Gut 130 Seiten ist der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD lang. "Deutschlands Zukunft gestalten" haben die Parteien das Dokument überschrieben. In wenigen Wochen geht die Legislaturperiode zu Ende - und die große Koalition hat tatsächlich den größten Teil ihres Vertrages abgearbeitet. Zu den Forderungen, die noch offen sind, gehört die Gleichberechtigung der deutschen Sprache in Brüssel. Deutsch müsse "auch in der Praxis den anderen beiden Verfahrenssprachen Englisch und Französisch gleichgestellt werden", heißt es im Koalitionsvertrag. Darauf pocht auch der Bundestag. In der vergangenen Legislaturperiode wurden 1510 Dokumente der EU-Kommission an Bundestagsausschüsse zur Beratung überwiesen. Davon waren zwar nur zwölf vollständig in englischer Sprache verfasst. Die 1510 Dokumente hatten aber insgesamt 1202 Anhänge und sonstige Anlagen, die nur auf Englisch vorlagen. Bei den nur auf Englisch vorgelegten Dokumenten ging es etwa um Unterlagen zur Handelspolitik, zur Finanztransaktionssteuer oder zur europäischen Polizeibehörde Europol.
Viele Themen seien so komplex, dass man sie sogar mit guten Englisch-Kenntnissen nicht sicher verhandeln könne, wenn die Dokumente nicht auch in Deutsch vorliegen, sagt Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU). Er kann sich dabei auch auf einen Beschluss des gesamten Bundestags stützen, in dem beklagt wird, "dass viele beratungs- und entscheidungsrelevante EU-Dokumente entweder gar nicht oder nur unvollständig in deutscher Sprache vorgelegt werden". Dabei betreibt die EU-Kommission bereits jetzt einen gewaltigen Aufwand. 2,2 Millionen Seiten haben ihre Übersetzer allein im vergangenen Jahr in andere Sprachen übertragen. Mehr als 2000 Mitarbeiter sind in der "Generaldirektion Übersetzung" beschäftigt. Wegen des Spardrucks in Brüssel geht es bei der EU-Kommission derzeit aber eher um einen Ab- als um einen Ausbau der Übersetzer-Stellen.
Singhammer ist jetzt nach Brüssel gefahren, um mit dem zuständigen Haushalts- und Personal-Kommissar Günther Oettinger (CDU) über die Malaise zu reden. Derzeit gebe es bei der EU 106 Mitarbeiter, die für Übersetzungen ins Deutsche zuständig seien, sagt Singhammer. Bei zehn bis 15 dieser Stellen habe die Gefahr bestanden, dass sie wegfallen, wenn Übersetzer altersbedingt ausscheiden. Dadurch wäre der Mangel noch größer geworden. "Oettinger hat jetzt aber die Zusage gegeben, dass keine Stelle abgebaut und alle frei werdenden nachbesetzt werden", sagt Singhammer. Im Februar hatte er bereits zusammen mit dem Vorsitzenden des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), und dem für Europa zuständigen Fraktionsvize der SPD, Axel Schäfer, die Kanzlerin aufgefordert, sich um die Gleichberechtigung der deutschen Sprache in der EU zu kümmern. "Der Bundestag hat eine Reihe von Mitberatungsrechten in der Europapolitik durchgesetzt", sagt Singhammer. Die könne er aber nur dann richtig nutzen, "wenn amtliche Übersetzungen vorliegen". Europa sei "Vielfalt, auch die Vielfalt der Sprachen", das sei "manchmal teuer, aber immer unverzichtbar".