Völkermord in Ruanda:Frankreich habe der Wille gefehlt

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Präsident Paul Kagame entzündet die Gedenkflamme in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda. (Foto: Luke Dray/Getty)

Präsident Macron räumt zum 30. Jahrestag des Völkermords in Ruanda ein: Das Massentöten hätte verhindert werden können. Zum Gedenken in Kigali schafft er es aber nicht.

Von Oliver Meiler, Paris

Dreißig Jahre lang hat Frankreich verdrängt und kleingeredet. Nun steht es auch offiziell zur finsteren Rolle, die es vor und während des Genozids in Ruanda spielte - und reicht dafür ein historisches, längst fälliges Eingeständnis nach, politisch bedeutsam und schwer.

Zum 30. Jahrestag des großen Massentötens hat der französische Präsident Emmanuel Macron eingeräumt, dass Frankreich sowie seine westlichen und afrikanischen Alliierten damals, in den Wochen nach dem 7. April 1994, den Genozid an der Minderheit der Tutsi durch die regierende Mehrheit der Hutu hätten stoppen können. Mehr als 800 000 Menschen wurden getötet. Macron sagt, Frankreich habe den Willen dazu nicht gehabt.

Das offizielle Frankreich hat sich lange weggeduckt

Gemeint ist natürlich nicht Frankreich insgesamt, sondern seine Staatsspitze aus jener Zeit, die Eingeweihten im Élysée und im Quai d'Orsay, wie das Außenministerium genannt wird, weil es an der gleichnamigen Uferstraße der Seine untergebracht ist. Die oftmals zynische französische Afrikapolitik war immer schon in der Abgeschiedenheit von Hinterzimmern gemacht worden. An der Macht war damals der Sozialist François Mitterrand, und der hatte klare Präferenzen in Kigali. Von allen westlichen Mächten stand in den Jahren vor dem Genozid keine dem herrschenden Regime der Hutu näher als Frankreich. Paris schickte Rüstung und Geld und unterstützte damit jene Elite und Milizen, die später zum Völkermord an den Tutsi aufrufen sollten.

Das offizielle Frankreich hat darüber lange geschwiegen und sich weggeduckt. Erst Nicolas Sarkozy, Präsident von 2007 bis 2012, räumte ein, dass Frankreich "schwere Fehler bei der Einschätzung der Situation" gemacht habe, hüllte diese Fehler aber in eine Art "Verblendung": Man sei blind gewesen.

Macron, der sich seit seiner Wahl 2017 um eine Aufarbeitung der Kolonialzeit verdient macht und sich dabei auch gegen die immerzu beschönigende extreme Rechte stellt, ging schon 2021 etwas weiter. Bei einer Rede in Kigali sprach er von "einer niederschmetternden Verantwortlichkeit im Getriebe, das zum Schlimmsten führte". Nun also sagt er, Frankreich habe den Genozid nicht stoppen wollen. Das ist eine ganze Drehung mehr, als es eine von ihm eingesetzte Historikerkommission nach Prüfung der Akten im sogenannten "Rapport Duclert" angemahnt hatte.

Für Macron ist Ruanda ein wichtiger Partner

"Manchmal sind Jahrzehnte und neue Generationen nötig, bis sich ein Land den dunklen Epochen seiner Geschichte stellt", kommentiert die Zeitung Le Monde und lobt Macron dafür, dass er die "nationale Weigerung" in diesem Fall endlich aufgebrochen habe. Die linke Libération schreibt, Macron rette damit Frankreichs Ehre. Auch Opfervereinigungen begrüßen die Formel des Präsidenten. Manche aber fordern weiterhin, dass Paris dazu stehe, Komplize der Massenmörder gewesen zu sein, eine Mitschuld trage.

Für Macron ist das kleine, wirtschaftlich erfolgreiche Ruanda ein wichtiger Partner, gerade jetzt, da sich im Westen Afrikas und in der Sahelzone, dem früheren Hintergarten Frankreichs, ein massiver antifranzösischer Reflex breitgemacht hat und befreundete Regime reihenweise gestürzt wurden. Die Wiederaufnahme der Beziehungen mit Kigali gilt als ein diplomatischer Coup Macrons; Paris schaut dafür auch über die autoritäre Natur von Paul Kagames Regierung hinweg.

Kagame hat Macron nun zur Gedenkveranstaltung ins Kigali Genocide Memorial eingeladen, wo die Gedenkflamme neu entzündet wurde. Doch Macron hatte einen Termin in Hochsavoyen - ebenfalls eine Gedenkveranstaltung, für Widerstandskämpfer des Zweiten Weltkriegs. Er schickte seinen Außenminister Stéphane Séjourné und den Staatssekretär für das Meer, Hervé Berville, der selbst in Ruanda geboren ist. Doch Macrons Abwesenheit war dann doch ein Politikum. Hätte er nicht hinfahren sollen, wenn er schon eine so historische Botschaft zu verkünden hatte?

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