Fridays for Future:Mehr Realismus für den Aktivismus

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Super-Demos und öffenliche Aufmerksamkeit sind noch keine Politik. (Foto: dpa)

Im Sommer 2020 soll ein Klimaschützer-Massenevent im Berliner Olympiastadion stattfinden. Das ist kommerziell und sinnlos. Es ist Zeit für die Bewegung, Politik ernst zu nehmen.

Kolumne von Jagoda Marinić

Fridays for Future ruft an diesem Freitag wieder zum globalen Klimastreik auf. Die Utopie ist, jedes Mal mehr Menschen auf die Straßen zu bewegen. Angesichts der Dringlichkeit wünscht man der Bewegung Erfolg, doch fragt man sich gleichzeitig: Und was dann? Die nächste historisch dimensionierte Demonstration? Das nächste Tätscheln und Loben seitens der Politik? Derzeit entsteht fast der absurde Eindruck, die klimatischen Bedrohungen seien nur das Problem jener, die darauf hinweisen.

Über die Kraft dieser jungen Generation, die sich politisiert hat, ist schon viel Gutes gesagt worden. Doch in Deutschland sind die prominentesten Gesichter oft weit über zwanzig. Sie sind eben nicht mehr Kinder, die schon mit einem "How dare you?" einen Effekt erzielen können. Sie sind meist erwachsene Studierende, meist bürgerlicher Herkunft und meist wenig divers. Es ist nichts Verwerfliches, die eigenen Privilegien zu nutzen, um sich des Klimawandels anzunehmen. Doch wer so einer Bewegung vorsteht, sollte daran denken, wie er möglichst viele Betroffene mitnimmt. Auch jene, die vielleicht das Problem noch nicht verstanden haben.

Stattdessen erwächst aus dem Mangel an innerer Diversität allmählich ein handfestes Problem. Für den Juni 2020 ist ein Mega-Event in Planung. 90 000 Menschen sollen für 29,95 Euro mittels Crowdfunding ein Super-Event der Weltrettung finanzieren. Dort werden "wichtige" Themen behandelt und "wichtige" Leute reden. Gleichdenkende sollen gemeinsam per Handy Petitionen unterschreiben, weil, hey, die Welt retten kann so einfach sein, wenn der Einzelne an sich glaubt. Als lebten wir in einer Petitionsdemokratie, und Unterschreiben wäre eine Leistung.

Die Naivität, mit der die Idee für ein Klima-Mega-Event in die Öffentlichkeit geworfen wurde, ist der erste große Fehler, den die Bewegung sich erlaubt. Von Beginn an herrschte Unklarheit, zumal über die fundamentale Frage: Wie passt eine ökonomische Zugangsbeschränkung zu einer demokratischen Bewegung wie Fridays for Future? Warum arbeiten sie hier mit einem Start-up zusammen, einem Kondomhersteller, und nicht mit zahlreichen anderen Organisationen, die sich bei diesem Thema Verdienste erarbeitet haben? Und warum, unter allen möglichen Orten, wählt man das Olympiastadion für eine Bewegung, die Rechte ohnehin gerne mit "Klimanazis" diskreditieren?

Wer für das Event verantwortlich ist, bleibt undurchsichtig. Wer davon profitiert, auch. Ist es die Öffentlichkeit - oder vor allem das Image der Sponsoren? In dem Promovideo redet die Prominente Charlotte Roche neben Luisa Neubauer und den beiden Herren, die das Start-up gegründet haben. Werbung für ein Start-up im Rahmen der Klimabewegung? Kein Problem, sind ja nur Social Entrepreneurs, sie wollen sicher nur Gutes.

Utopischer Aktivismus vergisst, dass demokratische Politik für Menschen ist. Man muss in den Schlamm der Realität steigen

Auch die Berliner Ortsgruppe von Fridays for Future, zu der Luisa Neubauer gehört, hat sich inzwischen von dem Event distanziert. Zu Recht, denn bislang ist nicht einmal in den USA, dem Mutterland des Kapitalismus, jemandem eingefallen, für eine Bürgerversammlung Eintritt zu erheben.

Die jungen Erwachsenen müssen sich nach dieser Idee mit dem Olympiastadion in Berlin die Frage gefallen lassen, warum sie nicht bereit sind, in den politischen Machtkampf zu gehen, wenn sie merken, dass die Superlativ-Demonstrationen der Politik nicht Motivation genug sind für den Wandel. Ja, sie kritisieren etablierte Parteistrukturen als Teil des Problems, aber man stelle sich vor, sie würden diese Energie in das demokratische System tragen statt in ein Stadion?

Ausgerechnet Barack Obama warnt derzeit vor dieser übertriebenen Form des utopischen Aktivismus, weil der zu viele Menschen in einer Demokratie nicht mitnehme. "Ich stehe tief im Schlamm", sagte er auf einer Konferenz, als man ihn zu großen Utopien und alternativen Gesellschaftsentwürfen fragte. Was der für seine großen Reden bekannte Ex-Präsident damit meinte? Dass die Realität all jener, die auch zur Demokratie gehören, aber nicht Teil des progressiven Wandels sind, genauso wichtig ist wie jede Idee.

In dieser Form des utopischen Aktivismus verlieren sich nun jene, die für einen "Petitionstag" als Bezahl-Happening im Berliner Olympiastadion werben. Sie schaden der Bewegung als Ganzes. Sie scheitern an der Herausforderung, gerade jene für den Kampf ums Klima zu begeistern, die noch nicht im Boot sind. Orte für Gleichdenkende und Gleichgesinnte sind keine Bürgerversammlungen, sondern Interessenvertretungen. Auch auf die Kritik am nazibesetzten Ort wird mit einem relativierenden "Hey, ist doch toll, wenn es jetzt positive Bilder von hier gibt" reagiert. Die Bewegung, die so gekonnt und pointiert zu kritisieren weiß, reagiert selbst auf Kritik wie ein Teenie im Autoscooter, der lustvoll gegen die Wand fährt.

Fridays for Future sollte sich gemeinsam von diesem Event distanzieren. Manche verwenden inzwischen sogar den US-amerikanischen Begriff "Town Hall". Für Town Halls müssen Interessierte sich registrieren und nicht Eintrittskarten kaufen. Das Wording rund um das Mega-Event ist eine einzige Schau des weichgespülten Event- und Selbstverwirklichungssprechs unserer Zeit: "Ziel ist es, allen Teilnehmern das Gefühl zu geben, dass sie auch als Einzelperson Veränderungen bewirken können."

Letztlich stehen Form und Botschaft in einem unvereinbaren Widerspruch: Sicher kann eine herausragende Einzelperson oder ein Einzelner unter privilegierten Bedingungen Herausragendes leisten. Doch dieses Bündnis will ja nicht grundlos 90 000 Menschen an einem Ort zusammenbringen. Weil Demokratie in Gemeinschaft stattfindet. Nicht die Gemeinschaft der Gleichen, sondern die Gemeinschaft der Verschiedenen. Diese herzustellen, und selten habe ich mich so alt gefühlt wie bei diesem Satz, ist eben ein alltäglicher Prozess, ein zähes Ringen um Kompromiss. Es ist vor allem aber die Kunst, inklusiv statt exklusiv zu denken und zu handeln.

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© SZ vom 29.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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