In der diplomatischen Krise zwischen Saudi-Arabien und Kanada stehen die Zeichen auf Eskalation. "Es gibt nichts zu vermitteln", sagte der saudische Außenminister Adel al-Dschubeir auf einer Pressekonferenz. "Es wurde ein Fehler gemacht, und der muss korrigiert werden." Was die Regierung in Ottawa tun müsste, um das ultrakonservative Königreich zu besänftigen, sagte er nicht. Stattdessen drohte er weitere Maßnahmen an - zuletzt hatte Riad entschieden, dass 16 000 saudische Studenten ihre Ausbildung außerhalb Kanadas fortsetzen müssen und auch alle medizinischen Behandlungsprogramme von saudischen Bürgern in Kanada eingestellt würden.
Ähnlich konsequent gibt sich Kanada. Am dritten Tag nach der Ausweisung ihres Botschafters aus Saudi-Arabien bezog Premierminister Justin Trudeau erstmals Stellung und betonte, dass sich seine Regierung weder entschuldigen noch aufhören werde, sich weltweit für Menschenrechte einzusetzen. "Das haben Kanadier stets von ihren Regierungen erwartet und das werde ich immer machen", sagte Trudeau. Zugleich betonte er, dass es Dialog zwischen beiden Seiten gäbe.
Auslöser für den Streit war ein Tweet von Außenministerin Chrystia Freeland, die die Verhaftung der Bürgerrechtlerin Samar Badawi kritisiert und ihre Freilassung gefordert hatte. Badawis Bruder Raif sitzt seit 2012 ebenfalls in einem saudischen Gefängnis, während seine Ehefrau mit den drei gemeinsamen Kindern in Quebec lebt und mittlerweile die kanadische Staatsbürgerschaft besitzt.
Obwohl die harsche Reaktion aus Riad seit Tagen die Schlagzeilen in Kanada beherrscht, ist von allzu großer Sorge oder gar Panik nichts zu spüren: Dafür sind die Wirtschaftsbeziehungen zu Saudi-Arabien zu unbedeutend. Es dominiert die Ansicht, dass der Rückruf des eigenen Botschafters nach Riad sowie das Einfrieren der Handelsbeziehungen sich eher mit der saudischen Innenpolitik erklären lasse. Der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman, bekannt als MbS, wolle dem Rest der Welt demonstrieren, dass es Konsequenzen habe, wenn jemand eindeutige Kritik an den inneren Zuständen im Königreich übe.
Kritik am Feministen Trudeau kommt unter Autokraten gut an
Zudem ist Kanada das "ideale Ziel" fur diese Art von Machtdemonstration, weil sich das wirtschaftliche Risiko in Grenzen hält: "Wir sind kein besonders wichtiges Land für sie und Saudi-Arabien ist für uns nicht so wichtig", bilanziert Thomas Juneau, Nahost-Experte der Universität Ottawa. In der Tageszeitung Globe and Mail erklärt die Politikprofessorin Bessma Momani, was Riad an Trudeau stört: "Da ist ein Premier, der sich stolz als Feminist bezeichnet und eine Frau zur Außenministerin ernannt hat. Wenn Westler dafür bestraft werden, dass sie anderen vorgeben, was zu tun ist, dann kommt das zuhause und unter den gleichgesinnten Autokraten und Diktatoren gut an."
Als weiteren Grund für den saudischen Frust nennt Analyst Juneau einen 15-Milliarden-Dollar-Deal, den Riad 2014 mit Trudeaus konservativem Vorgänger Stephen Harper schloss. Demnach liefert das Unternehmen "General Dynamics Land Systems" bis 2029 insgesamt 3000 Radpanzer (light armored vehicles) in den Nahen Osten, was in Kanada 3000 Jobs sichert. Trudeau hatte als Oppositionsführer das Abkommen attackiert und sich nach seinem Wahlsieg im Herbst 2015 gegenüber Riad äußerst reserviert gezeigt.
Laut Juneau benötigt Saudi-Arabien diese gepanzerten Transporter "aus militärischen Gründen" nicht, sondern nutzt diese Verträge, um bilaterale Beziehungen zu festigen oder neue Partnerschaften aufzubauen. Im Umgang mit den USA sowie Großbritannien und Frankreich sei dies üblich. Bisher wurde der auf beiden Seiten umstrittene Radpanzer-Deal von Trudeau nicht aufgekündigt, obwohl in Kanada diese Forderung immer populärer wird.