Geschosse für die Ukraine:Wie die Schweiz ihr Munitionsdilemma lösen will

Geschosse für die Ukraine: Er hat sich in der Ukraine vor allem bei der Abwehr von Drohnen bewiesen: der "Gepard"-Flugabwehrkanonenpanzer, kurz Flakpanzer. Nur leider ist die Munition knapp.

Er hat sich in der Ukraine vor allem bei der Abwehr von Drohnen bewiesen: der "Gepard"-Flugabwehrkanonenpanzer, kurz Flakpanzer. Nur leider ist die Munition knapp.

(Foto: Sven Eckelkamp/Imago)

Bald sollen in Deutschland Geschosse für den "Gepard" vom Band laufen. Bis dahin bleibt der Druck auf die Schweiz hoch, Munitionslieferungen an Kiew zu erlauben. Dafür will das Parlament nun ein Gesetz ändern.

Von Thomas Fromm und Isabel Pfaff, München/Bern

Die Schweizer Position werde verstanden, hat Alain Berset, der Schweizer Bundespräsident, gerade gesagt. Da kam Berset vom Weltwirtschaftsforum in Davos, wo er vielen offenbar noch mal die Schweizer Lage erläutert hatte: Als neutrales Land darf die Schweiz keine Seite in einem bewaffneten Konflikt begünstigen, das gebieten die Haager Abkommen von 1907.

Übersetzt auf die konkrete Situation heißt das, dass sie weder selbst Rüstungsgüter an die Ukraine liefern noch die Weitergabe einst ausgeführter Güter an die Ukraine gestatten darf - etwa die rund 12 000 35-Millimeter-Geschosse für den Gepard-Flugabwehrkanonenpanzer, die Deutschland vor Jahrzehnten aus der Schweiz erhalten hat und jetzt gerne an Kiew weitergeben würde. Weil Bern aus Neutralitätsgründen bei Rüstungsexporten eine sogenannte Nicht-Wiederausfuhr-Erklärung verlangt, muss Deutschland die Schweiz um Erlaubnis fragen - doch die sagte bereits mehrfach: Nein. Nicht nur die Haager Abkommen, sondern auch das erst kürzlich verschärfte Kriegsmaterialgesetz verbieten es dem Land, Berlin eine solche Erlaubnis zu erteilen. Weil die Ukraine Kriegspartei ist.

Deutschland müsse sich sonst andere Partner für Rüstungskäufe suchen

Wird diese Position wirklich verstanden? In Davos klang das anders. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte dem Schweizer Fernsehen, dass es hier nicht um Fragen der Neutralität gehe, sondern "um das Recht auf Selbstverteidigung, das in der UN-Charta verankert ist". Mit anderen Worten: Hier dürften sich auch neutrale Staaten nicht aus der Verantwortung ziehen. Auch der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte, dass es "gerecht und hilfreich" wäre, wenn die Schweiz Munition zur Verfügung stellen würde. Und nun hat sich noch der deutsche Botschafter in der Schweiz gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS geäußert: Die Schweiz solle einen Schritt nach vorne machen, um anderen Ländern die Unterstützung der Ukraine zu ermöglichen. Anderenfalls müsste sich Deutschland nach anderen Partnern bei Rüstungskäufen umsehen.

Der Druck auf die Schweiz bleibt also hoch - wohl auch, weil es nicht allein um die 12 000 Schuss in den deutschen Depots gehen dürfte, sondern auch um andere Munitionsreserven, die die Schweiz einst geliefert hat. Experten zufolge geht es weltweit um einige Zehntausend Schuss. Sie sollen dem Vernehmen nach unter anderem in Katar und in Brasilien lagern. Dass letztere Munition an die Ukraine gehen könnte, hat Präsident Lula allerdings gerade ausgeschlossen.

Rheinmetall baut seine Munitionsproduktion massiv aus

Deutschland will jetzt selbst Abhilfe schaffen. Der Rüstungskonzern Rheinmetall beispielsweise baut seine Munitionsproduktion gerade massiv aus, etwa in Unterlüß im Landkreis Celle: Hier will Rheinmetall in den kommenden Tagen mit neuer Mittelkalibermunition bereits in die Vorproduktion gehen, ab Mitte Juli soll dann regulär ausgeliefert werden. Konkret soll es dann um eine erste Lieferung von Gepard-Munition gehen - 300 000 Schuss für das ukrainische Militär. Außerdem kauft Rheinmetall den spanischen Munitionshersteller Expal Systems, geschätzter Wert: 1,2 Milliarden Euro. Um die Übernahme zu stemmen, hat sich das Unternehmen erst an diesem Dienstag eine Milliarde Euro am Markt besorgt. Ein Deal, der zeigt: Der Düsseldorfer Rüstungskonzern rechnet für die Zukunft mit einer stark erhöhten Nachfrage bei Munition. Man reagiere auf die "Marktsituation", sagt ein Insider. Es gebe schließlich eine Bedarfslage, die es so früher nicht gegeben habe.

Und die Schweiz? Musste an dieser Stelle immerhin kein Veto einlegen. Ein Know-how-Transfer aus der Eidgenossenschaft in andere Länder unterliegt zwar prinzipiell auch dem Kriegsmaterialgesetz. Doch ein Transfer nach Deutschland ist laut Gesetzesverordnung nicht bewilligungspflichtig. Zudem ist RWM Schweiz AG, die Herstellerin der Gepard-Geschosse, eine hundertprozentige Tochter von Rheinmetall.

Es gibt mehrere Ideen, wie das Problem gelöst werden könnte

Aber selbst wenn im Juli neue Gepard-Munition in die Ukraine geliefert werden kann: Der Schlüssel zu den aktuell verfügbaren Munitionsvorräten bleibt die Schweiz. Das erklärt, warum der Ton gegenüber Bern weiterhin so kämpferisch ist - und warum im Schweizer Parlament fieberhaft an einer Lösung des Problems gearbeitet wird.

Eine Idee kommt aus der liberalen FDP: Sie will das Kriegsmaterialgesetz dahingehend lockern, dass "Länder mit gleichen Werten und vergleichbarem Exportkontrollregime" künftig keine Nicht-Wiederausfuhr-Erklärung mehr abgeben müssen. Auch die Sozialdemokraten (SP) haben einen Vorstoß lanciert: Wenn ein Land angegriffen wird und die UN diesen Angriff als völkerrechtswidrig werten, soll die Schweizer Regierung auf Antrag Wiederausfuhren von Kriegsmaterial bewilligen dürfen.

Die dritte Initiative stammt aus der Mitte-Partei und nennt sich "Lex Ukraine". Auch hier geht es um eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes, jedoch wäre sie zeitlich und räumlich befristet. Nicht-Wiederausfuhr-Erklärungen sollen demnach dann hinfällig werden, wenn feststeht, dass das Kriegsmaterial in die Ukraine im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg geht. Die Änderung soll dringlich erklärt werden, sie könnte schon im kommenden Juni in Kraft treten - für Schweizer Verhältnisse enorm schnell - und sie soll nur bis Ende 2025 gelten.

Diese Initiative ist der einzige Vorstoß, der die Zeit bis zur Lieferung von in Deutschland produzierter Munition überbrücken könnte - allerdings nur, wenn eine Mehrheit des Parlaments dahintersteht. Dort stellt bekanntlich die Schweizerische Volkspartei (SVP) die größte Fraktion. Und für diese hat die Schweiz bereits mit der Übernahme der Russland-Sanktionen ihre Neutralität verraten.

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