsse davon ausgehen, dass die Firmen einen Teil ihrer Produktion ins Ausland verlagert hätten.

Habeck gibt trotz der geballten Expertenkritik den Optimisten

Deutschland gerät damit international immer mehr ins Hintertreffen, denn andere Länder wie die USA und viele EU-Nachbarn wachsen deutlich stärker. Mitschuld daran ist nach Überzeugung der Ökonomen auch die Ampel selbst, die Unternehmen und Verbraucher mit einer oft widersprüchlichen Politik verunsichere und Investitionen verhindere. "Das Problem der Bundesregierung ist vermutlich, dass sie in sich keinen Konsens über die Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik hat", sagte Kooths. Die Ökonomen kritisieren zudem, dass die Politik das Verhalten von Bürgern und Firmen durch "kleinteilige Subventionen" einerseits und Milliarden-Staatshilfen andererseits zu steuern versuche, statt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für alle zu verbessern.

Darüber hinaus plädieren IfW, Ifo, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sowie die Leibniz-Institute für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) und Essen (RWI) für eine "behutsame" Reform der Schuldenbremse sowie radikale Veränderungen in den Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Gemeinden. Die Defizitregel soll so geändert werden, dass sie im Jahr nach einem wirtschaftlichen Schock und einer Aussetzung der Vorschrift nicht gleich wieder voll greift, sondern über drei Jahre Schritt für Schritt wieder "scharf gestellt wird". Der Bund erhielte so die Möglichkeit, zur Überwindung der Krise in begrenztem Maß zusätzliche Schulden aufzunehmen.

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Zudem wollen die Experten verhindern, dass die Städte und Gemeinden als wichtigste staatliche Auftraggeber ihre Investitionstätigkeit regelmäßig einschränken müssen, sobald die Wirtschaft in eine Flaute gerät und die Einnahmen sinken. Um das zu verhindern, sollen die Kommunen von der Finanzlage des Bundes und der Länder stärker abgekoppelt werden und einen Zuschlag auf die Einkommensteuer erheben dürfen. Auch müsse sich Deutschland mit voller Kraft "um die drei großen D's kümmern: Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung", sagte IWH-Experte Oliver Holtemöller. In allen drei Bereichen gebe es große Mängel.

Auch die schwache Bauwirtschaft gehört zu den Ursachen der Stagnation. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Wirtschaftsminister Habeck zeigte sich trotz der geballten Kritik optimistisch, dass die Firmen bald wieder mit voller Zuversicht in die Zukunft investieren werden. "Dafür bestehen die besten Voraussetzungen: Energiepreise und Inflation haben sich beruhigt, intensiv arbeiten wir am Bürokratieabbau, die Türen für Fachkräfte haben wir weiter geöffnet, die Energiewende kommt solide und planmäßig voran", sagte er. Vor allem aber stiegen die Einkommen der Menschen wieder merklich. Notwendig seien nun weitere Wachstumsimpulse. Habeck: "Daran arbeiten wir in der Regierung."

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