Hochwasserkatastrophe:"Kollektives Systemversagen"

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Ein von der Flut zerstörtes Haus in dem Ort Insul am Ufer der Ahr. (Foto: Boris Roessler/DPA)

Ein halbes Jahr nach der Flutkatastrophe an der Ahr kommt in Mainz der Untersuchungsausschuss zusammen und hört Sachverständige an: War der extreme Regen absehbar?

Von Gianna Niewel, Mainz

Mal zeigen die Karten den Westen Deutschlands, mal den Norden von Rheinland-Pfalz, mal den Verlauf des Flusses Ahr. Sie zeigen Wettermodelle, also wie viel Regen wo erwartet wurde. Rot und Violett heißen: viel Regen.

An diesem Freitag traf sich der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe zu seiner zweiten öffentlichen Sitzung im Mainzer Landtag. Expertinnen und Experten für Meteorologie, Hydrologie, Geomorphologie sagten aus, ihre Aussagen sollen helfen, Fragen zu beantworten: Wann und in welchem Ausmaß war die Flutkatastrophe vorhersehbar? Hätten die Behörden früher warnen können? Allein an der Ahr starben im vergangenen Juli 134 Menschen, 766 wurden verletzt, Tausende traumatisiert. Und so schauten die Abgeordneten vor allem auf rosa und violett eingefärbte Gebiete.

Die ersten Wettermodelle brachte der Diplom-Meteorologe Bernhard Mühr mit, sie zeigen die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes. Demnach zeichnete sich bereits am 11. Juli 2021 ein "extremes Starkregenereignis" über dem Westen und Südwesten Deutschlands ab. In den nächsten Tagen habe sich dieses Gebiet stark eingrenzen lassen, immer weiter, bis zum 14. Juli. Am Vormittag sei klar gewesen dass der Starkregen über der Ahr und ihren Nebenflüssen herunterkommen würde. Spätestens um 16 Uhr sei dann "unzweifelhaft" klar gewesen, dass es dort zu einem extremen Hochwasser kommen würde, einem, wie es seltener als alle hundert Jahre vorkommt.

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Schon am Tag zuvor hätte man warnen können

Der Deutsche Wetterdienst, sagt Bernhard Mühr, habe "frühzeitig und sachlich richtig" gewarnt. Schon einen Tag vor der Katastrophe habe er die höchste mögliche Warnstufe 4 herausgegeben, da hätten Menschen angewiesen werden können, die Campingplätze am Fluss zu räumen, ihre Autos vom Ufer wegzufahren.

Aber wieso ist das nicht passiert? Bernhard Mühr sagt, er verstehe das nicht. Vielleicht seien Brisanz und Handlungsdruck der Warnungen nicht für alle zu erkennen gewesen, in Deutschland werde zu viel gewarnt, vor Frost, vor Nebel, da könnten die wirklich wichtigen Warnungen untergehen. Allerdings nicht bei den Behörden und Kreisen. Dort hätte der Handlungsdruck klar werden müssen.

Am späten Vormittag sitzt dann Jörg Dietrich vor den Abgeordneten im Mainzer Landtag. Er arbeitet am Institut für Hydrologie und Wasserwirtschaft der Leibniz-Universität Hannover und spricht vor allem über den Katastrophentag.

Am 14. Juli 2021 schreibt das Land in einem Lagebericht, es sei mit einem deutlichen Hochwasser an der Ahr zu rechnen. Eine "zögerliche" Warnung. Am Nachmittag wurden dann Höchststände an den Pegeln gemessen, um 15 Uhr in Müsch, um 18.15 Uhr in Altenahr, so ging es immer weiter die Ahr entlang. Während die Messungen laut Dietrich "ein Worst-Case-Szenario" bestätigten, blieben die entsprechenden Reaktionen aus. Erst um 23.09 Uhr rief der Landrat des Kreises Ahrweiler den Katastrophenfall aus und ließ die Häuser 50 Meter rechts und links der Ahr evakuieren. Wie er sich das erklärt? Möglicherweise, sagt Dietrich, hätten die Behörden Probleme gehabt, die verschiedenen Warnungen aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen.

Die Hydrologin Cloke findet deutliche Worte

Am frühen Abend wird dann Hannah Cloke zugeschaltet, die auch schon vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen ausgesagt hatte. Sie ist Professorin für Hydrologie an der Universität Reading in Großbritannien und hat vor Jahren mitgeholfen, das europäische Flut-Frühwarnsystem Efas mitaufzubauen. Auch das hatte vor dem Hochwasser an der Ahr gewarnt.

Hannah Cloke findet die deutlichsten Worte für die Katastrophe, spricht von einem "kollektiven Systemversagen". Einzelne Teile des Systems hätten vielleicht funktioniert, aber entweder seien die Warnungen nicht richtig ausgesprochen worden oder die Menschen hätten nicht gewusst, ob und wie sie darauf richtig reagieren sollten.

Aber Cloke sagt auch: Der erste Schritt, um ein Problem zu lösen, sei, es zu erkennen. Und eben dafür ist dieser Untersuchungsausschuss da.

Am Freitag, 28. Januar, trifft er sich wieder.

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