Flutkatastrophe in Pakistan:"Niemand kümmert sich um uns"

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In Pakistan steigen vielerorts die Pegel, genau wie die Seuchengefahr. Die Menschen haben das Vertrauen in ihre Regierung verloren. Ob die Hilfe aus dem Westen oder von Islamisten kommt, ist ihnen egal.

Tobias Matern, Multan

Überall am Straßenrand verkaufen Händler die Nationalflagge, neben den Ständen mit den Mangos und in den winzigen Kiosks, die mit Waschpulver bis hin zu Getränken bestückt sind. In allen Größen gibt es die grün-weiße Flagge, wahlweise mit oder ohne Konterfei des Staatsgründers. An diesem Samstag begeht Pakistan den 63. Jahrestag seiner Gründung, aber zum Feiern ist niemandem zumute. Die Fahnen verkaufen sich dieser Tage anscheinend überaus schlecht. Die größte Naturkatastrophe seit 80 Jahren hat Pakistan in weiten Teilen des Landes heimgesucht.

14 Millionen Menschen in Pakistan leiden, wie dieser Junge im Zentrum des Landes, unter den Folgen der Flut. (Foto: AFP)

Die Flut, die vor zwei Wochen begann und noch immer nicht ausgestanden ist, spülte Hunderttausende Häuser weg, bislang sind 1600 Menschen gestorben. Etwa 14 Millionen Menschen in dem Entwicklungsland leiden nach Angaben der Vereinten Nationen unter den Schäden, die der heftige Monsunregen angerichtet hat. Es trifft vor allem die Ärmsten der Armen, die Tagelöhner, Bauern, Landarbeiter. Und das Schlimmste ist noch nicht überstanden.

Besonders intensiv ist nicht mehr ausschließlich der Nordwesten des Landes betroffen, sondern inzwischen auch Punjab, die bevölkerungsreichste Provinz Pakistans. So teilte der Katastrophenschutz am Freitag mit, dass dort und in der südlichen Provinz Sindh neue heftige Regenfälle steigende Pegel des Indus und damit neue Zerstörung bringen könnten.

"Die Lage ist alarmierend", sagte ein Sprecher des UN-Welternährungsprogramms. Damit meinte er auch die Gefahr von Seuchen, die drastisch gestiegen ist. Bereits 36.000 Verdachtsfälle einer schweren, zum Teil tödlich verlaufenden Form von Durchfall seien bereits gemeldet, sagte ein UN-Sprecher am Freitag. Die medizinische Hilfe werde zudem erschwert, da etwa 100 Gesundheitseinrichtungen im Land durch die Fluten zerstört worden seien.

Viele Farmer haben alles verloren

Das Schlimmste für die meisten Menschen ist aber ihr Gefühl, dass ihnen niemand hilft. "Seit zehn Tagen sind wir nun hier", sagt ein Mann unweit der Drei-Millionen-Einwohner-Stadt Multan in der Provinz Punjab, der es von seinem Dorf aus noch in Sicherheit geschafft hat, bevor die Wassermassen ihm und seiner Familie sämtliche Besitztümer genommen haben.

Wie so viele hat der Farmer alles verloren: Haus, Hof und das wenige Vieh, das ihm ein Auskommen bescherte, welches knapp zum Leben reichte. Der Bauer ohne Land weiß nicht einmal mehr, wo sein früherer Besitz stand. Überall ist Wasser, nur Wasser. "Niemand kümmert sich um uns. Wir haben noch keinen Regierungsvertreter hier gesehen", sagt er. Viele Flutgeschädigte haben das Gefühl, mit ihrer Misere alleingelassen zu werden.

Es mangelt an allem: Betten, Nahrung, Medizin, auch Zelte fehlen noch immer. Bei Temperaturen von mehr als 40 Grad übernachten die meisten Flutopfer unter offenem Himmel. Eine Familie des unweit über die Ufer getretenen Chenab berichtet davon, sie leihe sich für umgerechnet 50 Cent am Tag eine Liege und eine Zeltplane. Bei einem Tagesverdienst von zwei Euro ist das ein Vermögen - vor allem, weil viele seit Beginn des Hochwassers keine Arbeit mehr haben.

"Mir ist egal, von wem ich etwas erhalte"

Es wäre wohl kaum eine Regierung der Welt in der Lage, eine Katastrophe solchen Ausmaßes zur Zufriedenheit aller Opfer zu meistern. Aber die pakistanische Führung hat mit ihrem Krisenmanagement bei der Bevölkerung sämtliches Vertrauen verspielt. Nicht nur Mitarbeiter von Hilfsorganisationen rufen dazu auf, den Staatsapparat lieber zu umgehen. Das Spendengeld solle lieber ihren Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, sagen sie, weil sie wesentlich intensiver nachweisen müssen, was mit dem Geld geschieht, sagt der Vertreter einer deutschen Nicht-Regierungsorganisation. Auch etliche Flutopfer betonen in Gesprächen, sie glaubten nicht daran, dass das von der internationalen Gemeinschaft zugesagte Geld ihr Leid mildern werde, wenn es an die pakistanischen Regierungsbehörden bezahlt werde.

In den Krisengebieten sind denn auch extremistische, zum Teil offiziell verbotene Organisationen am Werk - in dieser Situation sind sie in der Lage, schnell Hilfe auf den Weg zu bringen. "Mir ist egal, von wem ich etwas erhalte, wichtig ist, dass mir überhaupt jemand etwas gibt, weil ich nichts mehr habe", sagt ein Flutopfer in Punjab. Die Ideologie der Extremisten reize ihn nicht - aber das Essen, das sie bringen, fügt er noch an, das nehme er gerne.

© SZ vom 14.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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