Familienpolitik:Kabinett sagt Ja zur Kindergrundsicherung

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Muss noch mal ran an ihren Gesetzentwurf: Bundesfamilienministerin Lisa Paus. (Foto: IMAGO/IMAGO/Political-Moments)

Monatelang hat die Bundesregierung gestritten, nun segnet sie die das Sozialprojekt ab. Allerdings warten noch weitere Hürden - eine davon sogar innerhalb der Ampel. Das Wichtigste im Überblick.

Von Oliver Klasen

In der Liste der Projekte, die zwar im Koalitionsvertrag der Ampel stehen, dann aber doch einen Riesenstreit zwischen den Partnern ausgelöst haben, steht die Kindergrundsicherung sicherlich auf einem der vorderen Plätze. Über Monate hinweg zofften sich Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), das Ganze war, nun ja, eine schwere Geburt - und am Ende steht nun ein Ergebnis, mit dem allenfalls die Ministerin halbwegs zufrieden ist. Paus sprach vor der Kabinettssitzung von einem "zähen Ringen", anschließend sagte sie, die Kindergrundsicherung schaffe "einen Systemwechsel - weg von der Holschuld von Bürgerinnen und Bürgern hin zu einer Bringschuld des Staates".

Ziel der Reform

Paus will mit der neuen Kindergrundsicherung vor allem ein Problem angehen: Viele Familien, die in Armut leben, nehmen Leistungen, die ihnen eigentlich zustehen würden, nicht in Anspruch, weil sie entweder nicht ausreichend informiert sind oder an der komplizierten Beantragung scheitern. Das soll sich künftig ändern. Ein wichtiges Ziel der Reform ist also: Vereinfachung. Das Wirrwarr an sozialen Leistungen soll zurechtgestutzt werden.

Außerdem sollen die Familien die Zahlungen künftig sowohl persönlich auf dem Amt als auch digital beantragen können. Geschaffen wird auch eine neue Ansprechstelle, der sogenannte "Familienservice". Er soll Eltern, die möglicherweise zusätzliche Ansprüche haben, proaktiv anschreiben. So hofft Paus, dass die neue Grundsicherung auch tatsächlich bei den Kindern ankommt. Bis zu 5,6 Millionen Kinder will die Ministerin erreichen.

Höhe der Zahlungen

Die Kindergrundsicherung besteht aus zwei Elementen. Zunächst gibt es einen Garantiebetrag, der in der Höhe exakt dem bisherigen Kindergeld entspricht. Das wurde zuletzt Anfang 2023 erhöht und beträgt seitdem einheitlich 250 Euro pro Kind. Dieser Betrag steht allen Familien zu, völlig unabhängig vom Einkommen der Eltern.

Anders ist es bei dem neuen Zusatzbetrag, dem zweiten Element der Kindergrundsicherung. Ihn erhalten nur Eltern und Kinder, die bedürftig sind, also über nicht genug Einkommen verfügen, um das Existenzminimum der Kinder selbst zu garantieren. Zum Existenzminimum gehören die Kosten für Lebenshaltung, Wohnung und Energie, hinzu kommt eine angemessene Teilhabe an Bildung, Kultur und sozialen Aktivitäten.

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Auch nach der Ampel-Einigung zu der Reform dürfte es noch Änderungen an den Plänen geben.

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Die Höhe der Kindergrundsicherung, also von Garantie- und Zusatzbeitrag zusammen, orientiert sich grob an den bisher gültigen Bürgergeld-Sätzen, für Kinder und Jugendliche inklusive bestimmter Zuschläge und Zusatzleistungen. Für gewisse Altersstufen gibt es geringfügige Anhebungen, außerdem werden Alleinerziehende bessergestellt, weil Unterhaltszahlungen weniger angerechnet werden als bisher. Generelle Leistungsverbesserungen, die sich Paus gewünscht hätte, konnte sie nicht gegen Lindner durchsetzen.

