Grüne Partei in der Schweiz:Plötzlich im Boot mit den Rechten

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Der grüne Parteipräsident Balthasar Glättli und Fraktionschefin Aline Trede. (Foto: PETER SCHNEIDER/picture alliance)

In den Debatten um die Schweizer Neutralität hat sich eine ungewöhnliche Allianz gebildet: Genau wie die SVP wollen auch die Grünen auf jegliche Waffenlieferungen, auch indirekte, verzichten - und positionieren sich damit anders als ihr deutsches Gegenüber.

Von Isabel Pfaff, Bern

Bei den deutschen Grünen waren zuletzt Raubkatzen-Wortspiele beliebt. "The #Leopard's freed!", twitterte Katrin Göring-Eckardt, grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, am 24. Januar. Da hatte die Bundesregierung gerade verkündet, dass sie Leopard-Panzer an die Ukraine liefern werde - und die Grünen jubelten. Die einst friedensbewegte Partei setzt sich mittlerweile fast am lautesten für Waffenlieferungen nach Kiew ein.

Sicher, die deutschen Grünen regieren in einem Nato-Staat mit, der sich angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine deutlich positionieren muss. Trotzdem ist bemerkenswert, wie anders sich im Vergleich dazu die Schwesterpartei in der benachbarten Schweiz verhält. Die 1983 gegründeten Schweizer Grünen haben zwar eine etwas andere Entstehungsgeschichte als die deutschen, aber auch sie zählen Frieden und Abrüstung zu ihren Grundsätzen. "Als neutrales Land und als Depositarstaat der Genfer Konventionen soll die Schweiz in Konflikten vermitteln und schlichten - statt mit Waffenexporten Kriege zu nähren", schreibt die Partei auf ihrer Website. Diesem Credo bleibt sie auch ein Jahr nach Kriegsbeginn treu - den heftigen Debatten über die Neutralität und die Freigabe von Rüstungsgütern aus Schweizer Produktion zum Trotz.

Im vergangenen Jahr hat sich Bern mehrmals geweigert, europäischen Staaten die Erlaubnis zu erteilen, aus der Schweiz stammende Rüstungsgüter an die Ukraine weiterzugeben - mit Verweis auf das Neutralitätsrecht und auf das erst kürzlich verschärfte Kriegsmaterialgesetz. Seither steht das Land massiv unter Druck. Nicht nur die europäischen Nachbarn bringen kein Verständnis für das Schweizer Nein auf, auch die Ukraine zeigt sich irritiert. "Bitte lassen Sie andere Länder ihre in der Schweiz hergestellten Waffen in die Ukraine schicken", sagte die neue ukrainische Botschafterin in Bern, Iryna Wenediktowa, kürzlich in einem Interview. "Angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine kann die Schweiz nicht neutral sein."

Die Politik ringt heftig um Gesetzesänderungen

Dass die Schweizer Position erklärungs-, wenn nicht reformbedürftig ist, weiß man auch in Bern. Und so ringt die Politik gerade heftig um Gesetzesänderungen. Auffällig: Die Schweizer Grünen gehören dabei nicht zu den Progressiven. Sie sperren sich gegen mögliche Lockerungen des Kriegsmaterialgesetzes, wie sie die Sozialdemokraten, die liberale FDP oder die Mitte-Partei ins Spiel gebracht haben, um eine Weitergabe Schweizer Waffen an die Ukraine doch noch zu ermöglichen. Damit findet sich die in einer ungewöhnlichen Allianz wieder: Neben den Grünen lehnt nur die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) geschlossen eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes ab. Für die SVP ging bereits zu weit, dass die Schweiz die Russland-Sanktionen der EU übernommen hat. Dass Bern nun die Weitergabe von Panzern und Munition an Kiew erlauben könnte, kommt für die Partei erst recht nicht in Frage. Sie kämpft dafür, eine besonders strikte Auslegung der Neutralität in der Verfassung zu verankern.

Die Motive der Grünen sind anders gelagert. Ihrer Ansicht nach kann die Schweiz als militärisch neutrales Land Dinge tun, die andere nicht leisten können, etwa die Übernahme eines Schutzmachtmandates, also einer Art Briefträger-Rolle zwischen Moskau und Kiew. "Wir nützen der Ukraine mehr, wenn wir die Stärken des Neutralen nutzen", sagte Fraktionschefin Aline Trede in einem Interview. Die Waffenlieferungen, um die es im Zusammenhang mit der Schweiz gehe, würden für die Ukraine "keinen Unterschied" machen.

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"Heute wird fast nur noch über die Weitergabe von Waffen und Munition diskutiert", kritisiert auch der grüne Parteipräsident Balthasar Glättli. Dabei hätte die Schweiz mit ihrem Finanz- und Rohstoffhandelsplatz zwei bedeutende Hebel gegen Russland, die sie derzeit nicht ausreichend nutze. Seine Partei setzt sich deshalb schon länger für eine Rohstoffmarktaufsicht ein, die den eng mit Russland verwobenen Wirtschaftssektor überwachen soll. Sie fordert angesichts der Rekordgewinne in der Branche auch eine Kriegsgewinnsteuer. Und sie will, dass die Schweiz aktiv nach Oligarchengeldern sucht und dafür eine Taskforce einsetzt. Auch in der humanitären Hilfe für die Ukraine soll sich Bern nach Meinung der Grünen stärker engagieren und damit die fehlende militärische Unterstützung kompensieren. Tatsächlich kommt die Schweiz, gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, nur auf Platz 33 von 40 Staaten in dem "Ukraine Support Tracker"-Ranking des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

Am 8. März wird der Schweizer Nationalrat über die vorgeschlagenen Lockerungen des Kriegsmaterialgesetzes befinden. Wenig deutet darauf hin, dass die Grünen das Lager wechseln könnten. Am Freitag allerdings wurde bekannt, dass Deutschland wieder ein Gesuch nach Bern geschickt hat: Diesmal geht es um fast 100 ausgemusterte Leopard-Panzer. Berlin bittet Bern darum, die Fahrzeuge an den deutschen Hersteller zurück zu verkaufen, um damit die Lücken in EU- und Nato-Ländern zu schließen. Das ist rein rechtlich zwar möglich, doch es bedarf dafür eines Parlamentsbeschlusses. Auf die Schweizer Grünen kommt also der nächste Pazifismus-Test zu.

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