Frankreich:Der junge Premier klingt wie ein alter, stolzer Patriot

Lesezeit: 2 min

"Wir handeln schnell und stark", sagte Premierminister Gabriel Attal in seiner Regierungserklärung. Neue Versprechen aber machte er nicht. (Foto: Michel Euler/AP)

Gabriel Attal will mit seiner Regierungserklärung die protestierenden Bauern beschwichtigen. Er trägt die Farben der Nation und gibt sich ultraliberal. Reicht das den Demonstranten?

Von Oliver Meiler, Paris

Gabriel Attal, Frankreichs jüngster Premier aller Zeiten, 34, hat sich seinen Einstand wohl gemächlicher vorgestellt, als stufenweises Herantasten an das Amt. Doch das war ihm nicht gegönnt. Der Auftakt ist zur Feuertaufe geworden, mit flammenden Protesten der Bauern im ganzen Land, die viel zu viel von ihm fordern und die er nun doch nicht enttäuschen durfte in seiner Regierungserklärung in der Nationalversammlung. Er nannte darin die Landwirtschaft "unseren Stolz", "Fundament unserer Nation", und versprach: "Es wird einen Sonderweg geben für die französische Landwirtschaft."

Die Bauern könnten sich darauf verlassen, dass seine Regierung sie schützen werde - gegen unfaire Konkurrenz aus dem Ausland, gegen die Folgen des Klimawandels, gegen Seuchen, gegen hohe Dieselpreise. Und gegen die Großindustrie und Supermarktketten, die sie klein hielten mit ihrer Preispolitik. Die Firmen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, sagte Attal, und das Geld aus den Strafen werde er in die Landwirtschaft investieren. "Wir handeln schnell und stark", sagte er, aber manche Dinge ließen sich nicht über Nacht bewerkstelligen.

"Frankreich ist eine Nation wie keine andere"

Ob das den Bauern genügt? Eher nicht, die ersten Reaktionen waren skeptisch. Neue Versprechen hatte er ja auch nicht gemacht.

Attal trug eine blaurote Krawatte über seinem weißen Hemd, die Farben der Nation, die er mit einer langen Serie von denkwürdig inbrünstigen Elogen bedachte - gerade für einen so jungen, scheinbar modernen Mann wie ihn. "Frankreich ist eine Nation wie keine andere", sagte er. "Frankreich reimt sich auf Macht." ("La France rime avec la puissance.") Frankreich lasse sich nie unterkriegen - weder gestern noch heute, noch morgen. "Ich sträube mich dagegen, dass unsere Identität sich verwässert oder auflöst." Der ehemalige Sozialist hörte sich wie ein alter, stolzer Patriot an - und so war das wohl auch gedacht.

Besonders auffällig war, wie er sich zum Fürsprecher für die Mittelschicht im Land stilisierte, die stille Mehrheit, die früh aufstehe, arbeite, die Steuern bezahle und das Gefühl habe, dass sie benachteiligt werde. Es könne ja auch nicht sein, dass man es in Frankreich in vielen Fällen mit dem staatlich garantierten Mindestlohn, dem sogenannten Smic, fast auf gleich viel bringe, wie wenn man sein Leben ohne Hilfe verdiene. "Ich werde das Land ent-smicarisieren", sagte Attal. Er verhieß auch, dass er Frankreich "entbürokratisieren" werde. In der Summe kam ein sehr wirtschaftsliberales, konservatives Credo hervor.

Macron stiehlt seinem Premier doch noch ein bisschen die Show

Doch bei aller Eloquenz und trotz inflationär eingesetztem "je", "ich": Die Gestaltungsfreiheit französischer Premierminister ist nicht sehr groß, sie sind Untergeordnete des Präsidenten der Republik, Ausführer der Befehle aus dem Élysée-Palast. Emmanuel Macron hielt sich in den vergangenen Tagen stark zurück mit Kommentaren zur nationalen Tagespolitik, er war auch viel unterwegs, in Indien und Schweden.

Doch kurz vor Attals Regierungserklärung war der Präsident dann doch wieder da, erklärte in einer Pressekonferenz in Stockholm mal eben die großen Linien für die Landwirtschaft und wandte sich dabei gegen einige Aspekte der europäischen Handelspolitik. Man könne nicht von den eigenen Bauern den Respekt neuer Normen einfordern, während man sie bei Freihandelsabkommen wie jenem mit den südamerikanischen Staaten des Mercosur nicht durchsetze. So werde Frankreich das Abkommen nicht unterzeichnen, sagte Macron - und stahl so seinem Premier ein bisschen die Show.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Nur ein paar Minuten später schritt Gabriel Attal ans Rednerpult für das, was die Franzosen "Le grand oral" nennen, die große mündliche Prüfung. Mehr als eine Stunde redete er in konstant hohem Tempo, fast ohne Versprecher. Die Opposition versuchte, ihn mit Geheul zu übertönen, doch er hielt tapfer lächelnd dagegen. Im persönlichsten Moment der Rede sagte Attal, Frankreich sei zu vielem fähig, das zeige auch sein eigenes Beispiel: "Vor zehn Jahren zerriss sich dieses Land noch über die Ehe für alle, heute kann jemand Premierminister sein, der offen dazu steht, dass er homosexuell ist."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFrankreich
:Die Bauern belagern Paris

Trotz Zugeständnissen der Regierung tragen aufgebrachte Landwirte ihren Protest in die französische Hauptstadt. Kippt bald die Stimmung? Wie der neue Premier Gabriel Attal eine Eskalation verhindern will.

Von Oliver Meiler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: