Klimaschutz:"Diesen Generationenkonflikt moderieren wir grottenschlecht"

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Vor dem Prozess kündigt Gysi an, bei einem Schuldspruch in Berufung zu gehen - und setzt dies dann auch um. (Foto: Fabian Sommer/DPA)

Der Linken-Politiker und Anwalt Gregor Gysi verteidigt vor Gericht einen 24-jährigen Aktivisten der "Letzten Generation", der sich auf der Berliner Stadtautobahn festgeklebt hat.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Auch wenn dieser Tag für die "Letzte Generation" mit einer Niederlage endete, war der Umweltgruppe doch ein Coup gelungen. Vor dem Strafgericht in Berlins Ortsteil Moabit hat der Bundestagsabgeordnete der Linken und Anwalt Gregor Gysi am Mittwoch einen der Aktivisten verteidigt und angekündigt, mit ihm bei einem Schuldspruch in Berufung zu gehen. "Im Zweifelsfall bis zum Bundesverfassungsgericht", sagte Gysi in einer Verhandlungspause. Der Fall sei ein Beispiel für das "grottenschlechte" Generationenverhältnis in der Gesellschaft. Dies habe ihn bewogen, dieses Mandat zu übernehmen.

Der junge Mann, ein 24-jähriger Maschinenbaustudent aus Hamburg mit abgeschlossener Schreinerausbildung, wird beschuldigt, im Januar, Februar und Juni gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Gruppe verschiedene Ausfahrten der Berliner Stadtautobahn blockiert zu haben. Dass er sich dabei am Asphalt festgeklebt hat, wertet der Staatsanwalt in seinem Eingangsstatement auch als Widerstand gegen die Staatsgewalt. Außerdem habe der Demonstrant Hausfriedensbruch begangen, als er sich an einer Sitzblockade im Vorraum des Bundesjustizministeriums beteiligte.

"Ich wurde immer mehr besorgt um meine Zukunft, um die meiner Geschwister."

Lukas P. räumt in seiner Stellungnahme ein, bei diesen Blockaden mitgemacht zu haben. "Es stimmt, ich habe dort protestiert." P. hat eine längere Erklärung vorbereitet, sie liegt vor ihm auf dem Tisch, er sitzt aufrecht davor. Doch immer wieder bricht seine Stimme, als er versucht, sie vorzutragen. Er spricht von der "unaufschiebbaren Klimakatastrophe", davon, dass er zunächst auf den großen Klimaschutzdemonstrationen mitgelaufen sei, aber dann meinte zu erkennen, dass dies sinnlos sei. "Ich wurde immer mehr besorgt um meine Zukunft, um die meiner Geschwister." Es ist eine sehr typische Karriere für die Aktivisten der "Letzten Generation", die seit einem guten Jahr mit radikaleren Aktionen auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam machen als andere Gruppierungen.

Vertreter der "Letzten Generation" hatten Gysi kürzlich zu einer Diskussion in seinem Bundestagsbüro besucht. Dabei hatten sie vereinbart, dass Gysi einen der Aktivisten vertreten würde. Während der Erklärung seines Mandanten sitzt Gysi fast regungslos neben ihm im holzvertäfelten Saal 101 des Moabiter Gerichts. Einmal reicht er ihm ein Taschentuch, selbst der Richter bietet welche an. Denn anders als anfangs zu vermuten war, ist es offenbar nicht Unsicherheit, die P. immer wieder in seiner etwa 15minütigen Rede stocken lässt.

Der junge Mann scheint sichtlich betroffen zu sein, von dem, was er selbst mit großem Ernst vorträgt. Von der Wasserknappheit, dem Hunger, von den vielen Leben, die verloren sein werden, wenn nicht massiv etwas gegen den Klimawandel unternommen werde. Angebote des Richters, Gysi könne seine Erklärung verlesen, lehnt P. genauso ab, wie eine Unterbrechung der Verhandlung. "Ich störe meine Mitmenschen in ihrem Alltag. Ich entschuldige mich bei diesen Menschen. Aber nicht dafür, dass ich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen protestiert habe", erklärt er zum Abschluss.

"Ich halte den Klimawandel noch bis zu meinem Tod aus - aber er nicht"

Trotz dieser Entschuldigung und des Schuldbekenntnisses von P. verlangt der ebenfalls sehr junge Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer 110 Tagessätze in Höhe von jeweils 15 Euro. Wie groß der Coup der Aktivisten ist, Gysi als Verteidiger gewonnen zu haben, zeigt sich, als der sein Schlussplädoyer vorträgt. Er sei jetzt 74, "ich halte den Klimawandel noch bis zu meinem Tod aus", sagt Gysi und weist auf seinen Mandanten. "Aber er nicht." Die Aktionen der Gruppe zeige: "Diesen Generationenkonflikt moderieren wir grottenschlecht".

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Gysi versucht, das Verfahren auf eine andere Ebene zu bringen. Der Staatsanwalt übersehe, dass der Staat auch für den Schutz der Lebensgrundlagen verantwortlich sei. Dies ist umso deutlicher, seitdem das Bundesverfassungsgericht geurteilt habe, deshalb "Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten". Zudem sei es fragwürdig, Sitzblockaden und selbst das Festkleben als Gewalt zu werten. Denn nur dann seien die Aktionen auch strafbewehrt. "Wir können nicht einfach sagen, Gewalt ist keine Gewalt. Das geht einfach nicht", erklärt Gysi und appelliert an den Richter: "Hohes Gericht, Sie sollten den Mut haben, den Angeklagten freizusprechen."

Der Richter lässt sich von der Rede Gysis jedoch nicht beeindrucken. "Ich teile die Meinung, dass das Verhalten strafbar ist", sagt er und verurteilt P. zu 90 Tagessätzen in Höhe von 15 Euro. Außerdem werde die beschlagnahmte Tube mit dem Sekundenkleber einbehalten. Gysi kündigt an, tatsächlich in Berufung gehen zu wollen.

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Von Yannik Achternbosch, Jan Heidtmann (Text) und Friedrich Bungert (Fotos)

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