Guatemala:Der Schrecken der korrupten Eliten

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In Guatemala-Stadt trägt ein Anhänger der Movimiento Semilla die Maske des Präsidentschaftskandidaten Bernardo Arévalo. (Foto: Cristina Chiquin/Reuters)

Der gemäßigt linke Bernardo Arévalo zieht in die Stichwahl um das Präsidentenamt - zur Überraschung der reichen Unternehmer, bestechlichen Politiker und Militärs, die das Sagen haben. Steht Guatemala am Scheideweg?

Von Christoph Gurk, Caracas

Wenn am Sonntag in Guatemala die Stichwahlen zur Präsidentschaft stattfinden, eint beide Kandidaten, dass sie dem Amt schon früher in ihrem Leben einmal sehr nahestanden: Sandra Torres als First Lady und Bernardo Arévalo als Sohn des ersten demokratisch gewählten guatemaltekischen Staatschefs.

Da allerdings hören die Gemeinsamkeiten dann auch schon auf, denn die beiden Bewerber sind so unterschiedlich, dass man nicht nur von einer Stichwahl, sondern von einem Scheideweg sprechen muss, vor dem Guatemala steht.

Das Land ist das bevölkerungsreichste von Mittelamerika und obendrein noch die größte Volkswirtschaft der Region. Dennoch leben 60 Prozent der Menschen in Guatemala unter der Armutsgrenze, die Hälfte der Kinder leidet an Unterernährung, kriminelle Banden terrorisieren die Bevölkerung, und die Folgen des Klimawandels machen dem Land schwer zu schaffen: Felder verdorren, Vieh verendet.

Die Eliten wollen ihre Macht behalten, koste es, was es wolle

Seit einigen Jahren kommen zu all dem auch noch immer ernstere politische Probleme. Guatemalas Wirtschaft wird von einer Handvoll reicher Familien dominiert. Sie besitzen die wichtigsten Firmen des Landes, die größten Ländereien, die ertragreichsten Plantagen. Längst geht ihr Einfluss auch über das rein Ökonomische hinaus: Abgeordnete werden gekauft, Richter bestochen und Institutionen unterwandert.

Ein ganzes Netzwerk aus alten Eliten, reichen Unternehmern, bestechlichen Politikern, Militärangehörigen und kriminellen Banden ist so entstanden. Von einem "Pakt der Korrupten" ist die Rede, skrupellos und machthungrig.

Immer schwieriger wird es in dem Land, sich diesen Kräften entgegenzustellen. Als die Cicig, eine UN-Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala, vor ein paar Jahren damit begann, zahlreiche Fälle von Korruption bis in höchste Staatsämter aufzudecken, wurde bald versucht, ihre Untersuchungen zu stoppen. Es gab Verleumdungskampagnen, und am Ende wurde die Cicig des Landes verwiesen.

Unabhängigen Richtern und kritischen Staatsanwälten geht es längst ähnlich, viele haben das Land verlassen. Gleichzeitig werden investigative Journalisten verfolgt, teils sogar unter fadenscheinigen Gründen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt; kritische Zeitungen müssen ihre Arbeit einstellen. Die Eliten wollen ihre Macht behalten, koste es, was es wolle.

Sandra Torres galt früher als gemäßigt links, mittlerweile steht sie weit rechts

Die Sorge war darum groß, dass die Präsidentschaftswahlen sich am Ende in eine scheindemokratische Farce verwandeln würden. Und tatsächlich wurden schon im Vorfeld der Abstimmung eine ganze Reihe aussichtsreicher Bewerber der Opposition von der Teilnahme ausgeschlossen. Gleichzeitig aber entschieden Gerichte, dass Zury Ríos, die Tochter von Efraín Ríos Montt, einem von Guatemalas brutalsten Diktatoren, antreten dürfe, obwohl dies eigentlich der Verfassung widerspricht.

In der ersten Wahlrunde Ende Juni standen fast zwei Dutzend Kandidaten auf den Stimmzetteln. Dass es zu einer Stichwahl kommen würde, war wegen dem zersplitterten Bewerberfeld absehbar, ebenso wie es kaum überraschend war, dass unter den beiden Kandidaten am Ende auch Sandra Torres sein würde.

Sandra Torres wettert inzwischen gegen Abtreibungen und die Ehe für alle - zur Freude der erzkonservativen Oberschicht. (Foto: Cristina Chiquin/Reuters)

Torres ist 67 Jahre alt, als Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Álvaro Colom Caballeros war sie in den Nullerjahren die First Lady. Längst ist das Paar geschieden - und galt Torres früher noch als gemäßigt links, ist sie mittlerweile weit nach rechts abgedriftet. Sie wettert gegen Abtreibungen und die Ehe für alle. Auch deshalb genießt sie die Unterstützung der erzkonservativen guatemaltekischen Elite. Diese wiederum hofft, mit Torres den politischen Status Quo im Land bewahren zu können. Bei all dem hatte sie aber nicht mit einem Mann gerechnet: Bernardo Arévalo.

Arévalo ist ein etwas behäbig wirkender und gemäßigt linker Politiker, am ehesten entspricht seine Position der eines Sozialdemokraten. Sein Vater war Juan José Arévalo, Guatemalas erster demokratisch gewählter Präsident. Doch dass sein Sohn einmal versuchen könnte, in seine Fußstapfen zu treten, war lange nicht absehbar. Arévalo studierte Soziologie und arbeitete als Diplomat. Doch dann, 2015, erschütterten Massendemonstrationen Guatemala. Es ging vor allem um die auch damals schon fast allgegenwärtige Korruption und Vetternwirtschaft. Es entstand eine kleine Bewegung, "Samenkorn" genannt, die sich im Laufe der Zeit in eine Partei verwandelte, das Movimiento Semilla.

In den Umfragen hatte Bernardo Arévalo weit hinten gelegen

Bei den Wahlen 2019 gewann Arévalo mit ihr einen Platz im Abgeordnetenhaus, dort stellte er kritische Fragen und brachte korrupte Politiker in Bedrängnis. Vor allem bei jungen Guatemalteken kam das gut an, echte Chancen bei den Wahlen räumte ihm aber niemand ein, Arévalo lag in den Umfragen stets auf einem der hinteren Plätze.

Umso größer war darum der Schock für die alten Eliten, als Arévalo in der ersten Runde auf den zweiten Platz hinter Sandra Torres kam. Mehrere Parteien zweifelten im Anschluss den Ausgang der Wahl an, und Arévalo und seiner Partei wurden formale Fehler vorgeworfen. "Man will verhindern, dass wir an der zweiten Runde teilnehmen", sagte Arévalo. Vertreter der Europäischen Union formulierten es weniger deutlich, erklärten aber auch, man sei "tief besorgt über die anhaltenden Versuche, die Integrität der Wahlergebnisse zu untergraben".

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Dass Arévalo nun in der Stichwahl steht, ist im Prinzip allein schon ein kleiner Erfolg. In den Umfragen liegt er dazu weit vor seiner Mitbewerberin Sandra Torres. Viele junge Guatemalteken sind hoffnungsfroh, und Beobachter sprechen von einem "demokratischen Frühling".

Allerdings ist die Frage, was passiert, wenn Arévalo tatsächlich am Sonntag gewinnt. Wird die hochkorrupte und erzkonservative Elite des Landes es zulassen, dass ein linker Politiker zum Staatschef wird, erst recht, wenn dieser das erklärte Ziel hat, Bestechung und Vetternwirtschaft zu bekämpfen? Und selbst wenn das gelingt und Arévalo sein Amt antritt, so muss er danach auch noch regieren gegen einen Kongress, der ihm weitgehend feindlich gegenübersteht, und gegen eine Justiz, die in großen Teilen nicht mehr unabhängig ist.

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