Große Koalition:Passt scho

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Merkel, Schulz und Seehofer müssen ihren Koalitionsvertrag nach einer schlaflosen Nacht verkaufen. Einigermaßen zufrieden zeigt sich nur der CSU-Chef.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Die Bemerkung, mit der Martin Schulz die Präsentation des Koalitionsvertrags in Berlin eröffnet, erscheint im ersten Moment etwas komisch. Er bedankt sich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die "kürzesten Koalitionsverhandlungen in der Geschichte der Bundesrepublik".

In der Tat waren die Koalitionsverhandlungen nur eineinhalb Wochen lang - aber allen, die sie verfolgten, kamen sie viel, viel länger vor. Denn klar, davor lagen ja schon sehr lange Jamaika-Sondierungen. Nun ist der Vertrag soweit fertig. Schulz betont bei seiner Vorstellung im Konrad-Adenauer-Haus: "Das, was wir durchgesetzt haben, trägt in hohem Maße sozialdemokratische Handschrift."

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Diese Aussage verwundert nicht, schließlich müssen nicht nur diverse Parteigremien den Koalitionsvertrag absegnen, sondern auch die SPD-Basis - und die ist unberechenbar. Nicht erst seit die Partei 24 000 neue Mitglieder verzeichnet, die die Abstimmung gelockt haben dürfte.

Deswegen betont Schulz im längsten Statement aller drei Parteichefinnen und -chefs, für wen die SPD alles Verbesserungen erreicht hat: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Familien, Kinder und Jugendliche, Alte und Menschen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwer tun. Er zählt als Erfolge auf: die Einschränkung der sachgrundlosen Befristung auf eineinhalb Jahre und die geplante Abschaffung endloser Kettenbefristungen, den Wegfall des Soli für Klein- und Mittelverdiener und elf Milliarden Euro Investitionen in die Bildung. Außerdem das Baukindergeld und die Kindergelderhöhung von 300 Euro im Jahr. In Sachen Europa möchte er eng mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zusammenarbeiten.

Kanzlerin Angela Merkel wählt andere Schwerpunkte. Sie spricht von einer "neuen Dynamik für Deutschland", mehrmals kommt sie auf die Bedeutung der Digitalisierung zu sprechen. Sie betont deutlicher als Schulz die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und sagt den sehr deutschen Satz: "Solide Finanzen sind unser Markenzeichen."

CSU-Chef Horst Seehofer fasst sich kürzer: "Wessen Handschrift diese Koalitionsergebnisse tragen, lieber Martin, das spare ich mir für den politischen Aschermittwoch auf. Heute habe ich nicht gut genug geschlafen." Er erklärt, in Bayern sage man, wenn man mit etwas in hohem Maße zufrieden sei: Passt scho. Dann wendet er sich an die anderen beiden und sagt: "Passt scho."

Passt scho, also. Das ist mal ein Fazit, nach einer weiteren langen Verhandlungsnacht. Um halb zehn waren in Berlin die ersten Gerüchte aus der Verhandlerrunde nach außen gesickert: Der Koalitionsvertrag steht. Kurz danach machten weitere Neuigkeiten die Runde: Dass die SPD drei wichtige Ministerien bekommen werde, nämlich Außen, Arbeit und Finanzen, und die CSU das Innenministerium, das außerdem um den Bereich Heimat erweitert werden soll - was gleich die zu erwartenden Witze in den sozialen Medien zur Folge hatte. Wer wird denn Minister? Florian Silbereisen? Am Ende wird es wohl Horst Seehofer.

Die CDU-Politiker, die die Journalisten vor der Parteizentrale Konrad-Adenauer-Haus in Berlin erwischen konnten, mussten sich solche Fragen gefallen lassen: Habt Ihr eigentlich auch noch irgendwelche interessanten Posten abbekommen? Das Kanzleramt, kam dann meist scherzhaft-schnippisch zurück. Auch auf der Pressekonferenz kommt das Thema zur Sprache. "Wenn ich sage, dass die Frage, wer bekommt welches Ressort, keine ganz einfache war, verrate ich nicht zu viel", sagt Merkel. Immerhin habe die CDU seit Jahrzehnten mal wieder das Wirtschaftsministerium bekommen. Man wolle ja oft das, was man gerade nicht habe - aber mit diesem Ministerium sei sie zufrieden. Begeisterung klingt anders.

Eine weitere Nachricht, die am Vormittag durchsickerte, kam zur Sprache: Auch Martin Schulz werde dem Kabinett angehören - und den SPD-Parteivorsitz an Fraktionschefin Andrea Nahles abgeben. Ob er da etwa Posten gegen Zugeständnisse getauscht habe, fragt ihn ein Journalist. Etwa in der Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik? Schulz verneint. Er hebt abermals die Beschränkung der sachgrundlosen Befristung hervor, und die erreichte Besserstellung von Kassenpatienten, da Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder je zur Hälfte die Beiträge zur Krankenversicherung zahlen sollen.

Im Übrigen, so sagt er es, werden über Personalfragen erst in den kommenden Stunden die Parteigremien entscheiden - eine von vielen Varianten von "kein Kommentar", die SPD- und Unionspolitiker am heutigen Tag zum Besten geben. Martin Schulz aber weiß, dass über sein Amt am Ende doch nicht nur die Parteigremien entscheiden. Und Schulz' parteiinterner Hauptgegner, Juso-Chef Kevin Kühnert, hat sich auf Twitter schon in Stellung gebracht: "'Nogroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird", setzte er in Richtung Schulz ab. Nächster Halt: Mitgliederentscheid.

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