Studie zum Nationalsozialismus:Tausende "Judenhäuser" in Berlin und Hamburg

Ähnlich verhält es sich mit den unzähligen nur regional bekannten Lagern, auf die die Washingtoner Forscher stießen. Es wurde auch deutlich, wie sehr sich die Lager und Ghettos unterschieden haben: Sie waren nach dem jeweiligen Verwendungszwecken der braunen Menschenvernichter gestaltet: meist zur Zwangsarbeit oder zur Vernichtung.

Für ihre Studie setzten die Wissenschaftler auf Quellen, die es nicht mehr lange geben wird: Zeitzeugen. In die Arbeit floß die Erinnerung von 400 Überlebenden ein. Sie wurden oft von Lager zu Lager verfrachtet, gerade dorthin, wo die Deutschen sie brauchten. So erweiterte sich das Wissen Stück für Stück. Gänzlich unbekannte oder kaum bekannte Lager erhielten so einen Standort und einen Namen.

Die Studie könnte Überlebenden helfen, ihre Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen. Denn mitunter scheiterten ihre Versuche auch deshalb, weil der Ort ihres Martyriums nicht bekannt war.

Häftlingsaußenstelle München-Schwabing

Eine andere Quintessenz bezieht sich auf die nichtverfolgte deutsche Bevölkerung, die damals lebte. Der nach dem Krieg oft verwendete Ausrede, wonach man von Verbrechen an Juden und andere Opfergruppen nichts mitbekommen habe, ist angesichts der Ergebnisse aus Washington abermals entlarvt. Sie müssten es mitbekommen, daran sei "kein Zweifel", erklärt Forscher Dean.

Allein in Berlin zählten die Forscher etwa 3000 so genannter Judenhäuser, in denen jüdischstämmige Deutsche eingepfercht wurden, in Hamburg sollen es 1300 gewesen sein.

Im gemütlichen München, der "Hauptstadt der Bewegung", existierte die kleinste Außenstelle des braunen Gulag-Systems: Häftlinge im Künstlerviertel Schwabing. Schon vor Kriegsausbruch war dort eine Handvoll Häftlinge aus dem KZ Dachau abkommandiert, um einer einzigen Person zu Diensten zu sein: Eleonore Baur, auch als "Blutschwester Pia" bekannt (hier mehr zu dem Thema).

Früh war Baur zu den Nazis gestoßen, marschierte beim Hitler-Putsch 1923 mit. SS-Führer Heinrich Himmler nannte sie seine "schwarze Perle" und erlaubte ihr den Zugang zum KZ Dachau, wo sie bei Menschenversuchen zusah und sich Häftlinge aussuchte.

Die fanatische Nationalsozialistin ließ "ihre" Sklaven dann ungeniert mitten in München schuften: Ab 1934 in ihrer Wohnung im Stadtteil Moosach, später in ihrem Anwesen in Oberhaching.

Linktipp: Unvollständige Wikipedia-Liste der Juden-Ghettos während der Nazi-Zeit.

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