Krieg, Klima, Flüchtlinge, kaputte Schulen - die nächste Bundesregierung steht vor riesigen Herausforderungen. Die SZ befragt Experten, was sie von einer Regierung in dieser Welt erwarten. Den Anfang machte der Politikwissenschaftler Herfried Münkler; ihm folgt hier der Klimaforscher Ottmar Edenhofer vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Weitere Gesprächspartner sind die Sozialexpertin Jutta Allmendinger und die Integrationsforscherin Naika Foroutan.
SZ: In den USA ist der Klimaleugner Donald Trump an der Macht, in Europa werden rechtspopulistische Parteien wie die AfD stark. Dreht sich das Klima gerade gegen das Klima?
Ottmar Edenhofer: Ja, da dreht sich was. Man braucht nur nach Osteuropa schauen, dort wird das manifest. Ich habe ein Wochenende im polnischen Parlament verbracht. Eine hochinteressante Begegnung! Der polnische Umweltminister hatte zu einer Debatte über die päpstliche Enzyklika Laudato Si' eingeladen. Schnell wurde klar, wie Polen die Welt wahrnimmt. Die wichtigste Botschaft lautete: Auf so etwas wie das neoliberale Europa, wie wir es zu Beginn der Neunzigerjahre erlebt haben, werden wir uns nie wieder einlassen. Das macht uns sozial und ökonomisch, vor allem aber kulturell kaputt. Genau in diese Gemengelage gehört auch das Thema Klima.
Warum?
Es ist aus polnischer Sicht ein Thema der europäischen Eliten. Im Parlament habe ich zwei Farben gesehen: Die eine war Violett, das waren die Bischöfe; die andere war das Grün der Förster und Jäger. Die hielten selbst die päpstliche Enzyklika Laudato Si' für ein linksliberal-grünes Papier. Das zeigt mir, wie radikal sich das Klima gegen das Klima verändert.
Gilt das auch in Deutschland?
Zum Teil ja. Der rechte Rand der Union glaubt nach wie vor, dass das alles Firlefanz ist. Je mehr Gewicht die AfD politisch bekommt, desto mehr Leute halten das ganze Klimathema für Fake News. Das gilt auch für einen Teil der FDP. Wenn die Kanzlerin nicht wäre, würde das Klimathema in der Union viel kontroverser und viel aggressiver diskutiert.
Herfried Münkler über Jamaika-Koalition:Deutschlands Außenpolitik braucht radikalen Pragmatismus
Der Politologe Herfried Münkler ist überzeugt: Die nächste Regierung muss sich um gute Beziehungen zu Putin und Erdoğan kümmern. Anders ist dem Staatszerfall in Nordafrika und im Nahen Osten nicht beizukommen. Dem dürfe auch der Streit um die Krim nicht im Wege stehen.
Warum ist es nicht gelungen, daraus mehr als nur ein Elitenthema zu machen?
Bevor die AfD in den Bundestag gekommen ist, gab es einen parteiübergreifenden Konsens, dass gefährlicher Klimawandel vermieden werden soll. Aber das Klimathema war immer ein Elitenthema: Es gibt kaum einen anderen Politikbereich, in dem sowohl die Wahrnehmung des Problems als auch die Lösungsstrategien so stark von der Wissenschaft geprägt sind. Die Anti-Atom-Bewegung kam aus der Zivilgesellschaft. Meine Jugend war davon geprägt, dass man gegen Wackersdorf demonstriert hat. Die Eliten waren damals auf der anderen Seite. Die Eliten waren für die Kernenergie. Sie haben gesagt: ohne Kernenergie kein Wohlstand.
Und sie haben verloren.
Ja, ganz dramatisch. Die Eliten haben sich gegen die Zivilgesellschaft nicht durchsetzen können. Ich habe mal mit CSU-Politikern darüber gesprochen, wann sie das erste Mal gemerkt hätten, dass sie diesen Konflikt verlieren würden. Einer antwortete, ihm sei das klar geworden, als er auf einer Tagung erlebt habe, welche emotionale Wucht die Gegner entwickelt hatten. Die war viel stärker als bei den Befürwortern der Kernenergie. Die Kraft der Anti-AKW-Bewegung kam jedoch vor allem auch daher, weil es nicht primär um die zivile Nutzung der Kernenergie ging, sondern vor allem um die Bedrohung durch einen Nuklearkrieg, der auf deutschem Boden geführt werden könnte.
