Tag der Deutschen Einheit:"Viele Ostdeutsche haben das Gefühl, dass sie nicht gehört und nicht gesehen werden"

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"Aufrufe zu Hass und Gewalt überschreiten die Grenze dessen, was gerechtfertigt ist", sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. (Foto: Christoph Reichwein/dpa)

Zwischen Ost und West bestünde noch ein deutliches Ungleichgewicht, sagt der Bundespräsident in einem Interview. Die Aufnahme von Flüchtlingen will Steinmeier begrenzen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat 33 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung eine kritische Bilanz gezogen. "Es geht nicht nur um das Materielle, es geht um das Gefühl, gleichwertig zu sein. Und da gibt es Unwuchten", sagte er am Montagabend in den ARD-Tagesthemen. " Wenn wir die Anzahl von Ostdeutschen etwa in Führungspositionen betrachten, so ist das vielleicht in der Politik einigermaßen gelungen, überhaupt nicht in Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und auch der Medien", sagte er.

"Viele Ostdeutsche haben das Gefühl, dass sie nicht gehört und nicht gesehen werden, dass ihre Geschichten nicht Teil einer gemeinsamen deutschen Geschichte geworden sind und dass es im Westen auch nicht wirklich Interesse an ihren Biografien gegeben hat", sagte Steinmeier.

Viele dieser Menschen sagten, ihnen sei signalisiert worden, eben "ein falsches Leben" gelebt zu haben. "Ich glaube, darüber müssen wir noch einmal selbstkritisch mit uns allen - auch die Westdeutschen - ins Gericht gehen. Und in der Tat, die ostdeutschen Geschichten müssen mehr Teil unserer gemeinsamen Geschichte werden." Steinmeier sagte, man habe viel geschafft. "Wir sollten das nicht kleinreden." Er ergänzte: "Wir haben viel mehr geschafft, als wir glauben, aber nicht so viel, wie wir eigentlich könnten."

Begrenzung kann laut Steinmeier nur mit Außengrenzkontrollen funktionieren

Steinmeier hat sich zudem für eine Begrenzung der Flüchtlingsaufnahme in Deutschland ausgesprochen. "Wir brauchen eine Begrenzung der Zugänge, das ist keine Frage." Doch diese Begrenzung sei am Ende nur zu erreichen, wenn Deutschland mit den anderen europäischen Mitgliedsstaaten Außengrenzkontrollen mache. Zudem müsse man es hinbekommen, dass die Prüfverfahren derer, die keine oder kaum eine Chance auf Asyl hätten, an den Außengrenzen abgewickelt und die Menschen dann auch von dort aus abgeschoben würden. "Wenn wir diese Regelung hinkriegen, und auf dem Weg sind wir ja Gott sei Dank inzwischen, dann werden sich auch die Ankunftszahlen in Deutschland verringern", sagte Steinmeier.

In der Debatte solle man auf Formulierungen verzichten, die suggerierten, als gäbe es den einen Hebel. Er plädiere dafür, dass Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam handeln, sagte Steinmeier. Derzeit sei die Politik noch im Wahlkampfmodus wegen der Landtagswahlen in Hessen und Bayern. "Ich hoffe sehr, wenn das hinter uns liegt, dass dann wieder ein Klima entsteht, in dem die demokratischen Parteien untereinander zu Verständigungen kommen." Sei das nicht der Fall und bleibe es ein ewiges Streitthema, profitierten andere davon.

Er habe Verständnis dafür, dass man in einer Demokratie seine Unzufriedenheit zum Ausdruck bringe, antwortete Steinmeier auf eine Frage zu den hohen Umfragewerten für die AfD. "Ich habe (...) kein Verständnis dafür, dass man seine demokratische Stimme gebraucht, um Vorstellungen oder Bewegungen zu unterstützen, die auf der Grundlage der Verachtung der Demokratie bestehen. Und deshalb plädiere ich sehr dafür, mit der eigenen Stimme verantwortungsvoll umzugehen."

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