Eine Tram-Haltestelle in Berlin Lichtenberg. Es ist kurz nach Mitternacht an diesem 2. Mai 2015, als sich Gregor (Namen v.d. Red.geändert) und seine Freundin Claudia genötigt sehen, die Straßenbahn zu verlassen. Gregor ist schwul, Claudia Transgender. Ein pöbelnder Haufen junger Männer ist eine Station vorher zugestiegen. Die beiden wussten, dass das brenzlig werden könnte. Sie steigen also aus. Die Männer aber folgen ihnen, greifen Claudia an. Gregor stellt sich dazwischen, wird zu Boden geworfen, getreten.
Beide tragen Hämatome am Körper davon. Die Male stehen für den Hass auf Schwule, Lesben und alle anderen, die nicht in das klassische Mann-Frau Schema mancher Zeitgenossen passen. Aber damit zur Polizei gehen? Anzeige erstatten? Claudia und Gregor haben das nicht getan. Sie sagen, die Polizei könne mit Übergriffen dieser Art nicht umgehen. In der Polizeistatistik tauchen sie nicht auf.
Der Fall ist also nicht unter jenen 220 Straftaten im Zusammenhang mit der "sexuellen Orientierung", die Ole Schröder, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, diese Woche auf eine mündliche Frage des Grünen-Abgeordneten Volker Beck bekanntgab.
Eine seltsam niedrige Zahl. In Berlin arbeitet seit Jahren das schwule Anti-Gewalt-Projekt "Maneo" die Fall-Zahlen aus der eigenen Beratungspraxis auf. Für Berlin alleine hat es im vergangenen Jahr 259 Fälle mit einem trans- und homophobem Hintergrund gezählt - nachzulesen im Maneo-Report für das Jahr 2015, der im Mai erschienen ist.
Die allermeisten Fälle wie der von Gregor und Claudia gelangen nicht in die Polizei-Statistik. Oft kommen sie gar nicht erst zur Anzeige. Manche Fälle werden in den Polizeidienststellen nicht als homophob erkannt und als Delikte von Jugendlichen unter Alkoholeinfluss fehlinterpretiert. Es gibt auch für homophobe und transphobe Straftaten keine spezielle Kategorie in den Polizeistatistiken. In den Statistiken des Bundes - die für 2015 wird erst in wenigen Wochen vorgestellt - tauchen sie nur als "Politisch motivierte Kriminalität" im Themenfeld "Hasskriminalität", Unterthema "Sexuelle Orientierung" auf.
In Hamburg und Köln werden über derart motivierte Straftaten gar keine Zahlen erhoben. Zwei Städte, in denen es große Szenen für alle möglichen sexuellen Orientierungen gibt.
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Sehr hohe Dunkelziffer
Die Dunkelziffer ist hoch. Auf bis zu 90 Prozent schätzt sie etwa Maria Tischbier. Sie ist in der Berliner Polizei Ansprechpartnerin für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LSBTI).
Die hohe Dunkelziffer lässt auch vermuten, dass ein Auf und Ab in den Statistiken nur schwer eine Aussage darüber möglich macht, ob Gewalt gegen Schwule und Lesben tatsächlich zugenommen hat. Solche Aussagen würden auch die Macher des Maneo-Reports für ihre Zahlen nicht machen wollen. Im Jahr 2014 haben sie noch 225 Fälle gezählt, im vergangenen Jahr 34 Fälle mehr. Manchmal seien die Schwankungen lediglich mit einem Mehr und Weniger an öffentlicher Aufmerksamkeit zu erklären, sagt Bastian Finke, Leiter des Maneo-Projektes.
Der Grünen-Politiker Volker Beck will es dennoch möglichst genau wissen. Er glaubt, die Bunderegierung wolle das Thema herunterspielen: "Die genannten Zahlen decken nicht einmal ansatzweise den Umfang homophober Straf- und Gewalttaten in diesem Land ab", sagt er der SZ. Die mangelhafte Erfassung beginne im polizeilichen Erkennen und setze sich in der statistischen Erfassung fort. "Da stinkt der Fisch vom Kopf her."
Was Beck noch stört: Selbst im jüngsten Gesetz gegen Hasskriminalität gibt es die Kriterien "Religion" und "sexuelle Identität" nicht. Das Gesetz von Justizminister Heiko Maas ist im Sommer 2015 in Kraft gereten. Homophobe Gewalt werde darin "vorsätzlich unsichtbar gemacht", sagt Beck. Allerdings hat das Gesetz besonders rassistische und fremdenfeindlich motivierte Gewalt im Blick. Und zudem Gewalt aus "sonstigen menschenverachtenden Motiven" heraus. Das deckt homophobe Gewalt durchaus ab.
Ein Problem aber bleibt: Zum Ausmaß homophober und transphober Gewalt gibt es keine belastbaren Daten. Erste Abhilfe könnten die Betroffenen selbst leisten. Die Polizei rät, jeden auch noch so kleinen Vorfall anzuzeigen. Das würde die Statistik belastbarer machen.