Streit um ZDF-Mehrteiler:"Es gab auch Antisemitismus in der polnischen Heimatarmee"

Lesezeit: 2 min

Bei den Dreharbeiten zum Film "Unsere Mütter, unsere Väter": Kulisse für ein Feldlazarett im Zweiten Weltkrieg. (Foto: dpa)
  • Ein Krakauer Gericht hat die Macher des ZDF-Mehrteilers "Unsere Mütter, unsere Väter" zu Schadenersatz und einer Entschuldigung verurteilt.
  • Dem Richterspruch zufolge vermitteln Filmszenen den pauschalen Eindruck, die polnische Heimatarmee habe Mitschuld an Verbrechen gegen Juden während der deutschen Besatzung.
  • Osteuropa-Wissenschaftler Frank Golczewski zeichnet ein differenziertes Bild der Heimatarmee. Dort habe es Antisemitismus gegeben, allerdings habe der polnische Widerstand auch verfolgten Juden geholfen.

Von Oliver Das Gupta

Im September 2019 jährt sich der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen zum 80. Mal. Mit dem kurzen Feldzug, in dem Hitler-Deutschland das Nachbarland unterjocht hat, begann eine brutale Besatzungszeit. Die Verbrechen der Eroberer - an jüdischen und nicht nichtjüdischen Polen - begannen schon beim Vormarsch. Nach der Kapitulation wurde der polnische Staat für erloschen erklärt und fortan als "Generalgouvernement" systematisch ausgebeutet, zwangsgermanisiert und als Ort für Verbrechen genutzt: Die als "Endlösung der Judenfrage" von der NS-Führung bezeichnete systematische Vernichtung der europäischen Juden sowie Sinti und Roma fand zum großen Teil im okkupierten Polen statt.

Diese Besatzungszeit ist im heutigen, durch die nationalkonservative Regierung geprägten Polen ein heikles Thema, wenn es um die Verwicklung eigener Bürger in Verbrechen der Deutschen geht. Wie vermint das Feld ist, zeigt ein Urteil, das gegen die Macher des ZDF-Fernsehfilms "Unsere Mütter, unsere Väter" am Freitag gefällt worden ist.

Maßnahmen der EU gegen Polen
:Zu spät und zu zaghaft

Die polnische Regierung höhlt den Rechtsstaat systematisch aus, nach wie vor. Und was unternimmt die Europäische Union? Sie geht viel zu unentschlossen dagegen vor - und verrät damit ihre eigenen Grundwerte.

Kommentar von Florian Hassel

Es gebe in der Mini-Serie "eine einseitige und unwahre Darstellung von historischen Fakten", sagte Richter Kamil Grzesik in seiner Urteilsbegründung vor dem Bezirksgericht Krakau. Das ZDF will Berufung einlegen, erklärte der Sender am Samstag.

Die ZDF-Miniserie, die im März 2013 in Deutschland ausgestrahlt wurde, zeigte eine in Polen umstrittene Szene. Ein Vertreter der polnischen Untergrundorganisation "Heimatarmee" sagt angesichts eines Zuges mit KZ-Häftlingen, die er seinem Schicksal überlassen will: "Weil das Juden sind, und die sind schlimmer als die Kommunisten." Von polnischer Seite wurde darin ein pauschaler Vorwurf gesehen, die Heimatarmee sei eine antisemitische Organisation gewesen. Es folgten Proteste von Veteranen und rechten Gruppen vor dem Sitz des ZDF-Studios in Warschau.

Die Klage eines ehemaligen KZ-Überlebenden in Krakau gegen den deutschen Sender wurde 2015 angestrengt. Offizieller Kläger in dem Prozess war der 94-jährige ehemalige Heimatarmee-Kämpfer Zbigniew Radlowski, dem das Gericht jetzt umgerechnet 5000 Euro Schmerzensgeld zusprach.

Der Rentner hatte die Zivilklage zusammen mit dem Weltverband der Soldaten der Heimatarmee eingereicht. Der Richter argumentierte in seiner Begründung, dass die Heimatarmee nicht am Holocaust teilgenommen habe und die Mitglieder der Organisation in der Mehrzahl keine antisemitische Einstellung gehabt hätten. Der Kläger habe somit das Recht, gegen die "Verletzung der persönlichen Würde" zu klagen.

Die Entschuldigung des ZDF soll laut Urteil auf der Website des Senders sowie auf dem Portal des polnischen Staatssenders TVP publiziert werden. Zudem wird verlangt, dass bei der Ausstrahlung in anderen Ländern im Vorspann vermerkt wird, dass Deutschland Polen im Zweiten Weltkrieg besetzt habe und "die Ausrottung der Polen und Juden umsetzte".

Unzweifelhaft habe der "Polnische Untergrundstaat" verfolgten Juden geholfen

Historisch belegt sind Übergriffe von Mitgliedern der "Heimatarmee" gegen Juden, aber auch Hilfsaktionen. Entsprechend äußert sich auch der Historiker Frank Golczewski: "Der Fernsehfilm 'Unsere Mütter, unsere Väter' zeigt die deutsche Besatzung Polens nicht immer differenziert, aber in diesem Fall schon." Unzweifelhaft habe der "Polnische Untergrundstaat" verfolgten Juden geholfen. "Es gab aber auch Antisemitismus in der polnischen Heimatarmee, die Teil des Untergrundstaats war", sagt Golczewski, der an der Uni Hamburg lehrt. "Die Armia Krajowa bestand aus einem Sammelsurium von sehr unterschiedlichen Einheiten, darunter auch Teilen der Narodowe Siły Zbrojne (Nationale Streitkräfte), deren Teile zeitweise (in den Distrikten Lublin und Radom) mit den deutschen Besatzern kooperiert haben."

Auf der anderen Seite waren es zwei Mitglieder der Heimatarmee, die als erste den Holocaust dokumentiert haben. Witold Pilecki und Jan Karski schleusten sich zwischenzeitlich in deutsche Konzentrationslager ein und konnten so den Alliierten über die Mordmaschinerie berichten. Pilecki wurde später von Kommunisten hingerichtet, Karski wanderte in die USA aus.

Die nationalkonservative Regierung in Warschau sorgte bereits im Januar mit einem geplanten Holocaust-Gesetz international für Aufsehen. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass der Ausdruck "polnische Todeslager" mit bis zu drei Jahren Haft geahndet wird.

Mit Material von epd.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Polnische Erinnerungskultur
:"Ich halte das Gesetz für eine Katastrophe"

In Polen soll bald bestraft werden, wer Landsleuten Mitschuld an Nazi-Verbrechen unterstellt. Ein Gespräch mit Holocaust-Forscherin Stefanie Schüler-Springorum über Erinnerungskultur und den Begriff "polnische Todeslager".

Interview von Ekaterina Kel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: