Süddeutsche Zeitung

Streit um inhaftierte Aktivistin:Kanada ist ein ideales Ziel für Saudi-Arabiens Strafaktionen

  • Im Streit mit Kanada kündigt Saudi-Arabien weitere Maßnahmen an und fordert alle saudischen Studenten und Patienten auf, das Land zu verlassen.
  • Nach Überzeugung von kanadischen Experten ist die linksliberale Trudeau-Regierung ein ideales Ziel für die saudische Strafaktion.
  • Während Premierminister Trudeau eine Entschuldigung ablehnt, weigert sich die US-Regierung, Kanada zu unterstützen.

Von Matthias Kolb, Toronto

In der diplomatischen Krise zwischen Saudi-Arabien und Kanada stehen die Zeichen auf Eskalation. "Es gibt nichts zu vermitteln", sagte der saudische Außenminister Adel al-Dschubeir auf einer Pressekonferenz. "Es wurde ein Fehler gemacht, und der muss korrigiert werden." Was die Regierung in Ottawa tun müsste, um das ultrakonservative Königreich zu besänftigen, sagte er nicht. Stattdessen drohte er weitere Maßnahmen an - zuletzt hatte Riad entschieden, dass 16 000 saudische Studenten ihre Ausbildung außerhalb Kanadas fortsetzen müssen und auch alle medizinischen Behandlungsprogramme von saudischen Bürgern in Kanada eingestellt würden.

Ähnlich konsequent gibt sich Kanada. Am dritten Tag nach der Ausweisung ihres Botschafters aus Saudi-Arabien bezog Premierminister Justin Trudeau erstmals Stellung und betonte, dass sich seine Regierung weder entschuldigen noch aufhören werde, sich weltweit für Menschenrechte einzusetzen. "Das haben Kanadier stets von ihren Regierungen erwartet und das werde ich immer machen", sagte Trudeau. Zugleich betonte er, dass es Dialog zwischen beiden Seiten gäbe.

Auslöser für den Streit war ein Tweet von Außenministerin Chrystia Freeland, die die Verhaftung der Bürgerrechtlerin Samar Badawi kritisiert und ihre Freilassung gefordert hatte. Badawis Bruder Raif sitzt seit 2012 ebenfalls in einem saudischen Gefängnis, während seine Ehefrau mit den drei gemeinsamen Kindern in Quebec lebt und mittlerweile die kanadische Staatsbürgerschaft besitzt.

Obwohl die harsche Reaktion aus Riad seit Tagen die Schlagzeilen in Kanada beherrscht, ist von allzu großer Sorge oder gar Panik nichts zu spüren: Dafür sind die Wirtschaftsbeziehungen zu Saudi-Arabien zu unbedeutend. Es dominiert die Ansicht, dass der Rückruf des eigenen Botschafters nach Riad sowie das Einfrieren der Handelsbeziehungen sich eher mit der saudischen Innenpolitik erklären lasse. Der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman, bekannt als MbS, wolle dem Rest der Welt demonstrieren, dass es Konsequenzen habe, wenn jemand eindeutige Kritik an den inneren Zuständen im Königreich übe.

Kritik am Feministen Trudeau kommt unter Autokraten gut an

Zudem ist Kanada das "ideale Ziel" fur diese Art von Machtdemonstration, weil sich das wirtschaftliche Risiko in Grenzen hält: "Wir sind kein besonders wichtiges Land für sie und Saudi-Arabien ist für uns nicht so wichtig", bilanziert Thomas Juneau, Nahost-Experte der Universität Ottawa. In der Tageszeitung Globe and Mail erklärt die Politikprofessorin Bessma Momani, was Riad an Trudeau stört: "Da ist ein Premier, der sich stolz als Feminist bezeichnet und eine Frau zur Außenministerin ernannt hat. Wenn Westler dafür bestraft werden, dass sie anderen vorgeben, was zu tun ist, dann kommt das zuhause und unter den gleichgesinnten Autokraten und Diktatoren gut an."

Als weiteren Grund für den saudischen Frust nennt Analyst Juneau einen 15-Milliarden-Dollar-Deal, den Riad 2014 mit Trudeaus konservativem Vorgänger Stephen Harper schloss. Demnach liefert das Unternehmen "General Dynamics Land Systems" bis 2029 insgesamt 3000 Radpanzer (light armored vehicles) in den Nahen Osten, was in Kanada 3000 Jobs sichert. Trudeau hatte als Oppositionsführer das Abkommen attackiert und sich nach seinem Wahlsieg im Herbst 2015 gegenüber Riad äußerst reserviert gezeigt.

