Maßnahmen der EU gegen Polen:Zu spät und zu zaghaft

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Proteste gegen Justizreform in Polen. (Foto: dpa)

Die polnische Regierung höhlt den Rechtsstaat systematisch aus, nach wie vor. Und was unternimmt die Europäische Union? Sie geht viel zu unentschlossen dagegen vor - und verrät damit ihre eigenen Grundwerte.

Kommentar von Florian Hassel, Warschau

Verfolgt man die jüngsten Nachrichten über den Streit zwischen Warschau und Brüssel über die polnische Justiz, könnte man glauben, dass es in Polen endlich in die richtige Richtung geht: Nachdem die EU-Kommission Polen Ende September vor dem EU-Gerichtshof wegen der rechtswidrigen Zwangspensionierung von Dutzenden Richtern des Obersten Gerichts verklagt hatte, verpflichtete der Gerichtshof Polen, die Richter sofort wieder einzusetzen.

Etliche Richter kehrten zurück, das von der nationalpopulistischen Regierungspartei Pis kontrollierte Parlament nahm ein entsprechendes Gesetz an, Polens Präsident unterschrieb es - wenn auch erst vor wenigen Tagen, kurz vor Ablauf der ihm erlaubten Frist. Ist die polnische Regierung bei ihrem Vorgehen gegen den Rechtsstaat nun auf dem Rückzug? Dieser Eindruck trügt.

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Dafür müssten in Polen sehr viel wichtigere Gesetzesänderungen zurückgenommen werden - etwa die Einführung einer von abhängigen ehemaligen Staatsanwälten dominierten Disziplinarkammer für alle hohen Richter und andere Juristen am Obersten Gericht. Oder die Möglichkeit, jedes rechtskräftige Urteil der vergangenen Jahre nachträglich aufzuheben - was Experten zufolge eine Rückkehr zur Unrechtsjustiz der Sowjetzeit gleichkommt. Hier jedoch ist keine Bewegung in Sicht. Ebenso wenig Einsicht. Im Gegenteil: Polens Präsident Andrzej Duda, der in den vergangenen drei Jahren etliche verfassungswidrige Gesetze unterschrieb, hat klargemacht, dass der Feldzug gegen eine unabhängige Justiz nur pausiert, jedoch nicht beendet ist.

Wenige Tage vor Weihnachten griff Duda sowohl die EU als auch die Richter des Obersten Gerichts und Polens Menschenrechtskommissar Adam Bodnar scharf an. Der Menschenrechtskommissar ist das letzte noch unabhängige Verfassungsorgan, er zieht regelmäßig Klagen vor dem Verfassungsgericht zurück, wenn dort verfassungswidrig ernannte Richter an einer Entscheidung teilnehmen sollen.

Das Verfassungsgericht ist unter seiner rechtswidrig ernannten Präsidentin nur noch Erfüllungsorgan der Regierungspartei: Die Gerichtspräsidentin ändert unabhängigen Verfassungsrichtern zufolge die Zusammensetzung von Richterkammern so, dass für die Regierung kritische Verfahren immer von einer Mehrheit regierungstreuer Richter entschieden werden.

Sorge um den Zusammenhalt im Brexit

Die rechtswidrige Umwandlung des Verfassungsgerichts stand ganz am Anfang der Pis-Herrschaft in Polen. Die EU-Kommission hätte darauf und auf andere EU-Recht widersprechende Gesetze, etwa zu öffentlich-rechtlichen Medien, schon 2016 mit einer Klage vor dem Gerichtshof der EU reagieren müssen. Doch sie klagte erst im Herbst 2018, und nicht zum Verfassungsgericht. Auch bei anderen Angriffen auf den Rechtsstaat wartet die Kommission zu lange - offenbar aus Sorge um den europäischen Zusammenhalt im Zeitalter des Brexit.

Gegenmaßnahmen kommen zu spät - so in Ungarn, so in Rumänien, dessen postkommunistische Regierung ebenfalls rechtsstaatliche Prinzipien verletzt, aber außer ein paar kritischen Worten bisher keine Folgen zu spüren bekam. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Rücksicht auf Rechtsbrecher die EU zusammenhält - im Gegenteil befördert sie die Demontage der Grundwerte der EU. Europa wird im neuen Jahr deutlich mehr tun müssen, wenn es den Kampf um den Rechtsstaat gewinnen will.

© SZ vom 28.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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