Indien:Regierung Modi setzt kritische Parlamentarier an die Luft

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Oppositionelle Abgeordnete protestieren am Dienstag auf den Stufen des neuen Parlamentsgebäudes gegen die Suspendierungen. (Foto: AP)

In Delhi wurden 141 Abgeordnete aus dem Parlament ausgeschlossen - weil sie eine Rauchbomben-Attacke im Gebäude thematisieren wollten. Nutzt der Premier die Gelegenheit, um ohne Widerrede durchzuregieren?

Von David Pfeifer, Bangkok

Das neue Parlament in Delhi leuchtet prächtig, wenn man in der Nacht am India Gate durch den Kreisverkehr fährt. Premierminister Modi war es wichtig gewesen, das Gebäude noch vor dem G-20-Gipfel zu eröffnen, als Statussymbol für die "Mutter der Demokratie", wie er bei der Einweihung im Mai sagte. Doch drinnen geht es derzeit eher undemokratisch zu. Bis zum Dienstag wurden 141 Abgeordnete suspendiert - eine Rekordzahl -, nachdem sie dagegen protestiert hatten, dass die Regierung nicht über jene Sicherheitsverletzung debattieren wollte, die sich vergangene Woche in dem Gebäude ereignet hatte.

Am 13. Dezember war es zwei Männern gelungen, in das Parlament einzudringen und im Saal des Unterhauses eine Rauchbombe zu zünden. Eine anschließende Untersuchung ergab, dass sie damit ihren Protest gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung und den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten ausdrücken wollten. Die Aktion geschah allerdings exakt am Jahrestag eines anderen Anschlags auf das Parlament, bei dem 2001 vierzehn Menschen getötet wurden. Damals machte Delhi militante Pakistaner verantwortlich und die verfeindeten Bruderstaaten, beide mit Atomwaffen ausgerüstet, standen eine Zeit lang am Rande eines Kriegs. Die Erinnerung an diesen Vorfall ist in Indien nach mehr als 20 Jahren noch sehr lebendig.

Modi wirft den Abgeordneten vor, die Attacke indirekt zu unterstützen

Am vergangenen Mittwoch wurde die Sitzung nach der Rauchbombenattacke abgebrochen, nach einer Stunde aber wieder aufgenommen. Parlamentspräsident Om Birla teilte den Abgeordneten mit, dass es sich bei der freigesetzten Substanz um "gewöhnlichen Rauch handelte, der nur für Aufsehen sorgen sollte". Die beiden Männer wurden noch im Gebäude festgenommen, zwei Komplizen außerhalb des Komplexes. Seither forderten Abgeordnete der Oppositionsparteien, dass Modi und Innenminister Amit Shah vor dem Parlament über den Vorfall sprechen und die Angelegenheit im Plenum diskutiert werden sollte.

Ein Sprecher der regierenden Bharatiya Janata Partei (BJP) lehnte das Verlangen mit der Begründung ab, dass die Sicherheitsverletzung nicht in den Zuständigkeitsbereich der Regierung falle. "Die Abgeordneten der Opposition unterstützen indirekt den Vorfall", warf Premierminister Narendra Modi den Kritikern vor. "Sie werden auch nach den Wahlen 2024 in der Opposition bleiben, allerdings mit weit reduzierterer Zahl." Mallikarjun Kharge, Präsident der oppositionellen Kongress-Partei vermutet, die Regierung wolle den Oppositionsparteien Angst machen. Am Montag twitterte er: "Erst haben Eindringlinge das Parlament angegriffen. Dann greift die Modi-Regierung das Parlament und die Demokratie an."

Die ersten 92 Oppositionellen waren bis vergangenen Freitag beschuldigt worden, die Arbeit des Parlaments zu stören - sie wurden suspendiert. Montag und Dienstag folgte der Rest. Den Oppositionspolitikern wird "schwerwiegendes Fehlverhalten" vorgeworfen. Unter anderem hatten sie im Parlament Sprechchöre angestimmt und Plakate geschwenkt, von denen einige das Gesicht von Modi zeigten. Solche Demonstrationen sind auf dem Parlamentsgelände nicht erlaubt. Modi hielt den Abgeordneten vor, "Possen zu reißen", sie seien "nicht dazu geeignet, konstruktive Arbeit zu leisten". Zu dieser Arbeit gehörte in dieser Woche die Abstimmung über neue, drakonische Strafgesetze.

Die Regierung wird schon länger für ihre Demokratie-Auslegung kritisiert

Die BJP-Regierung hat schon früher Oppositionspolitiker suspendiert, allerdings noch nie in dieser Größenordnung. Zudem fällt der Vorgang in die bis Freitag laufende wichtige Wintersitzung, in der die betroffenen Parlamentarier nun nicht mehr an Debatten und Abstimmungen teilnehmen können. Dabei hätte die BJP ihre Gesetzentwürfe vermutlich auch so durchbekommen. Nun allerdings ohne große Debatten.

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Der Modi-Regierung wird schon länger vorgeworfen, die parlamentarische Demokratie in Indien zu untergraben und kritische Abgeordnete anzugreifen. So wurde auch Mahua Moitra, eine geschiedene frühere Investmentbankerin, die seit Langem für ihre scharf intonierten Fragen bekannt ist, aus dem Parlament ausgeschlossen. Sie klagt zurzeit dagegen. Rahul Gandhi, dem prominentesten Oppositionsführer, war die Mitgliedschaft im Parlament bereits im Sommer entzogen worden, nachdem er von einem lokalen Gericht in seiner Heimat, dem Bundesstaat Gujarat, in einem Verleumdungsfall verurteilt worden war.

Wie Gandhi gehören etwa zwei Drittel der suspendierten Abgeordneten der neuen Oppositionskoalition India an. Sie hat sich zusammengeschlossen, um bei den Wahlen im kommenden Jahr geschlossen gegen die BJP anzutreten. Noch aber verfügt die BJP über eine große parlamentarische Mehrheit - und es sieht ja ganz so aus, als wolle Modi am liebsten ohne Opposition regieren. Vermutlich auch nach der Wahl.

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