Iran:Sie haben keine Wahl

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Wahlplakate in der Hauptstadt Teheran - aber nur mit dem Regime genehmen Kandidaten. (Foto: ATTA KENARE/AFP)

Vor der Parlamentswahl am Freitag will das iranische Regime nichts dem Zufall überlassen. Kandidaten aus dem Reformlager wurden ausgeschlossen, die Justiz lässt Demonstranten hinrichten. Das Einzige, was die Mullahs fürchten müssen: eine peinlich niedrige Wahlbeteiligung.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Shahin Wasaf glaubte, er hätte eine Wahl. Damals, im September 2022, als er auf die Straße ging in seiner Heimatstadt Urmia im Westen Irans. Einer von vielen. Es war die Zeit der Proteste, der größten in der Geschichte der Islamischen Republik, überall im Land riefen sie "Jin, Jiyan, Azadi". Frau, Leben, Freiheit. Für ein paar Wochen glaubten sie, hofften sie, das Regime könnte fallen. Dass sie sich aussuchen könnten, wer sie regiert. Und wer nicht.

Am kommenden Freitag sind Parlamentswahlen in Iran. Im Vorfeld hat das Regime alles unternommen, dass es zu keinen Überraschungen kommt. In den Ohren von Menschen wie Shahin Wasaf muss es wie Hohn geklungen haben, als Irans Oberster Führer Ali Chamenei das Volk zur Stimmabgabe aufrief, es sei wichtig, "die besten Personen auszuwählen". Wasaf allerdings hat von Chameneis Aufruf sehr wahrscheinlich nichts mitbekommen. Er sitzt im Gefängnis.

Am Mittwoch, einen Tag bevor draußen der Wahlkampf begann, erfuhr er sein Urteil. Allein, ohne Anwalt. Nach monatelanger Untersuchungshaft, in der er laut der Menschenrechtsgruppe Hengaw unter Folter zu einem Geständnis gezwungen wurde. Er habe für Israel spioniert. Shahin wurde zum Tode verurteilt.

Wie groß die Angst des Regimes seit den Protesten ist, lässt sich daran ablesen, wie viele Menschen es tötet. Gemessen an der Bevölkerung kommt kein Land auf mehr Hinrichtungen als Iran, 864 hat der im französischen Exil arbeitende "Nationale Widerstandsrat" im Jahr 2023 gezählt, darunter waren auch Minderjährige. Diesen Januar allein sollen es 86 Hinrichtungen gewesen sein. Zu den Getöteten zählt ein junger Mann, der unter einer bipolaren Störung litt, weswegen selbst das Oberste Gericht das Urteil aussetzte. Die Justiz ließ ihn trotzdem hängen. Narges Mohammadi, die Friedensnobelpreisträgerin, meldete sich dazu aus ihrer Gefängniszelle auf X (dem früheren Twitter), den Account betreiben Verwandte. "Ein Mord", schrieb sie.

Dieser Wächterrat siebt aus, wer gar nicht erst antreten darf

Es ist ein staatlicher Mord, der ohne Konsequenzen bleiben wird. Bei den Wahlen am Freitag kandidieren für die 290 Sitze im Parlament zwar mehrere Tausend Kandidaten, so viele wie noch nie, allerdings wurde jeder von ihnen vom Wächterrat geprüft. Der wacht im komplexen politischen System Irans darüber, dass niemand in die Nähe der Macht kommt, dem womöglich die weltanschauliche Eignung fehlt - nach Ansicht des Rats. Komplex ist das System dabei nur auf den ersten Blick, am Ende konzentriert sich die Macht beim Obersten Führer, dem 84-jährigen Chamenei. Der herrscht seit 1989.

Er ernennt die Hälfte der Mitglieder des Wächterrats, die andere kommt aus der Judikative - deren Chef ebenfalls Chamenei bestimmt. Dieser Wächterrat also siebt schon mal aus, wer gar nicht erst antreten darf. Das gilt auch für Theologen, die sich um einen Sitz im Expertenrat bewerben, jenem Gremium, das den Obersten Führer wählt. Auch der Expertenrat wird am Freitag neu gewählt, aus Kandidaten, die der Wächterrat genehmigt hat.

An Chamenei führt kein Weg vorbei. Nicht mal für jemanden wie Hassan Rohani, immerhin bis 2021 Präsident des Landes. Rohani gilt als moderat, wobei die Republik auch unter ihm alles andere als ein freies Land war. Die Exil-Opposition kritisierte Rohanis Menschenrechtsbilanz scharf, auch unter Rohani stieg die Zahl der Hinrichtungen. International allerdings gab er sich verbindlich, das Atomabkommen mit dem Westen fällt in seine Amtszeit. Was ihn zum Feind der Revolutionsgarden machte, jener Zweitarmee, auf die sich das Regime stützt.

Mittlerweile scheint Rohani aus deren Sicht eine Art Staatsfeind geworden zu sein. Bis zuletzt saß er im Expertenrat, jetzt verkündete der Wächterrat, der ehemalige Präsident dürfe nicht mehr antreten. Weshalb? Das blieb ein Geheimnis, wenn auch ein offenes: Chamenei und die Revolutionsgarden wollen ihre Macht konsolidieren. Niemand, der kein Hardliner ist, soll sie mehr stören. Immerhin könnte es sein, dass der greise Chamenei in den kommenden Jahren sein Amt auf natürliche Weise verlässt. Der Expertenrat wird dann seinen Nachfolger bestimmen.

Ex-Präsident Rohani klingt inzwischen wie ein Oppositioneller

Was die künftige personelle Besetzung der Machtpositionen angeht, will das Regime nichts dem Zufall überlassen. Gerade nach den Protesten im Herbst 2022, gerade in einer Lage, in der das Land sich mit Israel und den USA einen Schattenkrieg liefert. Über seine "Achse des Widerstands" ist es nicht nur mit der Hamas verbündet, auch mit der libanesischen Hisbollah, den jemenitischen Huthi und Milizen im Irak und in Syrien, die US-Truppen angreifen.

Dass im Land jetzt Wahlkampfplakate hängen und dass es Kundgebungen gibt, erinnert an Zeiten, in denen die Wählerinnen und Wähler etwas Einfluss hatten. Die Islamische Republik war nie eine Demokratie, immerhin aber gab es einen Richtungsstreit mit konkurrierenden Lagern. Mit Präsidenten wie Rohani oder dem Reformer Mohammad Chatami regierten zwar Männer aus dem theokratischen System, sie begrenzten aber die Macht der Hardliner. Heute sei Iran von freien Wahlen weit entfernt, sagte Chatami kürzlich. Rohani klingt inzwischen wie ein Oppositioneller: Er rief das Volk zum "Widerstand gegen die kleine Minderheit" auf. Im Lager der Reformer ging es vor allem um die Frage, ob man am Freitag überhaupt teilnehmen solle - oder die Wahlen gleich boykottieren.

Vor der Entscheidung stehen auch die Bürgerinnen und Bürger. Das Einzige, was dem Regime passieren kann, ist eine niedrige Wahlbeteiligung. Für die Menschen ist es die einzige ungefährliche Art des Protests. Und Gründe für Unzufriedenheit gibt es neben der Brutalität des Regimes viele: etwa die anhaltende Wirtschaftskrise vor allem wegen der US-Sanktionen und die hohe Inflation. Bei der Parlamentswahl vor vier Jahren lag die Beteiligung bei knapp 43 Prozent, diesmal besagt eine Umfrage, dass drei Viertel der Wahlberechtigten nicht teilnehmen wollen. An den Wahlen, die keine sind.

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