Fünf-Prozent-Hürde naht:Die Grünen: Beliebig statt beliebt

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SZ-Grafik; Quelle: Emnid (Foto: SZ-Grafik)

In den Umfragen liegen die Grünen jetzt nur noch bei sechs Prozent - so tief, wie seit 15 Jahren nicht mehr. Würde eine Koalitionsaussage helfen?

Von Robert Roßmann, Berlin

Für die lange erfolgsverwöhnten Grünen wird die politische Lage langsam prekär. Inzwischen nähern sie sich sogar der Fünf-Prozent-Hürde. Am Sonntag präsentierte das Meinungsforschungsinstitut Emnid seine neueste Umfrage. Ihr zufolge liegen die Grünen nur noch bei sechs Prozent - das ist der schlechteste Wert, den das Institut seit 15 Jahren für die Partei gemessen hat. Trotz der aktuellen Debatte über die Aussagekraft von Umfragen ist die Erhebung, die die Bild am Sonntag in Auftrag gegeben hat, für die Grünen beängstigend. Forsa und Insa ermitteln für die Partei ebenfalls nur noch sechs Prozent. Und in Nordrhein-Westfalen, dort wird im Mai ein neuer Landtag gewählt, liegen die Grünen genauso schlecht.

Es ist noch nicht so lange her, dass sich die Grünen der Debatte erwehren mussten, ob sie bereits eine Volkspartei seien. Nach dem Gau von Fukushima im März 2011 kamen sie in den Umfragen auf 25 Prozent, in Baden-Württemberg wurde ein Grüner Ministerpräsident. Und Renate Künast glaubte bereits, Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden zu können. Dass die Partei noch einmal Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde haben müsste, erwartete damals niemand. Um so härter trifft die Grünen der aktuelle Niedergang.

Die Gründe dafür sind naturgemäß vielfältig. Die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, decken nicht die politische Breite der Partei ab. Das Wiedererstarken der Sozialdemokraten sowie die zunehmende Polarisierung zwischen Union und SPD machen kleineren Parteien wie den Grünen zu schaffen. Die klassischen Themen der Grünen haben derzeit keine Konjunktur, oder wurden - zumindest scheinbar - von den anderen Parteien übernommen. Außerdem haben es die Grünen auf Bundesebene verpasst, neue Gesichter zu präsentieren. Robert Habeck, der schleswig-holsteinische Umweltminister, ist bei der Kür der Spitzenkandidaten knapp gegen Özdemir unterlegen. Habecks Grüne liegen kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein bei zwölf Prozent - und stehen damit deutlich besser da als ihre Parteifreunde im Bund oder in Nordrhein-Westfalen.

In elf Bundesländern regieren die Grünen mit - und das in acht verschiedenen Koalitionen

Doch neben all diesen Gründen stellt sich auch die Frage, ob den Grünen ihr Verzicht auf Koalitionsaussagen nicht mehr schadet als nutzt. Die Partei bekräftigt schon seit Langem einen "Kurs der Eigenständigkeit". Abgesehen vom Ausschluss eines Bündnisses mit der AfD, wie ihn alle im Bundestag vertretenen Parteien verkündet haben, können sich die Grünen noch nicht einmal zu einer negativen Koalitionsaussage durchringen. In der Partei ist die "Ausschließeritis" verpönt.

Zwar halten sich auch Union, SPD, FDP und Linke mit Koalitionsaussagen zurück. Aber bei keiner Partei führt der Verzicht zu einer derart großen Beliebigkeit wie bei den Grünen. Wer ihnen seine Stimme gibt, weiß nicht, ob er damit für Angela Merkel oder Martin Schulz im Kanzleramt votiert. Und er hat keine Kontrolle darüber, ob mit seiner Stimme Sahra Wagenknecht, Christian Lindner oder Joachim Herrmann Minister werden. Unter Bürgern gibt es das verbreitete Gefühl, mit der eigenen Wahlentscheidung gar nichts ändern zu können. Am Ende würden die da oben ja doch machen, was sie wollen. Das ist falsch. Im Fall der Grünen ist aber zumindest richtig, dass ihre Wähler nicht einmal Sicherheit über die ungefähre politische Richtung haben können, die sie mit ihrer Stimme befördern. Der grüne Kurs der Eigenständigkeit mag lange erfolgreich gewesen sein, er hat aber zu einer Konturlosigkeit der Partei geführt. Die Grünen sitzen inzwischen in elf Bundesländern in der Regierung - allerdings in acht verschiedenen Koalitionen und mit Ministerpräsidenten aus vier verschiedenen Parteien.

Angesichts dessen sieht sich Özdemir jetzt offenbar genötigt, zumindest inhaltlich Ausschließeritis zu betreiben, um den Grünen wieder mehr Profil zu geben. Mit der Union werde er keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht die "Ehe für alle" und ein modernes Einwanderungsgesetz stünden, verspricht Özdemir. Es werde auch keinen Vertrag geben, in dem eine Obergrenze für Flüchtlinge verankert sei. Für ein Bündnis mit der SPD würden die Grünen nicht zu haben sein, wenn die SPD den Kohleausstieg verweigere. Und mit den Linken wären Gespräche schnell vorbei, wenn diese "die europäische Ausrichtung oder wirtschaftliche Vernunft infrage stellen" würden.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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