Corona-Proteste:Deutschland erlebt einen neuen Pegida-Moment

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Stuttgart: Zahlreiche Menschen nehmen auf dem Cannstatter Wasen an der Protestkundgebung der Initiative "Querdenken" teil. (Foto: dpa)

Die Gesellschaft steckt abermals in einem Dilemma: Wie umgehen mit einer Protestgruppe, die Extremisten und ernsthaft besorgte Bürger vereint? Gefragt ist jetzt vor allem eine klare Haltung.

Kommentar von Antonie Rietzschel

Besorgte Bürger und der Dialog mit ihnen - das ist die Spezialität von Michael Kretschmer. Sachsens Ministerpräsident führte ihn auch am Wochenende auf einer "Hygiene-Demo". Er erschien ohne Maske. Auch den Sicherheitsabstand hielt er nicht ein. Kretschmer fügte sich also gut ein in den Protest.

Er wurde dennoch unflätig beschimpft. In ganz Deutschland gingen an diesem Wochenende Tausende auf die Straße, um zu demonstrieren. Auch für die kommenden Wochen sind weitere Proteste angekündigt. Die Aufrufe verbreiten sich schnell in diversen Chatgruppen. Ebenso die neuesten Fake-News, die den Protest befeuern. Dass sich diese Bewegung angesichts wachsender Lockerungen selbst erledigt, ist also reines Wunschdenken.

Michael Kretschmer (rechts), Ministerpräsident von Sachsen, spricht im Großen Garten in Dresden mit Anhängern von Verschwörungstheorien zur Corona- Krise. (Foto: dpa)

So steckt die Gesellschaft im selben Dilemma, in dem sie sich schon 2014 befand: Wie umgehen mit einer Protestgruppe, die Extremisten und ernsthaft besorgte oder auch nur konfuse Bürger vereint? Was tun mit Menschen, die behaupten, sie seien an Dialog interessiert, dann aber Andersdenkende niederbrüllen? Deutschland erlebt einen neuen Pegida-Moment - und könnte von Fehlern im Umgang mit der Bewegung lernen.

In den Anfängen von Pegida war man sich uneins, ob es sich nun um Rechtsextreme handelt, oder um Wutbürger, mit denen man reden müsse. Die zweite Sicht setzte sich durch. Leider. Es gab Diskussionsrunden, zu denen auch Prominenz aus der Bundespolitik anreiste. Pegida saß in Talkshows. Pegida bekam eine Stimme.

All das hat nicht verhindert, dass sich die Bewegung radikalisierte. Deren Anhänger stellten in Dresden einen Galgen für Bundeskanzlerin Angela Merkel auf. Später explodierte vor einer Dresdner Moschee ein Sprengsatz. Gelegt hatte den ein bis dahin unauffälliger Bürger. Bei den Demonstrationen hatte er seine Bestimmung gefunden. Später marschierte Pegida in Chemnitz an der Seite von Neonazis.

Heute ist die Gruppe der Protestierenden deutlich komplexer. Da treffen Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten, Esoteriker oder Impfgegner aufeinander. Zwischen den einzelnen Lagern gibt es aber auch nicht erst seit der Corona-Krise Allianzen. Auch wer sich für links oder weltoffen hält, kann demokratiefeindlichen und antisemitischen Positionen anhängen. Auch heute eint die Bewegung eine diffuse Angst, der Hass auf eine angebliche korrupte Machtelite. Wer jetzt davon redet, man müsse aufstehen gegen ein totalitäres System, gegen eine Diktatur, dem geht es nicht um Demokratie, sondern um eine gefährliche Selbstermächtigung. Wozu das führen kann, zeigen die Anschläge in Hanau und Halle.

Es braucht also keinen Dialog, sondern eine klare Haltung. Es ist wichtig, dass sich Menschen Gedanken um ihre Grundrechte machen. Ebenso wichtig ist es jedoch, die Demokratiefeinde auszumachen, die von der Angst profitieren wollen. Entscheidend ist die Abgrenzung: Wer sich nicht mit Reichsbürgern, der AfD oder Neonazis gemein machen will, demonstriert nicht mit ihnen.

Aufmerksamkeit haben jene verdient, die auch in der Krise Vertrauen in die Demokratie haben. Sie sind in der Mehrheit und brauchen Politiker, die Entscheidungen erklären und klar machen können, dass sich Einschätzungen auch ändern dürfen. Politiker müssen in diesem Moment Vorbilder sein, indem sie sich etwa an die von ihnen beschlossenen Regeln halten. Etwa an die Maskenpflicht.

© SZ vom 18.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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