Klimapolitik:Die Schüler nehmen die Bundesregierung beim Wort

'Fridays for Future' protest claiming for urgent measures to combat climate change

Schüler demonstrieren in Berlin für eine andere Klimapolitik.

(Foto: REUTERS)

Bei den "Fridays for Future" brechen sie eine Regel, weil die Politik ihr Versprechen bricht. Die Klimastreiks stehen damit in der Tradition der großen Bürgerrechtsbewegungen.

Kolumne von Carolin Emcke

Versprechen sind die dem Menschen eigentümliche Art, die Zukunft in den Griff zu bekommen", schrieb die Philosophin Hannah Arendt in ihrem Essay über zivilen Ungehorsam aus dem Jahr 1970, "sie in einem menschenmöglichen Ausmaß berechenbar und verlässlich zu machen." Das ist, was das Klimaabkommen von Paris aus dem Jahr 2015 im Kern ausmachte: ein wechselseitiges Versprechen, ein Versuch, die Zukunft in den Griff zu bekommen. Nicht nur irgendeine Zukunft, sondern die Zukunft in der Epoche des Anthropozäns.

Die 195 Staaten, die mittlerweile die Übereinkunft ratifiziert haben, einigten sich nicht nur auf gemeinsame Ziele: die Begrenzung des Anstiegs der globalen Temperatur auf 1,5 Grad, die Stärkung der Resistenz gegenüber den Folgen des Klimawandels und die Koordinierung von Finanzströmen und Klimazielen. Sondern sie versprachen auch einander, dementsprechend zu handeln. Sich etwas zu versprechen bedeutet, sich an diese Ziele zu binden. Abkommen ohne Versprechen wären keine Abkommen, sondern wahrhaftige oder unwahrhaftige Absichtsbekundungen, die nichts gelten und nichts in den Griff bekommen. Deswegen erklärte Donald Trump auch ausdrücklich den Austritt der Vereinigten Staaten aus dem Klimaabkommen - selbst der für seine notorische Unehrlichkeit bekannte amerikanische Präsident wollte nicht an ein Versprechen gebunden sein, das er nicht zu erfüllen gedenkt.

Das ist, was die "Fridays for Future"-Bewegung so beeindruckend macht: Sie nimmt Versprechen ernst, nimmt die eigene Regierung beim (unterschriebenen) Wort. Sie will ihnen glauben können. Anders als den streikenden Schülerinnen und Schülern unterstellt wird, ist dieser Protest nicht eine Regelverletzung, die Respektlosigkeit vor Regeln artikuliert. Im Gegenteil, die Regelverletzung entspringt dem Zorn über jene Respektlosigkeit, mit der die Regierenden ihre eigenen Versprechen ignorieren und brechen. Dies ist keine anarchistische Rebellion, keine staatszersetzende Unruhe, die bestehende Normen aushebeln will, sondern eine soziale Bewegung, die Übereinkünfte umgesetzt sehen will. Die Schülerinnen und Schüler verletzen eine Pflicht, um die politischen Akteure an ihre Pflicht zu erinnern - das ist der performative Widerspruch, den sie begehen müssen, wenn sie den politischen Repräsentanten vorführen wollen, was diese mit ihrer klimapolitischen Tatenlosigkeit anrichten.

Das ist riskant, denn es lädt ein zu Missverständnissen von außen oder innen. Würde das Handeln der Schülerinnen und Schüler als grundsätzliche Missachtung für Gesetze gedeutet werden, wäre es fatal. Die subversive Praxis des Streiks zieht ihre Legitimität nur daraus, dass sie sich selbst als symbolische Ausnahme versteht (und im Zweifel die Strafe dafür hinnimmt). Es macht einen Unterschied, ob die Schülerinnen und Schüler nach Belieben die Schule schwänzen oder ob sie, wie es hier geschieht, eben nur einen Tag pro Woche der Schule fernbleiben. Sie stellen nicht per se die Bedeutung von Bildung infrage oder die Schulpflicht, sondern sie zeigen ihren Dissens mit der einzigen politischen Geste, die ihnen Sichtbarkeit verspricht. Die streikenden Schülerinnen und Schüler demonstrieren nicht ihre radikale Zügellosigkeit, sondern eher ihre intelligente Diszipliniertheit. Ein Tag pro Woche - angesichts der ökologischen Dramatik des Abschmelzens der arktischen Eisschilde, der Übersäuerung der Meere, des massiven Artensterbens -, ist das noch moderat.

Die Schüler eint kein ideologischer Wahn

Die Protestierenden von "Fridays for Future" reihen sich damit in die Tradition jener historischen Bürgerrechtsbewegungen, die gerade durch ihre unbedingte Selbstkontrolle und Gewaltfreiheit wirken konnten. So wie der Busboykott von Montgomery und die Sit-ins gern mit Rosa Parks oder Martin Luther King assoziiert wurden, so sucht sich die mediale Gegenwart in Greta Thunberg gern ihre ikonografische Entsprechung. Aber damals wie heute ist es mehr gemeinschaftliches Handeln als individueller Heroismus, mehr strategisches Kalkül als explosive Hemmungslosigkeit, mehr kommunikative Vernetzung als persönliches Charisma allein, die die Bewegung so eindrucksvoll wie wirksam machen.

Es ist kein ideologischer Wahn, kein ressentimentgesättigtes magisches Denken, das sie eint, die Protestierenden orientieren sich an wissenschaftlichen Studien und Analysen. Es gibt keine Vorgaben, wer sich ihnen anschließen darf; die Bewegung zeigt sich bislang inklusiv und rational. Ihr Ungehorsam verweigert sich nicht demokratischen Institutionen oder Verfahren, sondern im Gegenteil appelliert er an sie. Politiker, die "Fridays for Future" als naiv oder hypermoralistisch, als manipuliert oder unprofessionell diskreditieren wollen, entblößen nur die Leerstelle, an der ursprünglich einmal die Selbstachtung vor sich als demokratischen Repräsentanten verortbar war.

Sich als Politiker zu echauffieren, dass jemand politische Aussagen beim Wort nimmt, als Politiker zu belächeln, dass jemand überhaupt Erwartungen an die eigene Regierung richtet, Lobbyismus zu unterstellen, weil genuin politische oder soziale oder ökologische Nöte schon gar nicht mehr gedacht werden können, entlarvt nur einen brutalen Zynismus, der im toten Winkel der eigenen Wahrnehmung liegt.

"Dissens schließt Konsens ein und ist das Kennzeichen eines freien Staates", schreibt Hannah Arendt in demselben Text, "jemand, der weiß, dass er widersprechen kann, weiß auch, dass er gewissermaßen zustimmt, wenn er nicht widerspricht." Die Zeiten, in denen vor allem denen Aufmerksamkeit gewährt wurde, die keinen Konsens suchen und die den freien Staat ablehnen, gehen womöglich zu Ende. Nach all den Bewegungen, die lediglich ihren antiaufklärerischen, antidemokratischen Unmut auf die Straßen trugen, ist eine Bewegung, die leidenschaftlich an die Wissenschaft und Vernunft appelliert, die aus demokratischen Verfahren nicht aussteigen, sondern sie eingehalten sehen will, die nicht in nationalistische Regression verfällt, sondern lokale mit internationalen Bedürfnissen zusammen zu denken weiß, ein beglückender Horizont.

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Kolumne von Carolin Emcke

Carolin Emcke, Jahrgang 1967, ist Autorin und Publizistin. Im Jahr 2016 wurde sie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Alle Kolumnen von ihr lesen Sie hier.

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