Laut Juneau benötigt Saudi-Arabien diese gepanzerten Transporter "aus militärischen Gründen" nicht, sondern nutzt diese Verträge, um bilaterale Beziehungen zu festigen oder neue Partnerschaften aufzubauen. Im Umgang mit den USA sowie Großbritannien und Frankreich sei dies üblich. Bisher wurde der auf beiden Seiten umstrittene Radpanzer-Deal von Trudeau nicht aufgekündigt, obwohl in Kanada diese Forderung immer populärer wird.

Bisher exportiert Kanada pro Jahr Waren im Wert von knapp vier Milliarden US-Dollar nach Saudi-Arabien, wovon die Radpanzer einen erheblichen Teil ausmachen. Zum Vergleich: Im Handel mit den USA ist diese Summe nach nur zwei Tagen erreicht. Allzu hart trifft das Einfrieren der Handelsbeziehungen das Land also nicht; die Importe von saudischem Rohöl machen weniger als zehn Prozent des Gesamtvolumens aus und sind nach Expertenmeinung leicht zu ersetzen.

Dass die staatliche Fluglinie Saudia vom 13. August an Toronto nicht mehr direkt ansteuert, dürfte vielen der 36 Millionen Kanadier egal sein. Auch die Meldung, dass die saudische Zentralbank kanadische Wertpapiere abstoße, sorgte im Finanzzentrum Toronto für wenig Aufregung.

Dass mindestens 16 000 saudische Studenten, deren Ausbildung vom Königreich finanziert wird, ihre Studien anderswo fortsetzen sollen, könnte allerdings Auswirkungen auf das Budget mancher Hochschulen haben: Die Saudis zahlen oft den Höchstsatz von etwa 60 000 US-Dollar und bringen Angehörige mit, die ebenfalls Geld ausgeben. Mittelfristig müssen wohl auch die 800 saudischen Ärzte ausreisen, die momentan hier ihre medizinische Fachausbildung absolvieren - auch hierfür übernahm das Königreich bisher die Kosten von etwa 80 000 US-Dollar pro Person.

Es droht zumindest kurzfristig ein Mangel an Fachkräften: "Die saudischen Mediziner leisten einen ganz wichtigen Anteil, um die Patienten hier in Ontario zu versorgen", sagte die Ärztin Caroline Just dem Toronto Star. Zuletzt meldete die staatliche Nachrichtenagentur Spa, dass die Programme mit Kanada zur medizinischen Behandlung von saudischen Staatsbürgern gestoppt worden seien. Die Patienten würden von Krankenhäusern in anderen Ländern aufgenommen.

"Washington Post" fordert Trump auf, Kanada zu unterstützen

Die internationalen Reaktionen auf den diplomatischen Streit fallen wenig überraschend aus. Wahrend sich die arabischen Staaten hinter Riad stellen und Saudi-Arabien auch von Russland unterstützt wird (Kanadas Außenministerin Freeland ist seit Jahren eine ausgewiesene Putin-Kritikerin und steht auf der Sanktionsliste des Kreml), schweigen die meisten westlichen Regierungen - darunter auch die Bundesregierung - bislang und verteidigen Ottawa nicht.

Angesichts des angespannten bilateralen Verhältnisses zwischen US-Präsident Donald Trump und Kanadas Premier Trudeau hatte man in Kanada gespannt auf die Reaktion aus Washington gewartet. Dort hieß es dann, beide Seiten müssten das Problem gemeinsam auf diplomatische Weise lösen. "Wir können das nicht für sie tun", teilte Heather Nauert mit, die Sprecherin des US-Außenministeriums.

Ähnlich wie die wichtigsten kanadischen Medien lobt auch die Washington Post die Standfestigkeit der Trudeau-Regierung. Sie erkenne, dass Demokratie und Meinungsfreiheit universale Werte seien. Es sei positiv, dass Ottawa nicht davor zurückschrecke, die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien anzusprechen - und dass man bereit sei, dafür einen Preis zu zahlen. In einem Leitartikel, der auch auf Arabisch veröffentlicht wurde, forderte die Zeitung die eigene Regierung und andere Demokratien auf, Kanada nicht im Stich zu lassen.

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