Hat die Umweltbewegung mit dem Kampf gegen Kohlekraftwerke nicht ein vergleichbares Symbol gefunden?
Gegen Kohlekraftwerke und Tagebau kann man demonstrieren und Widerstand mobilisieren. Dennoch gibt es einen großen Unterschied: Ein Reaktorunglück wie in Tschernobyl und Fukushima ist eine Apokalypse. Die lokale Luftverschmutzung, die ein Kohlekraftwerk verursacht, und sein Beitrag zum Klimawandel sind graduelle, aber keine apokalyptischen Ereignisse. Noch werden auf der ganzen Welt Kraftwerke gebaut, weil Kohle billig und ein Symbol für Wohlstand und Entwicklung ist. Das macht die Kritik an der Kohle schwieriger. Die Emissionen sind in diesem Jahr gestiegen und auch die weltweite Kohlenutzung wird im Jahr 2017 wieder steigen.
In den noch nicht voll entwickelten Staaten.
Aber nicht nur dort, auch in Japan wird wieder vermehrt auf Kohle gesetzt. Dennoch: Die Nutzung von Kohle wird in vielen Schwellenländern als eine Voraussetzung für Wirtschaftswachstum wahrgenommen. Die Kritik am Wirtschaftswachstum, die Vorstellung einer Post-Wachstumsgesellschaft empfinden z.B. afrikanische Ökonomen als Neokolonialismus. Ein globaler Ausstieg aus der Kohle wird nur gelingen, wenn wir zeigen können, dass auch die erneuerbaren Energien Wirtschaftswachstum sicherstellen können, auch in den Schwellenländern, aber auch in Polen. Sonst bleibt Klimaschutz ein Thema westlicher Eliten, das bestenfalls Rückhalt im grünen Teil der Zivilgesellschaft hat.
Hören wir da einen Zweifel raus?
Nein. Aber wie wird der klassische Grüne von einem konservativen polnischen Katholiken oder einem AfD-Wähler gesehen? Es geht hier nicht nur um Klima- und Energiepolitik, sondern um eine Weltanschauung: Wer Klimawandel wichtig findet, vertritt auch ein Familienmodell, das vollkommen inkompatibel ist mit einem Rechtskonservativen. Die "Ehe für alle" - für die gegenwärtige Regierung in Polen ein Grund für ihren Kulturkampf gegen das europäische Projekt.
Ist das der Weg, mit dem auch Donald Trump irgendwie alles verbindet?
Ich denke schon. Als mich im Januar zwei Vertreter der Trump-Administration besucht haben, fragte ich sie, warum sie Trump unterstützen würden? Ihre Antwort war: Wir müssen die kulturelle Erosion stoppen. Wir müssen es verhindern, dass die Familie erodiert, dass die Gestalt und Figur des Vaters erodiert. Wir wollen das alte Familienbild zurück. Vergleichen Sie das mal mit dem Parteiprogramm der Grünen. Die stehen für Klimaschutz und gleichzeitig für alles, was die Rechtspopulisten ablehnen.
Würden Sie auch alles vermischen? Drohen uns nach dem Beschluss des Bundestages zur Ehe für alle amerikanische Zustände? Eine Rache der Rechtspopulisten?
Ich befürchte, dass sich die Gesellschaft entlang solcher kultureller Konflikte weiter spaltet.
Was heißt das für die nächste Bundesregierung? Soll sie mit dem Thema vorsichtig umgehen? Oder umso entschiedener?
Die Mutlosigkeit, die Fantasielosigkeit des Wahlkampfes war entsetzlich. Die Politiker trauen sich nicht, den Leuten zu sagen, was eigentlich nötig wäre und was sie tatsächlich vorhaben. Dadurch entsteht der Eindruck einer versteckten Agenda, eines Gefühls: Eigentlich wollen die da oben was ganz anderes. Viele Gegner nehmen das Klimathema als ein trojanisches Pferd wahr.
Das klingt sehr pessimistisch.
Naja. Wir werden die großen Zukunftsaufgaben nicht meistern, wenn sich die Gesellschaft in kulturelle Lager spaltet und ein gesellschaftlicher Diskurs unmöglich wird. Spannend wäre es zu sehen, wie ein Liberaler über Klima nachdenken kann, und dabei auch über die Herausforderungen des Liberalismus im 21. Jahrhundert nachdenkt. Wie kann ein Konservativer den Begriff gesellschaftliche Stabilität erneuern, wenn er darüber nachdenkt, wie ein ungebremster Klimawandel genau diese untergräbt? Wie kann ein Linker über Ungleichheit nachdenken, wenn er versteht, dass durch den Klimawandel die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird? Wir dürfen nicht zulassen, dass der Diskurs über existentielle Probleme von Gesellschaften unmöglich wird, weil der gesellschaftliche Diskurs zerfällt und jedes Lager einfach seine Stereotypen beibehält. Die Grünen sind für Klima, die Liberalen für Freiheit und die Linken für Gerechtigkeit. So kann das nichts werden.
Wieso?
Weil die Politik im Verdacht steht, dass sie die Kontrolle über die existentiellen Zukunftsfragen längst verloren hat, ein Gefühl, das durch die Flüchtlingskrise vermehrt zutage gefördert wurde. Da hatten auch Leute, die nicht unbedingt xenophob sind, das Gefühl, die Regierung habe die Kontrolle verloren.
Lässt sich das auf das Thema Klima mal eben so übertragen?
Ich fürchte schon. Der Politik und dem Nationalstaat wird zunehmend weniger zugetraut, existentielle Lebensfragen zu meistern, gerade weil wir darüber kaum Debatten führen. Aber die Leute haben das Gefühl, etwas stimmt nicht. Die da oben, die da in der Regierung, die erzählen uns nicht, was die wirklichen Herausforderungen sind. Die Politik versucht, weiterzumachen wie bisher. Wo haben wir die Debatte über die Zukunft der Sozialversicherungssysteme angesichts einer sich rapide verändernden Arbeitswelt? Können wir sicher sein, dass der Bismarcksche Wohlfahrtsstaat mit diesen Herausforderungen fertig wird? Ich habe da große Zweifel. Aber statt aber darüber zu diskutieren, wird die Rente mit 63 als Reform gefeiert. Absurd! Die Leute spüren: Irgendwas stimmt da nicht.
Und was soll man nun tun?
Das ist nicht einfach. Die Nationalstaaten versuchen die Kontrolle zu behalten, indem sie sich vom Multilateralismus und von internationaler Kooperation verabschieden. Die Stimmung in Osteuropa, in Polen und Ungarn gegen die EU hat darin ihren Grund. Aber angesichts der globalen Herausforderungen brauchen wir Kooperation und Multilateralismus. Je mehr sich Nationalstaaten auf ihre eigenen Interessen zurückziehen, umso schneller werden sie die Kontrolle verlieren, weil zentrale Fragen nicht national zu lösen sind. Ein ungebremster Klimawandel führt zu diesem Kontrollverlust; die Leugner des Klimawandels verkennen, dass dessen Schäden so groß werden, dass die Grenzen der Anpassungsfähigkeiten heutiger Nationalstaaten bei Weitem überschritten werden. Als ich vor fünf Jahren gesagt habe, wenn die Leute aus Afrika wegen des Klimawandels nach Europa fliehen, dann sei die Grenze der Anpassungsfähigkeit schnell erreicht, wurde ich ausgelacht - Europa werde doch mit Flüchtlingen aus Afrika ohne weiteres zurechtkommen. Das Jahr 2015 hat gezeigt, dass dies keineswegs trivial ist. Mir zeigt dieses Beispiel: Die Politik, die nur auf Sicht fährt, manövriert sich in Situationen, in denen sie die Kontrolle über die Ereignisse verliert.
Also der AfD offensiv widersprechen? Das könnte der Politik aggressive Kritik einbringen.
