Grenzkontrollen:Die CSU betreibt Jägerzaun-Politik

Lesezeit: 3 min

Hier beginnt Deutschland: Die CSU verliert den europäischen Horizont aus dem Blick. (Foto: Pawel Sosnows/dpa)

Dass sie dem Bedürfnis vieler Menschen nach Schutz und Abgrenzung nachkommen will, ist nachvollziehbar. Doch ihre Inszenierung einer "gesicherten Grenze" verstellt den Blick auf den europäischen Horizont.

Kommentar von Karin Janker

Das Bedürfnis der Menschen nach Grenzen, Einhegungen, klaren Horizonten lässt sich von der Globalisierung nicht einfach abschaffen. Grenzen schaffen Zugehörigkeit, versprechen Schutz, beruhigen. Und wer sehnte sich nicht nach Ruhe und Beruhigung in dieser aufgepeitschten Welt? Man kann der CSU zugutehalten, dass sie dieses Bedürfnis erkannt hat. Sie arbeitet an mehreren Fronten auf Einhegungen hin: Die wieder eingeführten Kontrollen an der österreichisch-bayerischen Grenze, der Ausbau der Schleierfahndung und auch das Heimatministerium stehen für den Versuch, das Eigene vom Fremden abzugrenzen.

Allein, eine Jägerzaunpolitik, wie sie von der CSU, aber auch in Ungarn, Großbritannien sowie zunehmend in Italien und Dänemark vertreten wird, zieht die Grenzen enger, als dies notwendig wäre. Weil Grenzen wieder komplett zu schließen in einer zusammenwachsenden Welt und zumal in der EU problematisch, ja schier unmöglich ist, werden heute Fluchtrouten geschlossen. Die damit einhergehende Vorstellung einer gesicherten Grenze verspricht eine wunschgemäße Dosierung alles Fremden. Doch diese Hoffnung ist trügerisch und auf Dauer toxisch.

Migration
:74 000 registrierte Flüchtlinge kamen seit Anfang des Jahres nach Deutschland

Ein Großteil von ihnen hat bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt. Die FDP nimmt das zum Anlass, Abkommen der Bundesregierung mit anderen Staaten zu kritisieren.

Man war da in der EU schon weiter: Seit dem ersten Schengener Abkommen von 1985 arbeitete Europa an einem barrierefreien Raum. Gleichzeitig sollten die EU-Außengrenzen schärfer gesichert werden, innerhalb derer dann eine europäische Identität gedeihen sollte. Man könnte dies als den europäischen Traum bezeichnen.

Doch 1985 liegt weit zurück: Seit der Krieg in Syrien, die Konflikte in Afghanistan und die Armut in vielen Teilen der Welt Hunderttausende Menschen nach Europa treiben, erscheinen die Außengrenzen der EU vielen Bürgern als zu durchlässig, zu weich, zu ungesichert. Die in Europa für eine Weile beinahe anachronistisch gewordenen systematischen Kontrollen an Binnengrenzen kehren zurück, während der gemeinsame europäische Horizont aus dem Blick zu rücken droht.

Eine ähnliche Regression offenbaren die Mauern, die Staaten wie Israel, Marokko oder die USA am Rand ihrer Territorien errichten. Mauern, Grenzkontrollen und andere Manifestationen der Nationalstaatlichkeit sollten nicht ausschließlich als Reaktion auf die Ankunft von Flüchtlingen gedeutet werden; sie sind auch Symptome der misslichen Lage, in der sich fast alle Staaten im Zeitalter der Globalisierung befinden. In vielen Bereichen erodiert ihre Souveränität; Waren- und Geldströme sind oft zur Gänze globalisiert, während die innere Sicherheit durch die Angst vor Terrorangriffen untergraben wird. Nationalstaaten erleben, wie ihre Macht prekär wird, ebenso wie die Schutzfunktion, die sie für ihre Bürger leisten können. Grenzschutz wird daher auch zum rituellen Schauspiel, um beruhigende Bilder der Ordnung und Sicherheit zu schaffen.

Die Inszenierung einer engen, nationalen Grenze schafft vor allem Engstirnigkeit

Derzeit wird man am Walserberg, in Suben oder Kiefersfelden Zeuge dieser Form der Symbolpolitik: Wie in den Zeiten vor Schengen warten heute wieder jedes Wochenende lange Kolonnen heimkehrender Urlauber auf Einreise. Während man ein paar Kilometer weiter auf Landstraßen weitgehend ohne Stau und Kontrollen über dieselbe Grenze gelangt. Wieso drei von 90 bayerischen Grenzübergängen derart dicht kontrolliert werden? Nicht nur wegen der Fahndungserfolge, welche die Polizei dort vorweisen kann, sondern auch weil die CSU erkannt hat, dass Grenzen Sicherheit suggerieren - und nun versucht, das Schutzbedürfnis der Bürger durch eine große Inszenierung der "sicheren Grenze" zu befriedigen.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder begründet die Kontrollen damit, dass "der Schutz unserer Bevölkerung oberste Priorität" habe. Dieses Anliegen ist legitim, kann aber durch punktuelle Kontrollen kaum erreicht werden. Der CSU geht es auch um ein öffentlichkeitswirksames Schauspiel, bei dem die langen Staus nicht nur das Publikum stellen, sondern auch Teil der Inszenierung sind.

Gewiss, die Verdeutlichung von Horizonten kann Teil konservativer Politik sein. Der Philosoph Konrad Paul Liessmann mahnt in "Lob der Grenze": Wer als Mensch wissen wolle, wer er sei, müsse wissen, von wem er sich unterscheide. In der digitalisierten Welt mit ihren Firewalls und Passwortsperren als alltäglichen, kaum greifbaren Grenzen steigt dieses Bedürfnis noch. Aber Grenzen müssen nicht eng und national sein; eine Politik mit Weitblick könnte einen breiteren Horizont ins Auge fassen, den europäischen etwa. Derzeit fehlt jemand, der diese Vision glaubwürdig vertritt.

Wer, wie die CSU, die Sicherung der deutschen Grenze propagiert, schafft ein zu kleines "Wir" und ein zu großes "die Anderen" und zieht eine abgeschlossene Identität der offenen Gesellschaft vor, für die der Traum von Europa steht. So fragwürdig diese Inszenierung in ihrem Schutzversprechen ist, so effektiv ist sie beim Schaffen von Fremdenfeindlichkeit und Engstirnigkeit. So verstellt man den Horizont, statt ihn zu finden.

© SZ vom 24.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wahlkampf
:CSU sagt Grünen den Kampf an

Ministerpräsident Söder und Ministerin Aigner präsentieren die Wahlkampagne für Oberbayern. Die einstigen Rivalen sind sich ziemlich einig.

Von Lisa Schnell

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: