Dieses Buch ist eigentlich unlesbar. Allein sein Umfang von fast 1400 Seiten macht es notwendig, das Werk in zwei Bänden herauszugeben, und wird manchen Leser abschrecken. Sein einziger Inhalt aber, die massenhafte Verbrennung menschlicher Leichname in allen erdenklichen Arten, macht die Lektüre nahezu unerträglich.
Es ist kaum in einem Stück, sondern nur dosiert lesbar. Und doch ist es ein wichtiges Werk, dem man sich aussetzen sollte. Nie zuvor hat ein Autor so detailliert und umfassend über die "Aktion 1005" geschrieben, der von Heinrich Himmler befohlenen Beseitigung aller Massengräber im von den Deutschen besetzten Europa.
Mit der nach einem Aktenzeichen benannten "geheimen Reichssache" wurde der SS-Offizier Paul Blobel betraut, der als Kommandeur eines Sonderkommandos der Einsatzgruppe C zuvor für die Ermordung Zehntausender Menschen in der Ukraine verantwortlich war.
Die "Enterdungsmaßnahmen" sollten 1942, auf dem Höhepunkt der Judenvernichtung in Polen, vor allem einen "störungsfreien" Betrieb der Vernichtungslager ermöglichen, indem die tausendfach anfallenden Leichname möglichst rückstandsfrei und vor allem schnell beseitigt wurden, auch weil man eine Verseuchung des Grundwasser fürchtete.
Nachdem die Wehrmacht aber Anfang 1943 in die militärische Defensive geriet und es der Roten Armee gelang, in der Folge immer mehr Gebiete zurückzuerobern, rückte die Beseitigung der in Massengräbern verscharrten Opfer der Einsatzgruppen in den Fokus - nicht zuletzt, weil die Alliierten schon im Dezember 1942 erklärt hatten, die Deutschen für ihre Verbrechen nach dem Ende des Krieges juristisch zur Verantwortung zu ziehen.
Die "Fortschritte" der Aktion 1005 wurden als "Wettermeldungen" oder "Holzeinschläge" getarnt nach Berlin an das Reichssicherheitshauptamt gemeldet.
Der Hamburger Historiker Andrej Angrick, bekannt durch seine Forschungen zu den Einsatzgruppen, nimmt den ungeheuren logistischen Aufwand in den Blick, der mit der Beseitigung von Millionen Leichen und mit der Camouflage der Tatorte verbunden war - und zwar in ganz Europa, nicht nur in Polen und der Sowjetunion, sondern auch in Südosteuropa und im Reich selbst.
Auf dem Gelände der Vernichtungslager Belzec und Treblinka etwa wurden nach deren Auflösung Bäume gepflanzt und Bauernhäuser errichtet.
Der typische "Enterdungsprozess" lief dabei in folgenden Schritten ab: Zunächst wurde die Umgebung mit einem Sichtschutz versehen, bevor Häftlinge die Gräber öffnen und die Leichen mit der bloßen Hand oder mit Werkzeugen ausgraben und mit Stangen herausziehen mussten.
Danach wurden die Leichen in meterhohe Scheiterhaufen aufgestapelt, entzündet und verbrannt. Anschließend zermahlte man die Knochenreste, manchmal mithilfe von motorbetriebenen Knochenmühlen.
Wertgegenstände und Zahngold wurden gesichert und die verbliebene Asche verstreut, in Einzelfällen auch als Düngemittel auf Felder.
In seiner quellengesättigten Beschreibung des Vorgangs an den verschiedenen Einsatzorten spart Angrick kein Detail aus: Das menschliche Fett etwa wurde bei einigen Aktionen an den unteren Grubenrändern abgeschöpft und als Brandbeschleuniger auf den Scheiterhaufen zurückgeführt.