Frankreich:Der Engel muss weg

Lesezeit: 2 min

Weil Frankreich die Trennung zwischen Kirche und Staat ernst nimmt, wird ein Heiliger von öffentlichem Grund geschoben - dreizehn Meter weiter.

Von Oliver Meiler, Paris

Im schönen Les Sables-d'Olonne an der französischen Atlantikküste streiten sie gerade sehr grundsätzlich und gleichzeitig sehr praktisch über eine mittelgroße schwarze Statue des heiligen Erzengels Michael auf einem Marmorsockel - von Saint-Michel also. Und wer nun denkt, na gut, eine Lokalnachricht, sollte sich die Geschichte anhören.

Les Sables-d'Olonne, 45 000 Einwohner, tolle Strände, schafft es normalerweise nur einmal alle vier Jahre in die Schlagzeilen, im November jeweils, wenn da die Einhandsegler der Vendée Globe aufbrechen für ihre Regatta um die Welt: jeder auf sich gestellt, den Meeren und Stürmen ausgeliefert, höchstens mit Engelsschutz. Wer den Turn überlebt, ist ein Held. In Frankreich, muss man dazu wissen, haben große Segler das Ansehen von Fußballstars.

Aber nun zum Erzengel. Als die Gemeindeverwaltung vor fünf Jahren die alte Statue des Saint-Michel, die bis dahin im Innenhof einer Privatschule des Ortes gestanden hatte, auf dem Platz Saint-Michel vor der Kirche Saint-Michel aufstellte, schien das thematisch alles gut zueinander zu passen. Dann aber meldeten sich die Freidenker vom Verein "La libre pensée" und wiesen alle daraufhin, dass sich die Stadt da eine Verletzung eines besonders hehren Prinzips der Republik geleistet habe, des Laizismus.

Newsletter abonnieren
:SZ Literatur

Interessante Bücher, dazu Interviews und ausgewählte Debatten-Beiträge aus dem Feuilleton - jeden zweiten Mittwoch in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Der Engel stand nun auf öffentlichem Boden, obschon doch Staat und Kirche in Frankreich seit 1905 per Gesetz getrennt sind. Die Statue müsse wieder weg, forderte der Verein. So begann der Streit, und er wurde mit der Zeit sehr laut. Yannick Moreau, der rechte Bürgermeister von Les Sables-d'Olonne, nennt die Freidenker, seine Gegner, seither gern "Ajatollahs der Laizität". Die meisten Sablaises und Sablais sehen es wie er. In einer Umfrage sagten 94 Prozent der Einwohner, die daran teilnahmen, sie wollten, dass die Statue da bleibe, wo sie stehe. Für Frankreichs extreme Rechte wurde der Kulturkampf in der Provinz zum exemplarischen Fall dafür, was drohe, wenn die Cancel Culture die alten Referenzen des Vaterlandes umtost - selbst die Engel. Éric Zemmour etwa, ein rechtsidentitärer Bewerber um die französische Präsidentschaft 2022, hielt es deshalb für einträglich, Wahlkampf in Les Sables-d'Olonne zu machen.

Doch die Gerichte gaben den Freidenkern recht, und zwar alle drei angerufenen Instanzen, zuletzt auch der Conseil d'État, Frankreichs oberstes Verwaltungsgericht. Die Statue muss weg.

Und sie kommt weg, bald schon, aber nicht weit. Die Stadt hat der Pfarrei am Platz ein Stück Land verkauft, 53 Quadratmeter - zum Freundschaftspreis: 3000 Euro. Auf diesem Flecken soll nun eine neue Rampe entstehen für Kirchgänger mit eingeschränkter Mobilität. Daneben bleibt genug Platz für die Statue.

Es sieht so aus, als hätten alle gewonnen. Die Freidenker haben das laizistische Prinzip zum Triumph geführt, wider alle Anfeindung. Die Engdenker feiern, weil der Kniff mit dem Landverkauf den Sieg der Gegner gleich wieder wegwischt. Der heilige Michael wird um genau 13 Meter verschoben, einen Stupser nur entfernt vom bisherigen Standort. Er behält seine Prominenz auf dem Platz, seine ganze Aura. Und so verkommt diese politisch symbolträchtige Geschichte aus Les Sables-d'Olonne am Ende doch ein bisschen zur komödiantischen Lokalposse.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFrankreich
:Eine Nacht mit Macron

Die Franzosen lieben ihn nicht mehr, regieren muss er ohne absolute Mehrheit - was hilft da noch? Frankreichs Präsident demonstriert Offenheit und lädt alle elf Parteien zum Marathon-Gesprächstermin.

Von Oliver Meiler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: