Koalitionsvertrag:Mehr Schulden, weniger Steuern

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Die Koalition will Steuern senken - und damit vor allem gutsituierte Familien belohnen. Die Verlierer stehen auch schon fest.

C. Hulverscheidt und G. Bohsem

Sind Sie Besserverdiener, privat oder freiwillig gesetzlich krankenversichert, haben Kinder, produzieren kaum Müll und erledigen Ihren Schriftverkehr per E-Mail? Dann haben Sie allen Grund, heute Abend eine Flasche Sekt aufzumachen, denn Sie gehören zu den Menschen, die vom kommenden Jahr an tatsächlich "mehr Netto vom Brutto" haben werden - ganz so, wie es die künftige Regierungskoalition aus Union und FDP im Wahlkampf versprochen hatte.

Bis 2013 fehlen dem Staat knapp 80 Milliarden Euro. (Foto: Foto: dpa)

Allerdings: Mit der Feierlaune könnte es rasch vorbei sein, denn in den Folgejahren wird ein großer Teil der Steuernachlässe von höheren Sozialversicherungskosten wieder aufgefressen werden.

Noch ärmer dran sind kinderlose, weniger gut verdienende Briefeschreiber, die viel Müll produzieren: Sie müssen sich mittelfristig auf höhere Belastungen einstellen - unter anderem deshalb, weil Schwarz-Gelb die Umsatzsteuerprivilegien öffentlicher Firmen und der Post abschaffen will. Damit könnten die Müllgebühren und das Briefporto steigen.

Natürlich, die Fälle sind konstruiert, dennoch zeigen sie, wer für CDU, CSU und FDP in den kommenden vier Jahren im Mittelpunkt ihrer Steuer- und Abgabenpolitik stehen soll: moderne, zumindest einigermaßen gut situierte Familien, die gleich von einem ganzen Maßnahmenbündel profitieren sollen: So wird der steuerliche Kinderfreibetrag ab Januar 2010 in einem ersten Schritt von heute 6024 auf dann 7008 Euro angehoben.

Zugleich steigt das Kindergeld um 20 Euro. Damit erhalten Eltern für das erste und zweite Kind künftig je 184, für das dritte Kind 190 Euro und für jedes weitere Kind 215 Euro pro Monat. Dem Staat entstehen dadurch Kosten von insgesamt etwa 4,5 Milliarden Euro.

Für 2011 sind weitere Erhöhungen der Kinderleistungen geplant, hinzu kommen Steuersatzsenkungen. Gesamtvolumen: 17 Milliarden Euro. Zudem soll auf Drängen der FDP der linear-progressive, also stetig ansteigende, Einkommensteuertarif durch einen Stufentarif ersetzt werden - auch wenn der Bürger davon nichts hat. Eltern, die auf einen staatlich geförderten Betreuungsplatz verzichten und Kinder unter drei Jahren daheim erziehen, sollen ab 2013 überdies ein Betreuungsgeld von 150 Euro im Monat erhalten.

Damit sie den Zuschuss nicht für Bier und Zigaretten ausgeben, wird in Einzelfällen statt Bargeld ein "Bildungsgutschein" verschickt. Rechnet man zu den schwarz-gelben Plänen die für 2010 bereits beschlossenen Steuernachlässe der alten Koalition aus Union und SPD in Höhe von 14 Milliarden Euro hinzu, ergibt sich für den eingangs erwähnten Besserverdiener und E-Mail-Fan mit beispielsweise drei Kindern eine Gesamtentlastung von mehr als 200 Euro im Monat. Allein durch den höheren Freibetrag kommen bis zu 120 Euro zusammen.

Lesen Sie, wer die Belastungen des demographischen Wandels tragen muss und wie die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung aussehen könnte.

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Ein Gering- oder Durchschnittsverdiener dagegen erhält für seine drei Kinder nur 60 Euro mehr. Die Ungleichbehandlung ist keine Erfindung der FDP, sondern geht auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurück. Es hatte verlangt, dass der Teil des elterlichen Einkommens, der zur Sicherung des Existenzminimums der Kinder verwendet wird, nicht besteuert werden darf. Wegen des progressiven Steuertarifs führt das je nach Verdienst zu unterschiedlich hohen Entlastungen.