Kosten

Am 1. Januar 2025 soll die Kindergrundsicherung kommen. Für das Einführungsjahr stehen 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Lindner hatte ursprünglich für 2025 nur zwei Milliarden geblockt. Paus hatte anfangs zwölf Milliarden Euro für das Projekt gefordert, anschließend mehrmals deutlich niedrigere Zahlen genannt und schließlich akzeptiert, dass Lindner bei den nun bewilligten Ausgaben nur leicht hochging. Im Gesetzentwurf steht allerdings, dass die jährlichen Kosten für den Bundeshaushalt bis zum Jahr 2028 auf etwa 5,2 Milliarden Euro steigen könnten.

Kritik

Sozialverbände kritisieren die Kindergrundsicherung als unzureichend. "Ich kann kaum fassen, wie wenig von der ursprünglichen Idee der Kindergrundsicherung übriggeblieben ist", sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Betroffenen Familien sei weniger Bürokratie und mehr Geld in Aussicht gestellt worden, das Gegenteil sei nun zu befürchten. Mehrere Organisationen, etwa das Deutsche Kinderhilfswerk und Pro Asyl, beklagen außerdem, dass geflüchtete Familien ausgeschlossen sind.

Kritik kommt außerdem von jener Stelle, die die Auszahlung der Leistungen bewerkstelligen soll, der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die dort angesiedelten Familienkassen sind schon bisher für die Auszahlung des Kindergeldes zuständig und sollen diese Funktion auch im neuen System übernehmen. Der Zeitplan für das Gesetz sei äußerst ambitioniert, heißt es aus der BA, es brauche zum Beispiel viel Zeit, um die IT-Systeme umzustellen. Dem Vernehmen nach sollen 2000 neue Stellen zur Verwaltung der Kindergrundsicherung geschaffen werden. Paus entgegnet, man habe das Gesetz in den vergangenen zwei Wochen noch einmal nachgebessert, um sicherzustellen, dass es Anfang 2025 losgehen könne.

Abstimmung im Bundesrat

Dass Paus' Projekt tatsächlich Wirklichkeit wird, so wie sie es geplant hat, ist aber - trotz des Kabinettsbeschlusses - alles andere als sicher. Denn es gibt noch weitere politischen Hürden. Eine kommt sogar aus der eigenen Koalition. Wenige Minuten nach dem Kabinettsbeschluss kritisierte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, dass das Justizministerium die Kindergrundsicherung bislang keiner vollständigen rechtlichen Prüfung unterzogen habe. Das müsse aber geschehen, bevor das Gesetz ins Parlament gehe. "Ich habe bereits vor Wochen angekündigt, dass ich Gesetzentwürfe, die das Bundeskabinett oder Teile von ihm unter Vorbehalt stellt, nicht im parlamentarischen Bereich akzeptieren werde", sagte Mützenich. Zuletzt hatte es wiederholt Ärger gegeben, weil die Bundesregierung Gesetzentwürfe äußert knapp vor dem geplanten Inkrafttreten an die Abgeordneten gab, so dass das Parlament kaum Zeit hatte, sich damit zu befassen.

Die zweite Hürde ist noch schwieriger zu nehmen. Das Gesetz zur Kindergrundsicherung ist nämlich im Bundesrat zustimmungspflichtig, die Ampel ist dabei auch auf die Stimmen jener Bundesländer angewiesen, in denen die Union mitregiert. Aus Bayern heißt es bereits, das bisherige Konzept sei "so nicht tragbar".

Die Familienministerin darf sich also auf weitere Verhandlungen einstellen, die ähnlich kompliziert werden dürften wie jene, die sie schon mit Lindner geführt hat. Immerhin, Paus hat dafür etwas Zeit. Die Verabschiedung im Bundesrat ist SPD-Angaben zufolge erst am 2. Februar 2024 geplant.

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