Sicherheitspolitik in Asien:Tokio ist wieder sauer

Lesezeit: 3 min

Angehörige von Zwangsarbeitern, die zwischen 1910 und 1945 in japanischen Unternehmen eingesetzt wurden, bei einer Kundgebung vor dem Gericht in Seoul. (Foto: Yonhap/AFP)

2023 haben Japan und Südkorea so einträchtig zusammengearbeitet wie schon lange nicht mehr. Ein Gerichtsurteil aus Seoul erinnert daran, wie brüchig die neue Freundschaft ist.

Von Thomas Hahn, Tokio

Yoshimasa Hayashi ist erst seit wenigen Tagen Kabinettschefsekretär der japanischen Regierung, und man darf davon ausgehen, dass er seinen neuen Job schon am Donnerstag nicht besonders erfreulich fand. Grund: eine Nachricht aus Südkorea zur schwierigen Zwangsarbeiterfrage.

Im September war Hayashi noch Japans Außenminister gewesen. Dann kam eine Kabinettsumbildung, die ihn überraschend das Amt kostete. Und vergangene Woche spülte ihn dann der Spendenskandal um die Regierungspartei LDP auf den einflussreichen Kabinettsposten; der bisherige Chefsprecher Hirokazu Matsuno gehört zu den belasteten Mitgliedern, die von unversteuerten Spendenparty-Einnahmen profitiert haben sollen. Hayashi hatte am Donnerstag in Tokio also die undankbare Aufgabe, für Japans Regierung auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Seoul zu reagieren, nachdem zwei japanische Firmen tatsächlich Entschädigungen zahlen müssen für Personen, die sie während Japans Kolonialherrschaft zwischen 1910 und 1945 in Korea gegen deren Willen beschäftigt hatten.

Das Urteil ist eine Bewährungsprobe für die noch zarte Freundschaft der beiden Länder

Das war gar nicht so einfach, denn Japan ärgert das Urteil sehr. Yoshimasa Hayashi musste irgendeinen Ausdruck finden, der die üblichen Missfallensbekundungen steigerte. Er entschied sich für die Formulierung, das Urteil sei "extrem bedauerlich" und "total inakzeptabel".

Der Richterspruch aus Seoul war nur eine Bestätigung dessen, was südkoreanische Gerichte schon 2018 und 2019 entschieden hatten: Demnach sei den Klägern recht zu geben, die von den Unternehmen Nippon Steel und Mitsubishi Heavy Industries wegen erlittener Zwangsarbeit Entschädigungszahlungen einklagen. Trotzdem war das Urteil ein Rückschlag für die Beziehung zwischen Südkorea und Japan, der Folgen für die Sicherheitspolitik in der Region mit den bedrohlichen Nachbarn China und Nordkorea haben könnte. Zumindest bedeutet es eine Bewährungsprobe für eine Freundschaft, die es im Grunde erst seit diesem Jahr gibt.

Denn dass Südkorea und Japan 2023 so einträchtig zusammengearbeitet haben wie selten zuvor, hatte viel damit zu tun, dass Südkoreas konservativer Präsident Yoon Suk-yeol im Frühjahr genau für diese Entschädigungszahlungen eine Lösung gefunden hatte. Eine südkoreanische Stiftung soll demnach die Zahlungen zwischen 100 Millionen und 150 Millionen Won (zwischen 70 000 und 105 000 Euro) tragen, die nach dem Urteil den einzelnen Klägern zustehen. Yoons Vorstoß wirkte wie eine Verzweiflungstat für mehr Einigkeit in schwierigen Zeiten. Opposition und andere Kritiker sahen darin einen Ausverkauf südkoreanischen Rechts gegen den früheren Besatzer. Japans rechtskonservative Regierung wiederum durfte sich bestätigt fühlen in ihrer Haltung, dass alle Ansprüche für besagte Arbeiter seit dem bilateralen Abkommen von 1965 "vollständig und endgültig" geklärt seien.

Der alte Konflikt um Entschädigungszahlungen ist noch immer nicht gelöst

Die Folgen der Yoon-Idee waren jedenfalls bemerkenswert. Plötzlich lebte ein Nachbarschaftsverhältnis auf, das wegen der Urteile in der Zwangsarbeiterfrage jahrelang keines mehr gewesen war. Yoon besuchte Kishida, Kishida besuchte Yoon. Die beiden Regierungschefs prosteten sich medienwirksam zu und vereinbarten eine Rückkehr zur Shuttle-Diplomatie mit regelmäßigen Treffen. Handelsbeschränkungen fielen, die beide Länder dem jeweils anderen im Streit auferlegt hatten. Im August folgten die neuen Freunde der Einladung von Joe Biden nach Camp David. Auf dem Landsitz des US-Präsidenten stellten sie dann zu dritt ihr historisches Abkommen für eine trilaterale Zusammenarbeit in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen vor.

Und jetzt erinnert der Richterspruch von Seoul wieder daran, dass die Eintracht brüchig ist. Yoon hat den alten Konflikt eben eigentlich nicht gelöst. Er hat einfach nur aufgehört, ein japanisches Verständnis einzufordern, das Tokios rechte Eliten niemals aufbringen würden. Die Frage ist, was aus der neuen Irritation folgt. Zunächst einmal bleibt es vermutlich beim Grummeln aus Tokio. Die Lage ist zu ernst für eitle Streits. Nordkorea hat gerade wieder seine neueste atomwaffenfähige Langstreckenrakete getestet. Erst am Dienstag aktivierten Japan, Südkorea und die USA ein trilaterales Echtzeitsystem zum Austausch von Daten für den Fall, dass wieder eine nordkoreanische Rakete fliegt.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Erst auf lange Sicht könnte es größere Probleme geben. Die meisten Kläger in den Prozessen gegen Nippon Steel und Mitsubishi Heavy Industries sind mittlerweile gestorben. Aber das ändert nichts daran, dass die Frage der japanischen Verantwortung für koreanisches Leid in der Kolonialzeit viele in Südkorea beschäftigt. Zum Beispiel die Mitglieder der japankritischen Demokratischen Partei, die bis 2022 den Präsidenten stellte. 2027 ist die nächste Präsidentschaftswahl. Wenn dann ein DP-Kandidat gewinnt, wird das Verhältnis zwischen Japan und Südkorea wieder schwierig.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNordkorea
:Mehr Raketen, weniger Kinder

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe Kim Jong-un 2023 ein tolles Jahr gehabt. Aber auch spektakuläre Raketentests und die neue Nähe zu Russland können nicht von den Problemen seines Regimes ablenken.

Von Thomas Hahn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: