Indien:Die Macht der hundert Millionen Bauern

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Mit ihrem Protestmarsch auf die Hauptstadt Delhi wollen die demonstrierenden Bauern höhere Garantiepreise für ihre Erzeugnisse erkämpfen. (Foto: NARINDER NANU/AFP)

Auch im bevölkerungsreichsten Staat der Welt demonstrieren die Landwirte, sie könnten sogar die Wahlen in zwei Monaten mitentscheiden. Aber kann die Opposition von den neuen Protesten profitieren?

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Bauern protestieren nicht nur in Deutschland, auch in Indien haben sie sich wieder auf den Weg nach Delhi gemacht, um bessere Mindeststützpreise für ihre Produkte durchzusetzen. Und es kann gut sein, dass sie das Land in den kommenden Wochen gleichzeitig blockieren und in Atem halten werden. Ihren Protestzug Ende der vergangenen Woche hatten die Bauern etwa 200 Kilometer vor Delhi gestoppt, um noch einmal zu verhandeln. Es kam zu ersten Zusammenstößen mit der Polizei. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein und bauten Barrikaden auf. Nun geht es weiter.

So wie vor zweieinhalb Jahren soll es diesmal auf keinen Fall eskalieren, denn Premierminister Narendra Modi und die regierende Bharatiya-Janata-Partei (BJP) sehen sich bereits auf der Siegerstraße für eine dritte Amtszeit. Laut Umfragen liegt die BJP drei Monate vor Wahlbeginn meilenweit vor dem Oppositionsbündnis India. Modi selbst hat sogar noch bessere Zustimmungswerte als seine Partei.

Bis zu 40 Prozent der Inder arbeiten in der Landwirtschaft

Nach den Protesten im Jahr 2021 wollte die Regierung die Bauern eigentlich dazu motivieren, vom Reis- und Weizenanbau, die mehr Wasser benötigen, auf Hülsenfrüchte umzustellen. Die werden immer teurer, Indien ist der weltweit größte Importeur und hat Mühe, den Preisanstieg aufzufangen. Auch die Nachfrage nach Mais ist gestiegen, da die Geflügel- und Ethanolindustrie Indiens den Verbrauch ankurbelt. Eigentlich eine sinnvolle Maßnahme. Doch am Montag lehnten die Bauern ein Angebot der Regierung ab, die eine garantierte Abgabesumme für Hülsenfrüchte, Mais und Baumwolle vorgeschlagen hatte. Und die Bauern, die nach wie vor Weizen und Reis anbauen, wollen einen Mindestpreis für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse durchdrücken.

Die Bauern sind eine Macht in Indien, viel größer als in Deutschland, denn es sind viel mehr. Bis zu 40 Prozent der indischen Bevölkerung sollen in der Landwirtschaft arbeiten. Das sind eine Menge potenzielle Wähler, in dem mit 1,4 Milliarden Menschen bevölkerungsreichsten Land der Welt. Der indische Handelsminister Piyush Goyal hatte am Wochenende nach einem stundenlangen Verhandlungsmarathon mit mehreren Bauernverbänden der Nachrichtenagentur Reuters gesagt, die Regierung habe Fünfjahresverträge über Mindeststützpreise vorgeschlagen, die von den jeweiligen Genossenschaftsgruppen bezahlt werden: "Diese Genossenschaften werden die Produkte aufkaufen, und es wird keine Mengenbeschränkung geben."

Nach zwei Tagen Bedenkzeit lehnten die Bauernverbände am Montag ab. Die Vorschläge der Regierung wichen zu weit von den Forderungen der Landwirte ab, was auf mangelnde Ernsthaftigkeit bei den Verhandlungen in der Frage hindeute, erklärte Devinder Sharma Reuters. Er ist Experte für Agrarkultur und die Verbindung von Politik und Landwirtschaft. Als die Bauern die Zufahrten zu Delhi vor zweieinhalb Jahren monatelang blockierten, sagte Sharma der Süddeutschen Zeitung: "Wir sollten die Lehren ziehen, aus den Landwirtschaftsreformen der USA und Europa, die furchtbar schiefgegangen sind."

Die Konten der größten Oppositionspartei wurden eingefroren

Der Preis für Weizen sei beispielsweise in den meisten Ländern der Welt im vergangenen Jahrhundert gesunken, wenn man die Inflation herausrechnet. Was man bräuchte, sei eine Reform des Nahrungsmittelsektors, "keine Marktliberalisierung. Sonst würden nur die Großkonzerne profitieren, die den Wohlstand der Erde aus dem Boden saugen und zu sich an die Spitze ziehen, während für die Bauern nichts bleibt." Sharma benennt aber auch die Probleme, die durch den planwirtschaftlich strukturierten Markt in Indien entstehen. Der nütze nur den Großbauern, die sich spezialisieren, die Kleinbauern kämen kaum über die Runden. Dieses Problem ist die Modi-Regierung vor zweieinhalb Jahren nicht angegangen, nun holt es sie womöglich ein.

Die Frage ist, ob die Opposition davon profitieren wird. In der vergangenen Woche berichtete die Hindustan Times, dass die Konten der Kongresspartei eingefroren wurden. "Wir haben vor zwei Tagen Informationen erhalten, dass von uns ausgestellte Schecks von den Banken nicht eingelöst wurden", erklärte Ajay Maken, der Schatzmeister der größten Oppositionspartei, bei einer Pressekonferenz.

Am vergangenen Freitag gab diese bekannt, dass sie im Zusammenhang mit einer Einkommenssteuerforderung in Höhe von 2,1 Milliarden Rupien (23,4 Millionen Euro) nicht mehr liquide sei. "Wir haben kein Geld, um Stromrechnungen und die Gehälter unserer Mitarbeiter zu bezahlen." Die Partei bezeichnete die Maßnahme als "tiefen Angriff auf die indische Demokratie". An diesem Mittwoch soll der Fall vor Gericht verhandelt werden.

Die Kongresspartei appelliert an die Justiz, die Demokratie zu schützen

Dass die Steuerbehörde so kurz vor den Wahlen so hart vorgeht, führt naturgemäß zu Protesten. "Die machtbesoffene Modi-Regierung hat die Konten der größten Oppositionspartei des Landes eingefroren", schrieb Kongresspartei-Präsident Mallikarjun Kharge auf dem Nachrichtendienst X. "Wir appellieren an die Justiz, das Mehrparteiensystem in diesem Land zu retten und Indiens Demokratie zu schützen."

Tatsächlich ist die Kongresspartei, einst die dominierende Partei Indiens, von einem Tief ins nächste gerutscht, seitdem Modi und die BJP die Macht im Land 2014 übernommen haben. Die Frage ist also, was für Gründe die BJP haben könnte, sie nun noch am Wahlkampf zu hindern.

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"Sie werden auch nach den Wahlen 2024 in der Opposition bleiben, allerdings in weit geringerer Zahl", hatte Narendra Modi im Dezember gesagt, nachdem 141 Oppositionsmitglieder vor einer Abstimmung aus dem Parlament geworfen wurden. Eventuell zielt die BJP auf eine so große Mehrheit, dass sie die größte Demokratie der Welt anschließend noch entschiedener nach ihren Vorstellungen umbauen kann. Vielleicht kommen der Partei und Modi jetzt aber auch hundert Millionen Bauern in die Quere.

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