Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD:Die Vereinbarungen im Überblick

Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD: undefined
(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

46 Milliarden Euro wollen die Unionsparteien und die SPD in der kommenden Legislaturperiode ausgeben. Wohin das Geld fließen und wer davon profitieren soll: eine Übersicht.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Auch die letzten strittigen Fragen zwischen den Unionsparteien und den Sozialdemokraten sind geklärt, der Koalitionsvertrag steht. So sehen die Einigungen in den wichtigsten Sachthemen aus:

Steuern und Finanzen

Die schwarze Null soll bestehen und der Bundeshaushalt ausgeglichen bleiben. Die erwarteten Überschüsse sollen teilweise an Bürger mit niedrigen und mittleren Einkommen zurückgegeben sowie in soziale und unternehmerische Projekte investiert werden. Knapp 46 Milliarden Euro sind für Maßnahmen vorgesehen, die sicher umgesetzt werden. Davon werden zehn Milliarden Euro benötigt, um den geplanten Wegfall des Soli-Zuschlages für den größten Teil der Steuerzahler zu kompensieren. Alleinstehende Einkommensteuerpflichtige werden von 2021 an bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 61 000 Euro keinen Soli mehr zahlen. Für Verheiratete gilt die doppelte Summe.

Acht Milliarden Euro sollen Länder und Kommunen erhalten, um die Folgen des Flüchtlingszuzugs zu regeln. Für Kinder und Familien sind zwölf Milliarden Euro einplant. Das Kindergeld wird um 25 Euro je Kind erhöht, der Kinderfreibetrag steigt, es gibt einen Zuschuss für besonders bedürftige Kinder. Vier Milliarden fließen in den Wohnungsbau, weitere zwölf Milliarden Euro sind zur Förderung von Verkehr und ländlichen Räumen vorgesehen. Fallen die Überschüsse höher als erwartet aus, sollen zusätzlich digitale Projekte, Entwicklungspolitik und Aufgaben der Bundeswehr finanziert werden.

Der Koalitionsvertrag im Wortlaut

Auf 179 Seiten haben CDU, CSU und SPD die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen zusammengefasst. Das Dokument trägt den Titel "Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land". Hier finden Sie den Vertrag in voller Länge.

Die versprochene Steuerreform wird es nicht geben. Vereinbart ist lediglich, die Abgeltungsteuer für Zinserträge abzuschaffen, nicht jedoch für Dividenden und Veräußerungsgewinne bei Kapitalanlagen. Zudem sollen Unternehmensteuern überprüft werden.

Migration und Integration

Das Grundrecht auf Asyl soll nicht angetastet werden. Die Parteien gehen davon aus, dass die Zuwanderungszahlen für die kommenden Jahre insgesamt bei etwa 180 000 bis 220 000 liegen werden. Der Begriff Obergrenze taucht nicht auf. Im Einigungspapier der Arbeitsgruppe Migration und Integration heißt es weiter, dass diese Zahlen Kriegsflüchtlinge, vorübergehend Schutzbedürftige, Familiennachzügler und Umgesiedelte einschlössen. Abgezogen werden müssten Rückführungen, freiwillige Ausreisen und Arbeitsmigranten.

Asylverfahren sollen in sogenannten Anker-Einrichtungen abgewickelt werden, Ankunfts- und Rückführungszentren, in denen alle Neuankömmlinge bleiben müssen, bis die Identität geklärt ist. Längstens soll das 18 Monate dauern, bei Familien mit Kindern maximal sechs Monate. Flüchtlinge mit guter Bleibeaussicht sollen die zentralen Unterkünfte verlassen dürfen - noch ist allerdings nicht klar, wann. Abschiebungen sollen schneller erfolgen. Algerien, Marokko und Tunesien sollen zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Länder und Kommunen können mit acht Milliarden Euro für Integrationsmaßnahmen rechnen.

Die Koalition will Fluchtursachen bekämpfen und stellt dafür zusätzliches Geld bereit. Bis die europäischen Außengrenzen sicher geschützt werden können, erlaubt die große Koalition, dass die Binnengrenzen kontrolliert werden.