Dann muss sie das in Kauf nehmen. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus bleibt uns nicht erspart. Denn der Rechtspopulismus und damit auch die AfD stellen das Selbstverständnis einer liberalen Gesellschaftsordnung grundsätzlich in Frage: Erstens wird die Gleichheit der Menschen in Frage gestellt. Es wird zwischen "richtigen" und " anderen" Bürgern unterschieden. Zweitens wird der Wert der Pluralität von Weltanschauungen, die Notwendigkeit der Debatte in Frage gestellt. Darum auch die große Affinität der Rechtspopulisten zu autoritären Strukturen. Drittens wird die Wissenschaft, das strukturierte und methodische Ringen um Erkenntnis, abgelehnt.
Sie haben die Fragmentierung beklagt. Diese spiegelt sich auch in den Sondierungsgesprächen wider. Da steht die eine Partei für dieses, die andere für jenes, und am Ende wird dann irgendein Paket geschnürt. Woher rührt die Unfähigkeit, über ein gemeinsames politisches Projekt zu verhandeln?
Weil wir noch nicht verstanden haben, dass wir über die Grundlagen unseres Gemeinwesens diskutieren müssen. Wie sieht zum Beispiel ein Liberalismus des 21. Jahrhunderts aus? Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts hat die Grundrechte der Individuen gegenüber dem Staat verteidigt. Damit wurden Sphären der Unantastbarkeit geschaffen, in denen der Staat nicht eingreifen kann. Heute stellt sich die Debatte ganz anders: Wie werden die Rechte gegenüber großen korporativen Akteuren, Großorganisationen wie Apple, Google oder Amazon verteidigt? Wie kann heute eine Sphäre der Unantastbarkeit angesichts von Big Data und künstlicher Intelligenz garantiert werden? Diesen Fragen müsste sich eine liberale Partei wie die FDP stellen.
Ist die FDP das größte Problem?
Nein. Liberalismus, Konservatismus, die Ökologiebewegung und Sozialismus sind weltanschauliche Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Es ist nicht klar, welche Antworten sie auf die Fragen des 21. Jahrhunderts haben. Dabei wäre die Herausforderung des Klimawandels eine große Chance, aus Jamaika ein Projekt gesellschaftlicher Modernisierung zu machen: Die Grünen bringen die Notwendigkeit eines ambitionierten Klimaschutzes ein, die FDP zeigt, wie dies mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und mit Innovationen funktionieren könnte. Die FDP müsste sich klarmachen, dass die Vorstellung von Eigentum und Marktwirtschaft nicht mehr funktioniert, wenn ein System seine sozialen Kosten auf die Schwächsten abwälzt. Die CDU könnte zeigen, dass die Bewahrung der Schöpfung notwendig ist, wenn wir unsere kulturelle Identität bewahren wollen. Die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs müsste durch den sozialpolitischen Flügel der CDU und der Grünen eingebracht werden.
Trotzdem gelingt es nicht. Liegt das an einem mangelnden Verantwortungsbewusstsein?
Es fehlt die Vision und es fehlt die Debatte. Anstatt über ein Verfallsdatum für den Verbrennungsmotor zu diskutieren, wäre es wichtiger, über die Stadt der Zukunft zu reden. Mit dem Kohleausstieg wird auch nicht die Axt an den Industriestandort Deutschland gelegt. Und die Autoindustrie in Deutschland wird sich neu erfinden müssen, wenn sie überleben will. Gerade weil in Kalifornien und in China mit neuen selbstfahrenden Elektroautos experimentiert wird. Die Regulierer haben in Kalifornien der lokalen Luftverschmutzung durch den Autoverkehr den Kampf angesagt. Es ist erstaunlich, mit welchem Selbstbewusstsein und welcher Energie die ihre Aufgabe anpacken. Das sind doch die großen Herausforderungen und nicht die Verteidigung dessen, was bald im Industriemuseum landen wird. Kalifornien wird hier zu einem großen Innovationslabor - gerade wegen Donald Trump.
Die haben auch Tesla und nicht Volkswagen.
Das ist der entscheidende Punkt. Wir brauchen den Mut zu mehr Innovation. Aber das könnte doch eine Aufgabe der FDP sein, Innovationen zu fördern. Klimaschutz ist kein Bremser des Wohlstands, sondern kann ein Treiber von Innovationen werden. Mein Eindruck ist, dass die deutsche Wirtschaft zu dieser Innovation bereit ist, aber dass es dazu einer Verpflichtung der Politik bedarf, in die Infrastruktur zu investieren. Es ist nicht damit getan, Elektroautos auf die Straße zu bringen, es müssen auch Ladestationen vorhanden sein. Mit der Verteidigung alter Strukturen sollten wir unsere Zeit nicht verschwenden.
Sind die deutschen Politiker zu dumm?
Natürlich nicht. Politiker müssen Mehrheiten organisieren. Die reden eine Stunde mit mir übers Klima, und wenn wir fertig sind, dann warten vor der Tür schon Leute von der Chemieindustrie. Oder von den Gewerkschaften. Es ist eine enorm schwierige Aufgabe, diese Interessen zum Ausgleich zu bringen. Aber heute genügt das nicht mehr. Deutschland ist heute noch erfolgreich, aber es wird sich einiges ändern müssen, wenn es auch in Zukunft noch erfolgreich sein will. Welche Rolle wollen wir in Europa, in der Welt spielen. Die Fragen stellen wir uns leider nicht, weil wir politisch auf den kurzfristigen Ausgleich von Interessen fixiert sind.
Angesichts dessen: Was kann, was muss die nächste Bundesregierung in der Klimapolitik leisten?
Wir brauchen eine CO₂-Bepreisung, die über alle Sektoren hinweg wirkt. Dazu gehört die Reform des Emissionshandels: Dort brauchen wir einen Mindestpreis. Aber auch eine Reform der Energiesteuern, die derzeit Strom und Gas am stärksten besteuern und Braunkohle am wenigsten. Wir werden aus der Kohle aussteigen müssen. Mir ist unbegreiflich, warum das nicht gehen soll.
Wie kommen Sie zu dem Schluss?
Wenn wir keinen CO₂-Preis bekommen, der auf alle Sektoren wirkt, wird die Politik in die Sektoren mit Grenzwerten und Ordnungsrecht eingreifen müssen. Das ist aufwendig und fördert kaum Innovationen. Man wird damit die Emissionen in einer großen Volkswirtschaft nicht drastisch vermindern können. Deshalb sind steigende CO₂-Preise das Instrument der Wahl.
Und darüber hinaus: Was ist die wichtigste Aufgabe der nächsten Bundesregierung? Gerade mit Blick auf Trump, auf Polen, aber auch auf Macron?
Eine Bundesregierung muss zwischen kurzfristigen und langfristigen Herausforderungen unterscheiden. Klima, Digitalisierung, Industrie 4.0, die Zukunft des Wohlfahrtsstaats sind die langfristigen Herausforderungen. Dazu brauchen wir eine gesellschaftliche Debatte.
Wie müssen diese Debatten aussehen?
Wir sollten Landkarten über alternative Zukunftspfade entwerfen und ihre jeweiligen Chancen, Risiken, Vor- und Nachteile diskutieren. Wie sieht die Dekarbonisierung des Verkehrssektors aus? In welchen Städten wollen wir leben? Wie sieht ein Steuersystem aus, das ökologische Wirkung entfaltet, Innovationen fördert und zugleich gerecht ist? Welche Wirkung hat die Digitalisierung auf die Zukunft der Arbeit? Wie sollen soziale Sicherungssysteme gestaltet werden? Diese Fragen sollten wir in einem gemeinsamen Lernprozess mit Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft diskutieren.
Sollte man die Struktur des Kabinetts anpassen? Ein Digital-, ein Klima-, ein Integrationsministerium schaffen?
Vielleicht. Aber es wäre innovativer, wenn man ein "Schattenkabinett für Zukunftsfragen" ins Leben ruft und Schattenminister ernennt, die sich um diese Querschnittsthemen kümmern und mit der Öffentlichkeit diese Debatten voranbringen. Man könnte eine Art Schattenkabinett schaffen, um den großen Fragen nachzugehen.
So etwas Ähnliches hat es beim Klimaplan 2050 gegeben - und danach hat die Politik alles wieder verwässert. Warum sollen die Menschen glauben, dass es der Politik damit ernst ist?
Ja, am Ende waren die Lobbygruppen stärker. Aber immerhin gab es eine breite Beteiligung. Wenn es ein Schattenkabinett für Zukunftsfragen gäbe, könnten diese Fragen gestellt und diskutiert werden. Das wäre ein großer Schritt. Immerhin war der Klimaschutzplan wenigstens ein Anfang.
Was hat er gebracht?
Sieht man von der AfD ab, wurde ein parteipolitischer Konsens erreicht, dass das Klimaabkommen von Paris umgesetzt werden soll.
Ist es nicht ein zentrales Problem, dass viele Menschen und Politiker gar nicht in Zukunft schauen wollen, sondern für jetzt und gleich Lösungen wollen? Schule? Jobs? Straßen?
Das mag sein. Aber Jobs, die heute sicher sind, sind es morgen nicht mehr. Die Verunsicherung über die Digitalisierung und die Zukunft der sozialen Sicherung hat auch die Mittelschicht erfasst. Wir stehen an der Schwelle großer Veränderungen, auf die wir nicht vorbereitet sind.
So hart?
Meines Erachtens ja. Nehmen Sie VW: hervorragende wirtschaftliche Ergebnisse und dennoch weiß das Unternehmen, dass es sich neu erfinden muss. Auch die Leute bei VW spüren die tektonische Erdplattenverschiebung. Wir haben die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus noch nicht bestanden. Trotz Klimakonferenzen sind die Emissionen wieder gestiegen. Wir haben die richtigen Antworten noch nicht gefunden.
Wie sähe die richtige aus?
Die Politik und vor allem die Kanzlerin dürften nicht nur "auf Sicht fahren". Wir müssen unser Sichtfeld erweitern. Das ist die Aufgabe der Politik. Es ist eine große Fähigkeit, auf Sicht zu agieren. Aber wir sind in einer so schwierigen Lage, dass eine Anstrengung unternommen werden muss, breiter, weiter, zukunftsorientierter auf die Welt zu schauen. Nur so kann man die Welt retten. Und Deutschland.
Sie sind Klimaexperte und sprechen deshalb natürlich darüber. Aber es gibt dazu auch noch ganz andere große Probleme und Aufgaben. Eine gefährlich in Unordnung geratene Welt; ein wachsendes soziales Ungleichgewicht, auch in Deutschland; die Integration von Hunderttausenden Menschen. Welches Thema ist womöglich noch drängender als Ihres?
Die steigende Ungleichheit, die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, die Zukunft der Arbeit, die Zukunft der Freiheit.
Warum?
Die Moderne hatte das Projekt der Emanzipation, in der der Mensch Grenzen überwindet. Manchmal habe ich den Eindruck, wir sind in Gefahr, die Fundamente unserer Freiheit zu untergraben, das zu untergraben, was uns als Personen ausmacht. Wir sollten den technischen Fortschritt so gestalten, dass wir uns nicht als Menschen dabei selbst abschaffen.
Welche Sorge haben Sie?
Ich möchte nicht auf einem Planeten leben, in der ganze Weltgegenden unbewohnbar werden. Und ich möchte auch nicht in einer Welt leben, in der mein Leben fremdbestimmt wird durch technische Systeme: indem ich von Algorithmen belohnt werde, wenn ich meine Rechnungen pünktlich bezahle, Sport betreibe und nicht zu schnell fahre. Auch will ich nicht von Algorithmen vom Zugang zu Krankenversicherungen, Krediten und sozialen Netzen ausgeschlossen werden. Ich will auch nicht in einer Welt leben, in der der Mensch vollkommen transparent ist, in der es kein Vergessen gibt. In einer solchen Welt gäbe es auch kein Verzeihen mehr und das wäre eine gnadenlose Welt.
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer ist Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Er ist stellvertretender Direktor sowie Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Lehrstuhlinhaber für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin.