Grüne Urwahl:Schaulaufen zum Fremdschämen

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Gelebte Basisdemokratie: Weil die Grünen sich auf eine Urwahl einlassen, treten nun Kandidaten ins Rampenlicht, die noch nie vor einem größeren Publikum geredet haben. Das Ergebnis ist für die Partei nicht unbedingt schmeichelhaft: Beim Duell der Amateure gegen die Profis fallen auch gehässige Worte.

Michael Bauchmüller, Berlin

Was Herr X oder Frau Y tun würden, wenn sie Außenminister respektive Außenministerin würden, ist für die meisten Deutschen eine abwegige, hochgradig hypothetische Frage. Nicht aber für Thomas Austermann. Austermann hat sich, wie ein gutes Dutzend andere Grüne auch, um das Amt des Spitzenkandidaten seiner Partei bei der Bundestagswahl beworben; da wird die Frage nach dem Außenminister Austermann ja wohl erlaubt sein.

Sie haben die besten Chancen auf die Spitzenkandidatur: Katrin Göring-Eckardt, Renate Künast, Claudia Roth und Jürgen Trittin. Sie müssen sich gegen elf Unbekannte durchsetzen, die bei der Urwahl ebenfalls kandidieren. (Foto: dapd)

Der Kandidat windet sich, er denkt nach. "Ich werde sondieren", hebt er an, "dass Treffen gemacht werden mit Präsidenten, in deren Ländern große Probleme herrschen." Die Armee will er reduzieren, deutsche Militäreinsätze auf den reinen Verteidigungsfall beschränken. Später wird er sich noch verheddern in der schwierigen Abwägung zwischen militärischer Zurückhaltung und dem Einsatz von Soldaten zur Verhinderung eines Völkermordes.

Austermann ist überzeugter Pazifist - aber ein Mann für die große Bühne ist er nicht, so wenig wie manch andere seiner Mitstreiter. Im Publikum fallen gegenüber Medienvertretern gehässige Worte wie "fremdschämen". Die Grünen, so lehren einige Auftritte, sind mittlerweile halt doch eine ziemlich normale Partei - und bei Weitem nicht so anders, wie sie gerne wären.

Nicht viel Zeit zum Nachdenken

Zweimal schon sind die Kandidaten nun aufgelaufen, einmal in Hannover und zuletzt am Sonntag in Berlin. Insgesamt elf dieser Treffen sind geplant, sie sollen die 60.000 Grünen-Mitglieder vertraut machen mit denen, die ihre Partei 2013 gerne anführen würden. Zwei von insgesamt 15 Kandidaten sollen am Ende übrig bleiben. Elf Urwahlforen - das ist elfmal Schaulaufen der Mutigen gegen die Ehrgeizigen, der Amateure gegen die Profis, der Unbekannten gegen das Establishment.

Die Urwahl hebt alle miteinander auf dasselbe Niveau, sie suggeriert Augenhöhe: Katrin Göring-Eckardt, die Bundestagsvizepräsidentin, sitzt in Berlin zwischen Austermann und dem 22-jährigen Politikstudenten Nico Hybbeneth, der von sich selber sagt, "ganz spontan" seine Bewerbung abgegeben zu haben. "Viel Zeit zum Nachdenken war ja nicht." Renate Künast wiederum, Fraktionschefin im Bundestag, findet sich zwischen Roger Kuchenreuther und Alfred Mayer, von denen bei den Grünen jenseits ihrer Kreisverbände nicht viel bekannt ist.

Claudia Roth, die Parteichefin: eingerahmt von Franz Spitzenberger aus dem Allgäu und Markus Meister, der Stimmung gegen Fraktionschef Jürgen Trittin macht, seinen direkten Kontrahenten um den männlichen Posten in der Doppelspitze. Und Trittin selbst schließlich, platziert neben Werner Winkler und dem Tierarzt Peter Zimmer. Letzterer beginnt seine Bewerbungsrede mit dem Schicksal des Urwals, der leider vor vielen hunderttausend Jahren ausgestorben ist. Was der grünen Urwahl womöglich nach diesem ersten Versuch in der Parteiengeschichte auch blüht.

Die vier Profis machen den Unterschied. Routiniert der Durchmarsch von Göring-Eckardt: In zwei Minuten streift sie mal eben die Gerechtigkeitsfrage, den herkömmlichen Wachstumsbegriff, den "Gendreck" und die Energiewende. Renate Künast, die beim Forum in Hannover gleich mal Niedersachsen mit Nordrhein-Westfalen verwechselt hatte, erinnert an Zeltlager-Romantik des Gorleben-Widerstands und kredenzt der Basis die Bösewichte von den großen Energiekonzernen, die das Land in vier Besatzungszonen aufteilten. "Das hatten wir schon", sagt sie. Das gibt Applaus in Berlin, klar.

Ginge es rein nach dem Beifall, dann hätten wohl Claudia Roth und Jürgen Trittin nach den ersten beiden Veranstaltungen die besten Chancen. Roth bekennt freimütig, sie wolle im Wahlkampf nerven, "und zwar die Richtigen", und hackt dann auf der Unions-Familienministerin Kristina Schröder herum. Diese sei "der leibhaftige Beweis, dass das biologische Alter kein Grund ist für junge Politik". Roth, 57, käme dieser Beweis durchaus zupass. Wie kurz darauf auch Trittin sieht sie "eine Zukunft mit Rot-Grün oder Stillstand mit einer großen Koalition" - die grüne Strategie für 2013. Beide ernten dafür tosenden Beifall.

Wie es wohl wäre, wenn nur die vier gegeneinander anträten? Echte Konkurrenz entsteht kaum auf dem Podium, jeder wirbt für sich allein, aber nur selten gegen einen anderen. Weil stets nur Fragen an einen Kandidaten zugelassen werden, findet eine Diskussion untereinander nicht statt - allerdings wäre sie mit einem Dutzend Teilnehmern wohl auch nur begrenzt hilfreich. Stattdessen wirken die unerfahrenen Basiskandidaten wie ein doppeltes Kontrastmittel: Einerseits kommt die Professionalität der vier Funktionäre stärker zur Geltung. Andererseits entlarven die oft rührend ehrlichen Antworten der Spontan-Kandidaten auch manches Ausweichmanöver der Spitzengrünen.

Trittin etwa münzt die Frage, ob er erwarte, dass seine Art bei allen Menschen ankommt, schlicht zur Steilvorlage um: Im Kampf gegen mächtige Lobbys "muss man sich gelegentlich unbeliebt machen". Ob die Frage so gemeint war? Und Renate Künast, gefragt, ob eine Alternative zur großen Koalition nicht auch eine aus Union und Grünen sein könnte, beantwortet zwei Minuten lang alles Mögliche. Nur nicht die Frage.

Wenn es überhaupt eine Chance für die Außenseiter gibt, dann offenbar die: der Widerstand gegen das Establishment in der eigenen Partei. "Wir Grüne stagnieren", trägt etwa der Student Hybbeneth vor. "Jede Stimme für mich ist eine Stimme für den Generationenwechsel." Selten braust der Applaus so auf wie da.

© SZ vom 25.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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