Coronavirus:"Ich will einfach nur vergessen"

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Ein Wandbild erinnert in Codogno an den Einsatz des Gesundheitspersonals. (Foto: Stefano S. Guidi/Getty Images)

Vor einem Jahr wurde ein Italiener positiv auf Corona getestet - als erster in seinem Land. Heute ist der 39-Jährige genesen, Medien bieten ihm Geld für einen Auftritt vor der Kamera. Doch er will nur sein normales Leben zurück.

Von Oliver Meiler, Rom

Ein Jahr ist es her, ein Jahr wie keines. Vor genau einem Jahr sind sich die Italiener und die Europäer insgesamt gewahr geworden, dass dieses Virus aus Wuhan, das man bis dahin eher abstrakt aus der Ferne wahrgenommen hatte, auf dem Kontinent angekommen war. Natürlich war es schon länger da. Doch am 21. Februar 2020, kurz nach Mitternacht, wurde bekannt, dass zum ersten Mal ein Italiener positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden ist. Im Krankenhaus von Codogno, einer Stadt im Lodigiano im Süden Mailands, zwischen den Flüssen Adda und Po. 16 000 Einwohner.

Das kleine Codogno sollte zum Symbolort werden, bekannt in der ganzen Welt. Zum "Wuhan Italiens".

Angesteckt hatte sich ein 38-jähriger, sportlicher Mann, passionierter Läufer und Fußballer, Forscher beim internationalen Konzern Unilever in der Nachbarsgemeinde Casalpusterlengo. Die Zeitungen nannten ihn zunächst nur "Mattia", um seine Privatsphäre zu schützen. Nach seiner Genesung zeigte sich Mattia Maestri dann aber in der Öffentlichkeit, gab Interviews, einmal prangte sein Bild sogar auf dem Cover der Wochenendbeilage der Gazzetta dello Sport. Man nannte ihn zu Beginn auch "Paziente uno".

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Seine Frau hatte erzählt, ihr Mann sei in seinem Leben noch nie in China gewesen, habe sich aber kurz vor dem Befund mit einem Freund getroffen, der gerade aus Asien zurückgekehrt war. War dieser Freund etwa "Paziente zero"?, fragte man sich nun in Italien. Man nahm damals also an, dass der erste bekannt gewordene Fall tatsächlich der erste Fall überhaupt sei in Italien. Doch der Test des Freundes fiel negativ aus.

Auch Maestris Zustand wäre wohl nicht aufgefallen, wenn die Anästhesistin Annalisa Malara, die in jener Nacht im Ospedale Civico von Codogno Schicht hatte, nicht ihrer Intuition gefolgt wäre. Sie brach dafür das Protokoll des Gesundheitsministeriums, das damals nur Covid-Tests vorsah für Rückkehrer aus China. Maestris Lungenentzündung erschien der Narkoseärztin aber als dermaßen untypisch, dass sie ihn dennoch testete. Er sollte wochenlang im Koma liegen, intubiert, sein Leben hing an einem Faden.

Die Illusion der roten Zone

Nur zwei Stunden nach der Bekanntgabe des positiven Tests, ließ der Bürgermeister von Codogno alle Schulen, Bars und Geschäfte schließen. Und 24 Stunden später verhängte die italienische Regierung einen totalen Lockdown über Codogno und neun weitere Gemeinden in der Gegend sowie über den Ort Vo' im Veneto. "Zona rossa", höchste Gefahrenzone. Niemand sollte mehr vor die Haustüre gehen, die Armee rückte aus, am Eingang zur roten Zone standen nun Streifenwagen der Carabinieri. Man dachte, so lasse sich der Cluster isolieren und die Ausbreitung stoppen. Es war eine Illusion.

Die Bilder aus Codogno gaben eine Idee davon, was bald in ähnlicher Form überall in Europa und der Welt passieren würde. Codogno war jedoch nur der vermeintliche Anfang. Das Virus war schon weit verbreitet, vor allem im Norden Italiens, dem Produktionsherzen des Landes. Es mangelte an allem: an Schutzmasken, an Beatmungsgeräten, an Betten in den Intensivstationen, bald auch am Platz auf den Friedhöfen für die vielen Opfer.

Zunächst mangelte es auch an der nötigen Ernsthaftigkeit im Kampf gegen das Virus. Am 27. Februar zum Beispiel gab es in Mailand eine Veranstaltung, für die Politiker, rechte wie linke, den Slogan ausgaben: "Mailand hält nicht still." Im dramatisch betroffenen Bergamo war man besorgt um die Wirtschaft, die Industriellen drehten ein Video für die Kunden in aller Welt: "Bergamo is running", hieß es da. So ging viel wertvolle Zeit verloren.

"Paziente uno" wird Geld geboten für seine Geschichte

Ein Jahr ist es her. Italien beklagt mehr als 95 000 Corona-Tote seit Beginn der Pandemie. Jeden Tag kommen Hunderte weitere Opfer hinzu - und zwischen 10 000 und 15 000 Neuinfektionen. Codogno geht es etwas besser, im Moment sind 21 positive Fälle bekannt. Nur einer davon ist gravierend und benötigt intensive Behandlung. Wahrscheinlich ist ein stattlicher Teil der Codognesi immun, auch viele, die noch nicht geimpft worden sind. Die Stadtverwaltung hat im Park an der Via Collodi einen Gedenkbaum gesetzt für die vielen Opfer der Stadt - es ist ein Quittenbaum, typisch für die Gegend.

Mattia Maestri ist nach langer Erholung wieder gesund, er spielt auch wieder Fußball. Seine Tochter ist zehn Monate alt. Sie kam zur Welt, als er im Krankenhaus lag und Italien kollektiv um ihn bangte. "Ich will einfach nur vergessen", sagte Maestri jetzt dem Corriere della Sera, "mein normales Leben will ich zurück." Viele Medien würden ihn kontaktieren, manche böten ihm sogar Geld an, wenn er ins Studio komme. "Ich war ja nicht der erste Infizierte, nur der erste Italiener, der mit Corona diagnostiziert wurde", sagt er. Und diese Diagnose veränderte alles.

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