Das Foto, das die deutsche Politik in dieser Woche am heftigsten in Erklärungsnot brachte, war alt. Es zeigt den Militärflieger A400M von innen, eine Handvoll Menschen sitzen darin auf Klappstühlen; der Journalist Thomas Wiegold hat es im Jahr 2017 aufgenommen.
Als allerdings am Dienstag publik wurde, dass die Bundeswehr in ihrem ersten Evakuierungsflug aus Kabul nur sieben Menschen an Bord hatte - und die Amerikaner in einem Flugzeug 640 Menschen außer Landes brachten - wurden das Foto ein Twitter-Hit. Ein klassischer Fake, der das angebliche Versagen der Regierung plakativ anschaulich machte.
Man konnte zuletzt einiges lernen über den Zusammenhang von politischer Kommunikation, dem Social-Media-Zeitalter und über die Macht der Bilder. Darüber, wie die Echtzeitinformation, die vielen kleinen Schnappschüsse und und zum Teil dramatischen Videoschnipsel (professionelle Fotos aus Kabul gibt es nur wenige) den politischen Diskurs prägen und das Tempo vorgeben. Die Bundesregierung war am Dienstag jedenfalls gut beschäftigt, den Eindruck auszuräumen, in Kabul gar nichts mehr im Griff zu haben.
US-Präsident Joe Biden wollte unbedingt einen Saigon-Moment in Kabul verhindern - gemeint ist jenes berühmte Foto von 1975, das angeblich die Evakuierung der US-Botschaft zeigt (in Wahrheit ist ein anderes Gebäude zu sehen).
Tatsächlich aber gab es viele Kabul-Momente, die in wackligen Aufnahmen im Netz landeten und die afghanische Katastrophe auch in den deutschen Wahlkampf brachten. So trat etwa Armin Laschet, CDU-Kanzlerkandidat, nach einem nicht ganz glücklichen Statement zur Flüchtlingsfrage am Montag in den "Tagesthemen" auf , und Ingo Zamperoni fragte: "Da klammern sich verzweifelte Menschen an startende Flugzeuge, und Ihre größte Sorge ist, dass sich 2015 bei uns nicht wiederholt?" Wenn Bilder, noch dazu Bewegtbilder, die öffentliche Meinung prägen, kommt die Politik mit Worten schwer dagegen an.
Anruf bei Frank Brettschneider, Professor für Politische Kommunikation. Er sagt, man habe zuletzt sehr schön den sogenannten "Bildüberlegenheitseffekt" beobachten können: Bilder sind stärker als Worte. Und sie beeinflussen politische Diskurse, so wie einst das berühmte Foto vom Napalm-Mädchen die amerikanische Sicht auf den Vietnamkrieg veränderte.
In Zeiten von Social Media geschehe das, so Brettschneider, viel schneller. Es gebe in der Kommunikationswissenschaft schon länger das Gedankenspiel: Wie würde Kennedy heute mit der Kubakrise umgehen? Könnte er sich noch die Zeit für eine diplomatische Lösung nehmen, wenn die Nachrichten von der Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen in Kuba über Social Media liefen?
Brettschneider jedenfalls sagt, dass er erstaunt sei, wie sehr die Politik von der Wucht der Bilder immer wieder überrascht werde. "Politiker", sagt er, "müssen den Umgang mit Bildern beherrschen, viele tun das nicht, man kann das beim Kanzlerkandidaten Laschet und seinen unglücklichen Fotos aus dem Flutgebiet ja gerade beobachten." Erfolgreiche politische Kommunikation müsse Bilder prägen, statt sie hinterher mit Worten einzufangen. Das zumindest hat in diesem Wahlsommer noch nicht ganz so gut funktioniert.