Vom 1. August an soll ein auf 1000 Personen pro Monat begrenzter Familiennachzug zu Flüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus möglich sein. Die bestehende Härtefallregelung jenseits des Kontingents soll weiter angewendet werden. Bis Ende Juli bleibt der Nachzug zu Personen mit subsidiärem Schutz ausgesetzt, das hat der Bundestag bereits beschlossen.

Vereinbart ist auch, gezielt Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Dazu soll ein Regelwerk erstellt werden, das zwar nicht Einwanderungsgesetz genannt wird, aber faktisch eines ist.

Wohnen und Bauen

In den kommenden vier Jahren sollen bis zu 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden. Ziel ist es, über ein höheres Angebot von Wohnraum den Anstieg der Mieten vor allem in Städten zu bremsen. Insgesamt vier Milliarden Euro will der Bund bereitstellen. Mit dem Geld sollen der soziale Wohnungsbau gefördert (mindestens zwei Milliarden Euro) sowie über Sonderabschreibungen steuerliche Anreize für Bauherren geschaffen werden. Gefördert wird, wer Gebäude energetisch saniert; auch Familien, die Wohneigentum bilden wollen, werden unterstützt. Die Eigentumsquote soll deutlich erhöht werden.

Es soll ein Baukindergeld von jährlich 1200 Euro je Kind für zehn Jahre gezahlt werden, und zwar an Familien, deren Jahreseinkommen unter 75 000 Euro liegt. Zusätzlich gilt pro Kind ein Freibetrag von 15 000 Euro.

Der Bund will Städten und Gemeinden helfen, Bauland zu beschaffen und dazu bundeseigene Grundstücke zu günstigen Bedingungen abgeben. Zudem soll die Grundsteuer so modernisiert werden, dass ungenutztes Bauland höher besteuert wird. Damit soll zusätzlich Bauland mobilisiert werden. Vereinbart ist ein Maßnahmenpaket gegen krasse Mietsteigerungen. Die Mietpreisbremse wird verschärft, Vermieter müssen künftig die vorher kassierte Miete offenlegen, um Steigerungen transparent zu machen. Modernisierungskosten dürfen nur noch zu acht Prozent auf die Miete umgelegt werden, bisher waren es elf Prozent.

Digitales, Umwelt, Arbeit und Rente

Digitales

Wie schon vor vier Jahren hat auch eine neue große Koalition die Digitalisierung zur Priorität erklärt; anders als damals soll nun der Übergang vom Kupfer- zum Glasfaserkabel gelingen. Deutschland soll flächendeckend mit schnellem Internet und 5G-Netzen überzogen werden. Die Kosten von zehn bis zwölf Milliarden Euro sollen über die Versteigerung der 5G-Lizenzen bestritten werden. Das Geld kommt in einen Fonds, aus dem alle Kosten gezahlt werden. Von 2025 an soll das Recht auf schnelles Internet gesetzlich verankert sein. Die Koalition strebt an, die Verwaltung komplett zu digitalisieren, so dass Bürger von 2022 an online mit Ämtern kommunizieren können. Bis zum Veranlagungszeitraum 2021 soll es eine vorausgefüllte elektronische Steuererklärung für alle Steuerpflichtigen geben.

Auch Gesundheitsdaten wie Impfausweis, Mutterpass oder Zahnvorsorge sollen digitalisiert werden. Vereinbart ist, bestehende Funklöcher zu schließen. Es soll eine App eingerichtet werden, mit der Bürger Funklöcher markieren können.

Um den Wandel in der Arbeitswelt zu gestalten, soll es staatliche Zuschüsse für digitale Weiterbildungen geben. Die Koalition will einen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten von zu Hause oder unterwegs erarbeiten. Eine zeitlich begrenzte Daten-Ethik-Kommission soll Regeln im Umgang mit künstlicher Intelligenz und Algorithmen entwickeln.

Klima, Umwelt, Energie, Tierschutz

Die große Koalition bekennt sich zum Schutz von Klima und Umwelt; sie betont zugleich, den Industriestandort Deutschland attraktiv zu halten. Energieintensive Firmen stehen weiter unter besonderem Schutz. Obwohl die schädlichen Emissionen steigen und das Klimaziel 2020 verfehlt wird, gibt es kein Datum für den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Es soll durch eine Kommission erarbeitet werden. Ein mit 1,5 Milliarden Euro gefüllter Fonds soll Härten beim Strukturwandel abfedern.

Um das mittelfristige Ziel einzuhalten, bis 2030 den Ausstoß an Kohlendioxid um die Hälfte im Vergleich zu 1990 zu senken, soll der Anteil erneuerbarer Energien im Strommix auf 65 Prozent steigen, wobei wenig neue Flächen beansprucht werden sollen. Für Industrie, Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude wird es gesetzliche Minderungsziele geben.

Die möglichen Koalitionäre wollen Fahrverbote vermeiden und zugleich die Luftreinheit verbessern. Konkrete Pläne dazu gibt es noch nicht. Um die Schadstoffemissionen von Fahrzeugen reduzieren, sollen die Flotten erneuert werden; der Bund will E-Autos fördern, auch die Elektrifizierung und Nachrüstung von Bussen, Taxis und Lieferwagen. Bis 2020 sollen mindestens 100 000 zusätzliche Ladestationen eingerichtet werden. Rad- und Fußwege sowie der öffentliche Nahverkehr sollen ausgebaut werden.

Mittels eines "Schienenpakts" wollen die Unionsparteien und die SPD die Zahl der Bahnkunden bis 2030 deutlich erhöhen und mehr Güter auf die Schiene verlagern.

Um Insekten vor dem Aussterben zu bewahren, ist ein Aktionsprogramm vereinbart. Der Einsatz des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat soll so bald wie möglich beendet werden. Ein konkretes Datum gibt es nicht. Das Töten von "Problem"-Wölfen wird erlaubt.

SPD, CDU und CSU wollen den Tierschutz in der Landwirtschaft verbessern. Es soll ein staatliches Tierwohllabel geben, mit dem Verbraucher Fleisch aus besserer Haltung beim Einkauf erkennen können. Das Töten männlicher Küken soll bis Ende 2019 verboten werden. Der Ökolandbau soll bis 2030 auf 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen ausgeweitet werden.

Arbeit und Rente

Die Koalition wird nicht gegen Exzesse bei Vorstandsgehältern vorgehen. Die gesamten Sozialabgaben sollen bis 2021 unter der 40-Prozent-Marke gehalten werden, der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung wird auf 20 Prozent des Bruttolohnes begrenzt. Die Standardrente soll bis 2025 nicht unter 48 Prozent des Durchschnittseinkommens sinken. Bezieher einer sehr geringen Rente, die 35 Jahre lang Beiträge gezahlt haben, bekommen einen Aufschlag von zehn Prozent. Ältere Mütter bekommen jetzt auch drei volle Erziehungsjahre angerechnet, sofern sie drei Kinder aufgezogen haben.

Wer sich um Kinder gekümmert und deshalb in Teilzeit gearbeitet hat, soll ein Rückkehrrecht in Vollzeit bekommen - allerdings soll dies in Betrieben mit 45 bis 200 Mitarbeitern nur für einen von 15 Beschäftigten gelten.

Selbstständige sollen sich zwingend für das Alter absichern müssen. Sachgrundlos befristete Arbeitsverträge sollen gesetzlich auf eineinhalb Jahre begrenzt werden. Endlose Kettenbefristungen werden dem Koalitionsvertrag zufolge abgeschafft. Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses soll nicht zulässig sein, wenn bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von mindestens fünf Jahren bestanden haben. Bei mehr als 75 Beschäftigten dürfen Arbeitgeber höchstens 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Vier Milliarden Euro sollen in den sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose fließen.

Bildung, Pflege, Gesundheit, Sicherheitspolitik und Europa

Bildung

Weil Länder und Kommunen ihrer Eigenverantwortung bei der Bildung nicht ausreichend nachgekommen sind, schafft die Koalition das Kooperationsverbot ab. Bisher war es dem Bund verboten, bessere Bildung direkt finanziell zu fördern. Künftig darf der Bund von der Kita bis zur Hochschule Maßnahmen für bessere Bildung fördern. Der Bund hat dafür einen zweistelligen Milliardenbetrag eingeplant.

