Italien:Streit um Polizeigewalt spitzt sich zu

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Beamte bewachen das Polizeipräsidium in Turin, wo Protestierende aufgezogen sind. (Foto: Matteo Secci/Zuma Press/dpa)

Bei propalästinensischen Demonstrationen in Pisa schreiten Polizisten massiv ein, Menschen werden verletzt. Regierungschefin und Staatspräsident reagieren sehr unterschiedlich darauf.

Von Marc Beise, Rom

Politik und Öffentlichkeit in Italien sind zunehmend alarmiert über die wachsende Gewalt bei Kundgebungen auf den Straßen des Landes. Die Debatte hat mit nicht genehmigten propalästinensischen Demonstrationen in Pisa und Florenz begonnen. Schlagzeilen machten vor allem die Ereignisse in der Universitätsstadt Pisa. Dort schritt die Polizei nach Augenzeugenberichten und Videobildern mit Schlagstöcken unverhältnismäßig hart gegen vielfach minderjährige Demonstranten ein, etwa ein Dutzend von ihnen wurde verletzt und musste teilweise im Krankenhaus behandelt werden. Das Vorgehen der Polizei fand weithin Kritik, selbst der rechts stehende Bürgermeister von Pisa zeigte sich betroffen; die Polizei versprach Aufklärung.

Der Staatspräsident erinnert daran, dass man Autorität nicht mit Schlagstöcken durchsetzt

Auch die katholische Kirche verurteilte Polizeigewalt gegen demonstrierende Jugendliche. Gewalt sei niemals gerechtfertigt, hieß es in einer Mitteilung des Pastoralrats der Erzdiözese Pisa. Alle zuständigen Behörden müssten eine friedliche demokratische Konfrontation gewährleisten und die Sicherheit von Jugendlichen schützen.

Für Aufsehen sorgte vor allem Staatspräsident Sergio Mattarella. Er sprach ungewöhnlich deutlich von einem "Zeichen des Versagens" des Staates. Die Polizei müsse bedenken, dass "Autorität" nicht mit Schlagstöcken durchgesetzt werde, mahnte das Staatsoberhaupt. Ihre Aufgabe sei der Schutz von öffentlicher Ordnung und Meinungsfreiheit. Regierungschefin Giorgia Meloni schwieg zunächst, ihr Vize Matteo Salvini stellte sich dafür gleich bedingungslos auf die Seite der Polizei: Die habe allen Schutz und alle Unterstützung verdient.

Seitdem schwellen die Proteste und Demonstrationen im Land gegen Polizeigewalt und die rechte Regierung an, die linke und liberale Opposition ist alarmiert und fordert den Rücktritt des für die Polizei zuständigen Innenministers Matteo Piantedosi. Melonis Partei Fratelli d'Italia wiederum warf in einer Erklärung der Linken vor, sie unterstütze Gewalt und sei damit für die Ausschreitungen mitverantwortlich.

Bei Krawallen in Turin müssen Polizeibeamte Schutz suchen

Am Mittwoch dann kam es in Turin zu einer anders gelagerten Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei. Medienberichten zufolge versuchten etwa 50 Menschen offenbar aus der autonomen Szene, einen Mann aus Marokko zu befreien, der die Wände einer U-Bahn mit Parolen beschmiert haben soll. Einige Teilnehmer griffen das Polizeiauto an, in dem der Mann zu einem Rückführungszentrum abtransportiert werden sollte, die Polizisten zogen sich mit ihm zusammen dann in eine Polizeistation zurück. Auch dort gab es Krawalle, Autos sollen beschädigt worden sein, die Polizei berichtete auch von einem verletzten Polizisten.

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Wieder schaltete sich Mattarella ein, er rief den Polizeichef und später den Innenminister an, um sich über den Vorfall zu informieren. Diesmal brachte der Präsident seine Solidarität mit den Beamten der in Turin angegriffenen Patrouille zum Ausdruck. Der parteilose Innenminister Piantedosi sprach von einem "Klima der Gehässigkeit und des Misstrauens, dem die Ordnungskräfte und die Polizei in diesen Tagen ausgesetzt sind".

Die Opposition verlangt seinen Rücktritt, er verteidigt die Polizei: Innenminister Matteo Piantedosi am Donnerstag in der Abgeordnetenkammer in Rom. (Foto: Roberto Monaldo/La Presse/AP)

Am Abend äußerte sich dann erstmals die Regierungschefin selbst im Fernsehen. Sie nahm ausdrücklich Bezug auf die Ereignisse in Turin und warnte vor den Risiken, die aus einem Vertrauensverlust gegenüber denjenigen entstehen könnten, die für die Sicherheit sorgen. "Das ist ein gefährliches Spiel", sagte Meloni. Ihre Worte wurden als Kritik am Staatspräsidenten gewertet, den sie aber nicht namentlich erwähnte. Am Donnerstag erreichte das Thema das italienische Parlament, wo es einen heftigen Schlagabtausch zwischen den politischen Lagern gab.

Künstler fordern Ausschluss Israels von der Kunstbiennale in Venedig

Hintergrund vieler Demonstrationen ist der Nahostkonflikt. Besonders Jugendliche, linke Gruppen und Gewerkschaften protestieren gegen das Vorgehen der Israelis im Gaza-Streifen. Die Diskussion wird auch in der Kulturszene geführt. So formiert sich gerade eine Bewegung gegen eine Teilnahme Israels an der Biennale, der internationalen Kunstausstellung in Venedig ab 20. April. Ein "Bündnis Kunst statt Völkermord" (Art Not Genocide Alliance) hat bisher nach eigener Aussage rund 15 000 Online-Unterschriften von Kulturschaffenden aus aller Welt gesammelt, um den geplanten israelischen Pavillon zu verhindern.

Kulturminister Gennaro Sangiuliano wies die Forderung als "inakzeptabel und beschämend" zurück. Die Biennale sei ein Ort der Freiheit, der Begegnungen und des Dialogs und nicht "von Zensur und Intoleranz". Schon beim Sanremo-Schlagerfestival vor einem Monat hatte es einen Eklat um den Auftritt des bekannten Rappers Ghali gegeben, der ein "Ende des Genozids" im Gazastreifen gefordert hatte; das war von den Verantwortlichen der öffentlich-rechtlichen Rai scharf kritisiert worden.

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