Karl-Theodor zu Guttenberg im Gespräch:"Die Bundeswehr ist veraltet"

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"Als ob die Berufssoldaten nur einen IQ von 80 hätten": Verteidigungsminister zu Guttenberg spricht über die Nachteile der Wehrpflicht - und warum es keine Alternative zur größten Reform in der Bundeswehrgeschichte gibt.

Joachim Käppner und Stefan Kornelius

SZ: Über Ihre Reformmodelle für die Bundeswehr ist noch nicht mal entschieden, da wächst der Widerstand in der eigenen Partei. Ist die Wehrpflicht eine heilige Kuh?

Verteidgungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg während eines Truppenbesuchs. Es gebe "keine Alternative" zu einer Reform der Bundeswehr. (Foto: rtr)

Karl-Theodor zu Guttenberg: Die erfolgreiche Geschichte der Bundeswehr wäre ohne die Wehrpflicht schwer möglich gewesen. Auch ich war deshalb immer ein Verfechter der Wehrpflicht. Sie braucht aber wie alle Grundrechtseingriffe eine saubere verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Das bedeutet auch, dass die Bundeswehr die Zahl der einzuziehenden Wehrpflichtigen zur Erfüllung ihres sicherheitspolitischen Auftrags tatsächlich benötigt. Diese Frage muss ohne Scheuklappen geprüft, diskutiert und beantwortet werden - und zwar von der Politik und nicht erst höchstrichterlich.

SZ: Bei den Generalen im eigenen Haus finden Sie Unterstützung für die Aussetzung der Wehrpflicht. Bei den Parteifreunden nicht. Viele argumentieren, die Wehrpflicht gehöre zum Wesenskern der Union. Teilen Sie diese Sicht?

Guttenberg: CDU und CSU sind die Parteien der Bundeswehr, der äußeren und inneren Sicherheit. Die Bundeswehr ist ganz wesentlich durch die Wehrpflicht geprägt worden. Insofern kann ich nur zu gut nachvollziehen, dass viele in der Union sehr von der Wehrpflicht überzeugt sind - und ich gehöre dazu. Wir müssen uns allerdings einer Abwägung stellen, die wir nicht verschieben können: Schaffen wir eine dauerhaft verfassungsfeste, sicherheitspolitisch begründete Wehrform oder riskieren wir, mit einem unreflektierten "Weiter so" plötzlich alternativlos nicht nur ohne Wehrdienst, sondern auch ohne Zivildienst dazustehen?

SZ: Haben Sie Verständnis für die Ministerpräsidenten, die um Bundeswehrstandorte in ihren Ländern fürchten?

Guttenberg: Diese Befürchtung wäre umso berechtigter, wenn wir die Strukturreform vertrödeln oder ganz vermeiden. So wäre ich zu härtesten, sehr kurzfristigen Maßnahmen gezwungen, damit die Bundeswehr trotz kranker Strukturen überhaupt überlebensfähig ist. Die Bundeswehr wird auch nach der Reform in der Fläche erhalten bleiben. Wir werden jetzt erst über die Struktur entscheiden und nicht vor Mitte nächsten Jahres die Auswirkungen für die Standorte genauer ausgeplant haben.

SZ: Übertreiben wir mit der Feststellung, dass der Bundeswehr ein Umbau in nie gekannter Dimension bevorsteht?

Guttenberg: Es ist sicherlich eine der größten Reformen in ihrer Geschichte. Aber es gibt keine Alternative. Wir haben heute eine Bundeswehr, die veraltete Strukturen hat, dramatisch unterfinanziert ist und den sicherheits- und verteidigungspolitischen Anforderungen so nicht gerecht werden kann. Derzeit scheinen wir bei fast einer Viertelmillion Soldaten bei der Bundeswehr mit 7000 Soldaten in Auslandseinsätzen bereits an unsere Grenzen zu stoßen.

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Guttenberg: Wir haben trotz aller Umbauten der Armee die öffentliche Diskussion gescheut. Und wir haben vielerorts an Strukturen festgehalten, die noch den Geist des Kalten Krieges atmen. Der Aufbau der Bundeswehr dient zu einem überwältigenden Teil noch immer wie früher allein der Landesverteidigung.

SZ: Und dazu gehört eben die Wehrpflicht. Ist, was jahrzehntelang eine Säule bundesdeutscher Sicherheitspolitik war, plötzlich ein Reformhindernis?

Guttenberg: Es wäre eine sicherheitspolitische Bankrotterklärung, die Reform nur auf die Frage der Wehrpflicht zu verkürzen. Ich will die Wehrpflicht ja gar nicht abschaffen...

SZ: ... aber aussetzen, was faktisch dasselbe ist. Nur kommen Sie so um eine Verfassungsänderung herum.

Guttenberg: Ich will auch die Verfassung gar nicht ändern. Die Wehrpflicht ist schon deswegen im Grundgesetz zu verankern, da Szenarien denkbar sind, in denen mit einer gewissen Vorlaufzeit sehr viel mehr junge Männer eingezogen werden müssten. Auch bräuchten wir eine solide Rechtsgrundlage für ein verbessertes Reservistenkonzept. Ich stelle im Herbst unterschiedliche Modelle vor, auch solche ohne Aussetzung des Pflichtdienstes an der Waffe. Der eklatanten Defizite der letzten Jahre muss man sich aber bewusst sein.

SZ: Ist denn die Wehrpflichtarmee nicht die "intelligentere Armee"? Das haben viele Verteidigungsminister vor Ihnen verkündet.

Guttenberg: Das Argument der intelligenteren Armee halte ich für intellektuell sehr überschaubar. Es wäre ja auch eine Beleidigung für unsere vielen Berufs- und Zeitsoldaten, als ob diese nur einen IQ von 80 hätten und marodierend durch die Welt laufen würden. Was für ein Unsinn. Mittlerweile gibt es nur noch wenige Nationen in der Nato und der EU, die ein Wehrpflichtmodell haben. Bei den meisten ist die Umstellung ohne große Probleme abgelaufen. Und in der Bundeswehr würde, selbst wenn die Wehrform reformiert wird, jeder Soldat weiterhin der inneren Führung unterliegen und Staatsbürger in Uniform sein; an dieser ethischen Verankerung würde sich gar nichts ändern.

SZ: Ist es nicht am Ende doch das Geld, das Sie treibt, oder besser: der Mangel an Geld?

Guttenberg: Nein. Zunächst ist entscheidend, was unser Land sicherheits- und verteidigungspolitisch braucht. Und dann darf man die Frage stellen, was ist uns eigentlich unsere eigene Sicherheit, erstklassige Ausrüstung und Ausbildung wert? Aber es wird keine Bundeswehr nach Kassenlage geben.

SZ: Was braucht das Land denn?

Guttenberg: Auch wenn es anders als während des Kalten Krieges keine unmittelbaren militärischen Bedrohungen an unseren Grenzen mehr gibt: Die Bundeswehr muss natürlich weiterhin in der Lage sein, Deutschland oder das Bündnisgebiet zu schützen. Sie muss aber gleichzeitig auch sogenannte hochintensive Einsätze und etwa Ausbildungs- und Beobachtermissionen im Ausland leisten können. Dafür muss sie flexibel, hochbeweglich und hochprofessionell sein.

SZ: Ist die Bevölkerung überhaupt bereit, das neue Soldatenbild mitzutragen?

Guttenberg: Ich stelle erfreut fest, dass der Respekt vor dem, was die Soldaten in diesen Einsätzen leisten, immer mehr wächst. Es gibt das "freundliche Desinteresse" der Bevölkerung an der Bundeswehr schon noch, das der frühere Bundespräsident Horst Köhler beklagt hat. Aber das Interesse nimmt zu.

SZ: Mit der Folge, dass die meisten Bürger die Soldaten lieber heute als morgen aus Afghanistan heimholen würden.

Guttenberg: Wenn wir die Debatte über Afghanistan ehrlich und realistisch führen, verstehen die Menschen auch besser, was unsere Soldaten dort leisten. Die Stimmung in Deutschland ist gegen den Afghanistaneinsatz, sie ist sehr negativ. Aber die Stimmung zu Hause ist nicht das einzige Kriterium. Wir müssen weiterhin erklären, warum es im Interesse unserer eigenen Sicherheit ist, dass wir dort sind.

SZ: Ist es nicht eine Illusion, dass wir die Soldaten in absehbarer Zeit wieder abziehen können?

Guttenberg: Das klingt in der Tat wie ein Paradoxon: Die Nato schickt - notwendigerweise - mehr Soldaten nach Afghanistan, um ihre Truppen schneller wieder abziehen zu können. Aber es ist richtig, und wir müssen uns von Träumen verabschieden. Afghanistan wird nie eine Demokratie nach unseren Maßstäben sein, und es wird nach menschlichem Ermessen auch nie ein gänzlich stabilisiertes Land werden.

SZ: Also werden die westlichen Truppen noch lange dort bleiben?

Guttenberg: Wir müssen uns in der internationalen Gemeinschaft sehr viel mehr Gedanken machen, wie wir den Abzug klug gestalten und auch die Nachsorge. Es wäre ja alles umsonst gewesen, wenn die Truppen abgezogen werden, und das Land wieder im Chaos versinkt. Wir dürfen nicht zulassen, dass von Afghanistan aus wieder eine Gefahr für die globale Sicherheit ausgeht wie vor dem Sturz der Taliban 2001, als das Land ein sicherer Hafen für die Terroristen der al-Qaida war. Wir müssen dafür sorgen, dass die Region nicht von radikalen Islamisten bestimmt wird. Dafür muss man aber nicht über die nächsten 20 Jahre Zehntausende schwer bewaffnete Soldaten am Hindukusch lassen. Aber einen gewissen Grunderfolg müssen wir zunächst dort erreichen.

SZ: Und dann könnte sich Afghanistan alleine behaupten?

Guttenberg: Es gibt ja auch die Möglichkeit, der Sicherheit der Region und damit der internationalen Gemeinschaft gegebenenfalls mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu helfen, dem etwaigen Einsatz von Spezialkräften und moderner Nachrichtentechnik. All dies bedarf aber sauberer Rechtsgrundlagen und der internationalen Abstimmung.

SZ: Davon sind wir noch weit entfernt. Zunächst muss die Nato die wachsende Gewalt eindämmen - aber wie?

Guttenberg: Wir müssen den Taliban und ihren Unterstützern mit dem neuen Konzept der Nato ihre Rückzugsräume nehmen. Viele hat man duldsam ertragen, aber das wird nicht mehr gehen. Solche Rückzugsräume gibt es leider auch im Norden des Landes, zum Beispiel gleich in der Umgebung von Kundus, wo die Bundeswehr ihr Feldlager hat. Aber es gibt auch Erfolge. Im Norden Afghanistans sind zwar acht Distrikte derzeit als sehr gefährlich deklariert, in über 100 Distrikten gab es dagegen auch positive Entwicklungen: Keine Anschläge, Wiederaufbau, der Beginn eines normalen Lebens. Man darf nicht alles schlecht reden. Die Nato hat durchaus einiges erreicht.

Karl-Theodor zu Guttenberg, geboren 1971, ist seit 2009 Bundesminister der Verteidigung, zuvor war er Bundeswirtschaftsminister und Generalsekretär der CSU. Er gilt als Hoffnungsträger der CSU, hat aber ein schweres Amt übernommen. Gleich zu Beginn war er mit der Krise um den Luftschlag bei Kundus konfrontiert und entließ in einer umstrittenen Entscheidung Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert. Guttenberg plant eine Reform der Bundeswehr, die verkleinert und flexibler, angesichts der Sparbeschlüsse des Kabinetts aber auch billiger werden soll. Kanzlerin Angela Merkel hat er mehrere Modelle vorgelegt, die teils eine Aussetzung der Wehrpflicht vorsehen. Die Truppe bestünde aus freiwillig Dienstleistenden und Berufssoldaten. Die Wehrpflicht gibt es in der Bundeswehr seit 1956.

© SZ vom 26.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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