Der kinderlose Briefeschreiber wird die Steuernachlässe dagegen kaum bemerken, er muss sich im Gegenteil wegen der anstehenden Mehrbelastungen im Bereich der Sozialkassen auf ein Minus einstellen. So sollen nach den Plänen von Union und Liberalen steigende Sozialausgaben nicht länger die Kosten von Arbeitgebern in die Höhe treiben.

Das bedeutet nichts anderes, als dass die Arbeitnehmer die Belastungen des demographischen Wandels und des medizinischen Fortschritts künftig allein werden tragen müssen. So soll die bisher rein beitragsfinanzierte Pflegeversicherung durch eine zweite, kapitalgedeckte Säule ergänzt werden. Im Unterschied zur Riester-Rente wird die private Pflegevorsorge aber verpflichtend sein und wohl nicht staatlich gefördert werden. Mit der Ausarbeitung wird eine Expertenkommission beauftragt. Fachleute halten es aber für plausibel, dass auf eine Familie Mehrkosten von 20 bis 40 Euro im Monat zukommen könnten.

Noch offen ist hingegen, wie die Zukunft der Gesetzlichen Krankenversicherung aussieht. Zwar waren CSU und FDP an der Formulierung der entsprechenden Passagen im Koalitionsvertrag beteiligt, sie interpretieren sie jedoch völlig unterschiedlich: Während die Christsozialen zumindest im Grundsatz am einkommensabhängigen Beitrag festhalten wollen, streben die Liberalen eine Kopfpauschale mit steuerfinanziertem Sozialausgleich für Geringverdiener an.

Derzeit spricht einiges dafür, dass sich CDU und FDP durchsetzen werden. Da schon heute viele Krankenkassen nicht mehr mit dem zur Verfügung stehenden Geld auskommen, dürften viele von ihnen schon ab 2010 einkommensunabhängige Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern erheben. Diese Prämien könnten bei 10 bis 15 Euro im Monat liegen.

Bei einer Umstellung auf die Kopfpauschale könnten Spitzenverdiener die Verlierer sein, da der Sozialausgleich nicht mehr innerhalb des Beitragssystems organisiert und die Solidarität somit nicht mehr an der Beitragsbemessungsgrenze enden würde. Vielmehr würde jeder Steuerzahler mit seinem gesamten Einkommen zur Finanzierung herangezogen. Alternativ könnte die Regierung die Mehrwertsteuer erhöhen oder eine neue Steuer einführen. Beides gilt als unwahrscheinlich.

Weitere 16 Verlierer stehen dagegen bereits fest: die Bundesländer. Sie saßen nicht mit am Verhandlungstisch, müssen aber mehr als die Hälfte der Kosten tragen, die die Steuersenkungen mit sich bringen. Nach Berechnungen der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen entfallen von den angepeilten 24 Milliarden Euro zehn Milliarden auf den Bund und 14 Milliarden auf die Länder. Bis 2013 fehlen dem Staat sogar knapp 80 Milliarden Euro.

Rechnet man die rezessionsbedingten Mehrausgaben und Mindereinnahmen noch hinzu, steigt die öffentliche Verschuldung von derzeit 1,5 Billionen auf 2,1 Billionen Euro. Damit erhöht sich die Zinsbelastung von Bund, Ländern und Gemeinden um 20Milliarden auf über 85 Milliarden Euro.

Entsprechend sauer ist Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos): "CDU/CSU und FDP bereiten mit ihren Koalitionsbeschlüssen den Weg in den Verschuldungsstaat. Die gerade erst vereinbarte Schuldengrenze wird so vom Bund selber untergraben", sagte Nußbaum der SZ Die Finanzkrise dürfe jedoch nicht zur Dauerentschuldigung für neue Schulden werden.

Nötig sei vielmehr ein Schulterschluss der Länder: "Ich frage mich, wo die CDU-Ministerpräsidenten und Ihre Finanzminister in den letzten zwei Wochen waren. Wenn der Bund die Finanzierungsfähigkeit der Länder weiterhin so untergräbt, sind die Länder gezwungen, die Frage der Finanzordnung in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen."

© SZ vom 26.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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