China und Indien:Aufrüsten im Eis

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Dünnes Eis: Die politischen Führer der Großmächte China und Indien, Xi Jinping (l.) und Narendra Modi, hier 2016 im indischen Goa. (Foto: Manish Swarup/AP)

Immer wieder kommt es an der Grenze zwischen China und Indien im Himalaya zu Auseinandersetzungen. Nun knallt es wieder. Warum eine Eskalation ganz Asien in Not bringen würde.

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Scharmützel zwischen den Großmächten China und Indien, die weit oben in der Abgeschiedenheit des Himalaya ausgetragen werden, sind einer der übersehenen Konflikte der Welt. Erst vor wenigen Tagen kam es wieder zu Auseinandersetzungen an der "Line of Actual Control" (LAC) zwischen Patrouillen beider Länder, im nordöstlichen indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh, oberhalb von Assam - im Westen vor allem bekannt wegen des Tees. "Die Gefahr eines Konflikts mit China an der LAC wächst", schrieb die Hindustan Times. Indien hat nun mehr Soldaten denn je an diese Grenze gesendet.

(Foto: SZ-Karte: jje/Mapcreator.io/OSM)

Die indische Armee teilte mit einiger Verzögerung mit, dass indische und chinesische Soldaten "leichte Verletzungen" erlitten haben, nachdem sie am 9. Dezember aneinandergeraten waren. 20 indische Soldaten und eine höhere Zahl auf chinesischer Seite seien betroffen, berichtete The Hindu. Genaueres weiß man nicht, Abgeordnete der Opposition verließen am Dienstag in Delhi das Parlament, weil die Regierung eine Debatte über den Umgang mit dem Konflikt verweigerte. Nicht zum ersten Mal. Der Oppositionspolitiker Rahul Gandhi bezeichnete die Auseinandersetzung als "Prügelei", wofür er vom indischen Außenminister Subrahmanyam Jaishankar sogleich gerügt wurde: "Wir sollten unsere jungen Soldaten nicht kritisieren."

Man betreibt in Delhi einige Mühe, um den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. Dennoch halten Analysten neue Zusammenstöße für wahrscheinlich. Besonders in Arunachal Pradesh. Dort sind die indischen Truppen dünner besetzt und die Infrastruktur ist weniger entwickelt als anderswo. China betrachtet das gesamte Gebiet als Teil Tibets und beansprucht es für sich. Bis in die 1950er-Jahre gab es gar keine gemeinsame Grenze mit Indien. Dann besetzte China Tibet. Nun verläuft die Demarkationslinie über Tausende Kilometer im Himalaya, in Schnee und Eis.

Früher zeigten Soldaten sich gegenseitig Plakate. Später gab es Tote

Von dem Teil Kaschmirs, der von Pakistan verwaltet wird, führt die LAC am Galwan-Tal vorbei, an Nepal, Bhutan, bis nach Myanmar. Dabei berührt sie immer wieder indisches Territorium. Bis vor wenigen Jahren patrouillierten Soldaten beider Seiten meist unbewaffnet und hinterließen leere Zigarettenschachteln als kleinen Gruß an die Gegenseite: Wir waren da. Wenn Patrouillen sich tatsächlich in dem unwirtlichen Gebiet trafen, hielten sie Transparente hoch und forderten sich gegenseitig zum Rückzug auf.

Das ging bis ins Jahr 2020 gut, als chinesische Truppen damit anfingen, ihre indischen Kollegen in Ladakh zu provozieren. Es folgten Prügeleien, die Soldaten gingen mit Knüppeln und Steinen aufeinander los. Am Ende waren 20 indische und vier chinesische Soldaten tot. Es folgten mehrere Gesprächsrunden auf Kommandeursebene im besetzten Gebiet. Im Vorfeld der Treffen der G20 und der "Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit" verbesserte sich der diplomatische Austausch zwischen Delhi und Peking. Es sollte sogar zu einem Treffen zwischen Xi Jinping und Narendra Modi kommen.

Lange war es an der Grenze friedlich. 2020 dann kam es zum ersten tödlichen Zusammenstoß - und Delhi verlegt nun mehr Equipment und Truppen in den Himalaya. (Foto: Mukhtar Khan/AP)

Doch dann folgten vor vier Wochen wieder Zusammenstöße von Militäreinheiten beider Seiten im Galwan-Tal. Seitdem hat Indien sechs Armeedivisionen verlegt, die normalerweise die Grenze zu Pakistan bewachen. Indien und China verfügen nicht nur über Atomwaffen, sondern zahlenmäßig über die größten Armeen der Welt. Nach Angaben des "Stockholm International Peace Research Institute" (SIPRI) sind die indischen Verteidigungsausgaben innerhalb eines Jahrzehnts von knapp 50 Milliarden US-Dollar auf mehr als 76 Milliarden im vergangenen Jahr gestiegen - vor allem, um Pakistan und China etwas entgegenzusetzen.

Andererseits: Mehr als zwei Drittel des indischen Militärhaushalts werden für Gehälter, Renten und Dienstleistungen aufgewendet. Weniger als ein Drittel fließt in militärische Entwicklung und Material. Als es in diesem Jahr zu einer Reform der Rekrutierungsbedingungen kam, regten sich Proteste überall im Land. Das Militär galt bislang als einer der attraktivsten Arbeitgeber im Land.

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Die nationalistische BJP-Regierung von Premierminister Narendra Modi gerät in eine Zwickmühle. Die Verbesserung der Lebensumstände der armen Bevölkerungsteile war ein zentrales Wahlversprechen und wurde teilweise auch umgesetzt. Doch die steigenden Militärausgaben dünnen den Haushalt aus. Und es ist die Frage, wie sehr man die Ausgaben noch steigern will. "Sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich in Indien schaut jeder auf die Ukraine", sagt Angad Singh, ein indischer Verteidigungsanalyst der Financial Times. Denn nicht nur Rüstung kostet - auch Getreide- und Rohstoffpreise steigen. "Sie sehen die Kosten eines Krieges und erkennen, wir können uns das nicht leisten."

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