Hadsch:Die Endlichkeit erleben

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Eine muslimische Pilgerin betet am Dienstag nahe der Stadt Mekka auf dem Berg der Barmherzigkeit, einer wichtigen Station auf der Hadsch. (Foto: Amr Nabil/dpa)

In Mekka hat es gerade etwa 45 Grad. Trotzdem machen sich mehr als zwei Millionen Menschen auf die Pilgerreise dorthin. Worin liegt die Faszination der Hadsch?

Von Dunja Ramadan

Es könnte die größte Hadsch seit Langem werden: 2020 durften wegen der Corona-Pandemie nur 1000 Auserwählte nach Mekka, 2021 nur wenige Zehntausende aus dem Königreich selbst und 2022 verärgerte Saudi-Arabien mit einem willkürlichen Lotterieverfahren viele Gläubige. Nun, in diesem Jahr, sollte alles besser laufen: Dafür wurde Anfang des Jahres die App "Nusuk" vorgestellt, die laut des saudi-arabischen Hadsch-Ministeriums "Bewerbern aus 57 Ländern eine reibungslose und komfortable Hadsch-Reise ermöglicht".

Zu den Anforderungen gehören allerdings "Pflichtimpfungen", etwa mit in Saudi-Arabien zugelassenen Covid-19-Impfstoffen. Mehr ist allerdings nicht von den vergangenen Jahren geblieben: Diese Hadsch könnte vor-pandemische Zustände sogar noch toppen. 2019 kamen bereits 2,5 Millionen Menschen zur Pilgerfahrt. Zu den Evergreens gehören natürlich auch Geschichten von Menschen, die einen sehr weiten Weg nach Mekka zu Fuß gelaufen sind. In diesem Jahr: der pakistanische Student Usman Arshad, der sechs Monate und 13 Tage für 5400 Kilometer gebraucht hat. Was macht diese Faszination an der Hadsch eigentlich aus? Immerhin hat es in Mekka gerade etwa 45 Grad, Menschen aus aller Welt kommen zusammen.

Es gibt Klagen über eine Saudisierung der Pilgerfahrt

Ein Anruf beim deutsch-schweizerischen Islamwissenschaftler Reinhard Schulze, der 70-Jährige war Professor an den Universitäten Bamberg und Bern: Ein wesentlicher Aspekt der Pilgerfahrt sei, dass sie eine Alternative zur hochpolitisierten Auffassung vom Islam biete. "Muslime können sich in einem großen ökumenischen Rahmen rein spirituell auf ihre Religion einlassen, frei von Zuschreibungen." Zwar beklagen viele eine Saudisierung der Pilgerfahrt, doch man könne die politische Instrumentalisierung des Herrscherhauses noch sehr gut ausblenden, wenn man sich auf die Rituale der Hadsch konzentriere, erzählt Schulze aus Gesprächen.

Apropos Rituale. "Über den inhaltlichen Charakter der Hadsch wird kaum gesprochen, dabei geht es bei der Hadsch vor allem um Rituale, die den Gläubigen ermöglichen, aus dieser Welt herauszutreten. Im Moment des Gebets und der Bittgebete streben die Gläubigen danach, die rituelle Reinheit physisch zu erleben." Stattdessen sehe man im Westen meist nur Muslime, die die Kaaba, das würfelförmige Gebäude der Großen Moschee umrunden. Dabei besteht die Hadsch aus vielen Ritualen, die an unterschiedlichen Orten stattfinden. Besonders bedeutend ist der Tag vor dem Opferfest - der Tag Arafat. Arafat ist etwa 20 Kilometer von Mekka entfernt, dort befindet sich der etwa 60 Meter hohe "Berg der Barmherzigkeit".

Am Fuße des "Bergs der Barmherzigkeit" wurden Nebelspender aufgestellt, um die Pilger abzukühlen. (Foto: Amr Nabil/dpa)

Hier soll der Prophet Ibrahim verweilt haben und der Prophet Mohammed die bekannte Abschiedspredigt im Jahr 632 gehalten haben. Die Gläubigen verbringen hier den ganzen Tag, sie beten gemeinsam, hören einer Predigt zu und sprechen Bittgebete. Das Zusammenkommen von Millionen von Menschen von überall auf der Welt wird oft mit dem Tag der Auferstehung verglichen. Viele Gläubige nutzen diese Chance, um ihr bisheriges Leben zu überdenken und sich ihrer Endlichkeit bewusst zu werden. "Den Sonnenaufgang auf dem Berg Arafat zu erleben, schildern mir Muslime als überwältigend", erzählt Schulze. Wenn die Pilger dann heimkehren, gelten sie als neugeboren. "Die Hadsch ist für viele Muslime vor allem ein Übergangsritual in einen neuen, bewussteren Lebensabschnitt."

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