Ab 2025 soll es einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz für Grundschüler geben, das Kindergeld soll um 25 Euro erhöht werden. In die digitale Ausstattung der Schulen und Berufsschulen sollen zusätzlich fünf Milliarden Euro investiert werden. 3,5 Milliarden Euro sind eingeplant, um die Qualität der Betreuung in den Kitas zu verbessern und Eltern bei den Kita-Gebühren zu entlasten. Eine Milliarde Euro soll die BAföG-Leistungen verbessern. 350 Millionen wollen die Koalitionäre in die berufliche Bildung investieren. Außerdem sollen bis 2025 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung gesteckt werden.

Pflege und Gesundheit

Es wird eine Kommission eingerichtet, die eine mögliche Angleichung der Arzt-Honorare für gesetzlich und privat Versicherte prüfen soll. Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden wieder je zur Hälfte die Beiträge zur Krankenversicherung zahlen.

Es sollen 8000 zusätzliche Stellen in der Behandlungspflege eingerichtet werden, Pflegepersonal soll generell besser und nach Tarif bezahlt werden. Das Einkommen von Kindern von Pflegebedürftigen soll erst ab einem Jahresverdienst von 100 000 Euro belastet werden, falls das Sozialamt für die Pflege der Eltern einspringen muss. Menschen, die Angehörige zu Hause versorgen, sollen durch mehr Betreuungseinrichtungen entlastet werden. Außerdem soll es Gutscheine für haushaltsnahe Beschäftigungen wie Haushaltshilfen geben.

Für Krankenhäuser ist vorgesehen, dass es auf allen Stationen Personaluntergrenzen für Pfleger gibt. Ausbildung und Wiedereinstieg in den Pflegeberuf sollen gefördert werden. Die seit Langem geplante elektronische Patientenakte soll für alle Versicherten eingeführt werden.

Außen- und Sicherheitspolitik

Die Wehrausgaben sollen an die Ausgaben in für die Entwicklungshilfe gekoppelt werden. Für jeden zusätzlichen Euro an der einen Stelle würde an der anderen Stelle ein Euro folgen. Das ist ein Ansatz, der der Entwicklungshilfe eine neue Bedeutung beimisst. In beiden Bereichen ist Deutschland angesichts der guten wirtschaftlichen Entwicklung gezwungen, mehr Geld zu investieren, um nicht hinter internationale Absprachen zurückzufallen.

Insgesamt soll Deutschlands Sicherheitspolitik "eigenständiger und handlungsfähiger" werden. In Afghanistan soll die Zahl der Soldaten erhöht werden - derzeit liegt die Mandatsgrenze bei 980 Soldaten. Die Ausbildung von kurdischen Kämpfern im Nordirak soll auslaufen, in Zukunft soll es stärker um die Stabilisierung der Lage gehen.

Bei den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sollen dem Koalitionsvertrag zufolge je 7500 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Darüber hinaus soll die Videoüberwachung ausgeweitet und die Überwachung von Terrorverdächtigen besser koordiniert werden.

Europa

Die möglichen Koalitionspartner stehen den von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron angeregten Euro-Reformen verhandlungsbereit gegenüber, eigene Vorschläge gibt es bislang nicht. Der EU-Haushalt soll gestärkt werden, wie, ist offen. Der Standort Europa soll attraktiver werden, deshalb treten die Koalitionäre dafür ein, die Besteuerung von Firmen in Europa abzustimmen. Protektionismus, Isolationismus und Nationalismus lehnen sie ab. Einigkeit besteht darin, dass es keine schnelle EU-Erweiterung geben soll.

Der Euro-Rettungsschirm ESM soll in einen Europäischen Währungsfonds umgewandelt werden, der im Unionsrecht verankert sein sollte und parlamentarisch kontrolliert wird. Außerdem wollen die Koalitionäre die Zusammenarbeit mit Polen intensivieren - trotz des Streits der EU mit der nationalkonservativen Regierung in Warschau.

(Mit Material weiterer SZ-Autoren)

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: